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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

auferlegt, und ich seufze machtlos unter derselben,“ sagte die Baronin unmuthig, während ihr die Stiftsdame wie einem hülflosen Kinde die Theetasse füllte und zurecht machte. „Kann ich dafür, daß mich ein Schauder schüttelt, wenn sie in meine Nähe kommt? Ich spüre den Hauch einer begangenen Todsünde um ihre ganze Person – sie ist und bleibt Adam’s Kind ... Dazu diese antipathische Physiognomie! Das Gesicht ist wie von Stein, als läge eine todte Seele dahinter, und doch steckt das Mädchen voll unheimlicher Leidenschaft – damals nach der gräulichen Katastrophe mit ihrem Vater hat sie sich lange wie toll geberdet.“ Die Baronin zuckte die Schultern. „Man hat meiner Selbstüberwindung stets sehr viel zugemuthet; in diesem Schillingshofe kommt man überhaupt nie zur ersehnten inneren Ruhe.“

Ein kaltes Lächeln stahl sich um den feinen, schmallippigen Mund der Stiftsdame.

„Soll das eine Anklage sein, Clementine?“ fragte sie, und ihre dunklen Augen sahen ernst, ja strafend auf die gegenüber sitzende Frau herab. „Wer sein Schicksal so eigenmächtig eine heiß gewünschte Bahn gelenkt hat, wie Du, der muß es dann auch nehmen, wie es kommt. Wärst Du Deinem frommen Entschluß nicht treulos geworden, dann lebtest Du jetzt unter Gottes unmittelbarer Hut, im seligen Frieden. Uebrigens,“ lenkte sie ein, denn das blutlose Frauengesicht war noch fahler, aber auch herber geworden – Eigensinn und Aerger überwogen offenbar weit das Schuldbewußtsein, an welches leise gerührt wurde – „übrigens thut Johanne musterhaft ihre Pflichten und ist eine nicht zu entbehrende Stütze der Hausmamsell. Sie soll in der fixen Idee, daß die Unschuld ihres Vaters doch noch an den Tag kommen müsse, förmlich aufgehen –“

„Ja, das versichert die gute Birkner, die das Mädchen gründlich verzieht, stets mit unleidlichem Pathos,“ fiel die Baronin ein, während sie sich apathisch langsam aufrichtete. „Lächerlich! Das alberne Ding, die Johanne, thut alles Ernstes, als sei ein edles altes Wappenschild befleckt worden.“ Sie schob die Haarmassen, an denen die Blätter der Waldrebe gezaust hatten, aus den Schläfen, wies eine der warmen Schüsseln, die ihr die Stiftsdame hinreichte, voll Widerwillen zurück und bröckelte etwas mürbes Gebäck in ihren Thee. „Bah, alte verjährte Geschichten! Wer mag sich noch dafür interessiren! Mein Schwiegervater hat durch Adam’s Klatscherei das Nachsehen gehabt, und das war ganz gut für mich; mit dem alten Manne wäre kein Auskommens gewesen, wenn er durch die Kohlen ein Millionär geworden wäre, wie der da drüben.“

Sie deutete nach der Richtung, wo vorhin der graue, maliciös ausdrucksvolle Kopf des Rathes über der Mauer erschienen war. Ihre matten Augen flimmerten einen kurzen Moment in stechendem Glanze – aus der indolenten Nachbarin war urplötzlich eine unversöhnliche Feindin geworden.

„Eine grundgemeine Nachbarschaft, dieses Klostergut!“ murmelte sie. „Und aus dieser grobkörnigen Familie hat sich Arnold seinen Spielcameraden geholt, ‚seinen einzigen Freund’, wie er stets zu sagen beliebt.“

„Ja, Felix Lucian, der eine Tänzerin entführt hat!“ warf die Stiftsdame mit zugespitztem Tone hin. „Das Weltleben hat seltsame Elemente an Dich herangespült, Clementine.“

Das Gesicht der Baronin verdüsterte sich.

„Sie haben mich nie berühren dürfen, diese Elemente; ich wehre mich stets gegen solche Gemeinschaft,“ fiel sie mit erregter Stimme ein. Aber sieh sie Dir an, die viereckigen Köpfe der Schillings, drüben im Mittelsaal! Auf allen liegt dasselbe Gepräge derber Neigungen – Arnold nennt es Kraft und Kühnheit – dagegen hilft kein Ankämpfen. Reserve, ein consequentes Sichfernhalten, das sind die einzigen schwachen Waffen, die den Schilling’schen Ehefrauen verbleiben. Bis jetzt habe ich Dir noch gar nicht gesagt, daß mein Mann Mitverschworener eines Familiengeheimnisses ist, in Folge dessen ich vielleicht schon in der Kürze Menschen um mich dulden muß, die voraussichtlich wüsten Lärm in mein stilles Leben bringen – der Schillingshof wird Gäste beherbergen, die –“

Die Stiftsdame horchte gespannt auf, aber ein Geräusch von der Glasthür her machte die Baronin verstummen; sie sah seitwärts und streckte sofort in lebhafter, ungnädiger Abwehr die Hand aus. Ein Bedienter war aus dem Salon getreten; er trug Minka auf dem Arm.

„Ich wollte der gnädigen Frau nur melden, daß das arme Thierchen wieder wohlauf ist,“ stotterte er ganz verblüfft über die hinausweisende Geberde.

„Es ist gut,“ sagte die Baronin stirnrunzelnd. „Die Strafe kann dem Thier nicht schaden. Minka hat für den ganzen Tag strengen Arrest – sie soll mir heute nicht mehr vor die Augen kommen.“

Der Diener reichte ihr eine Postmappe hin, die er mitgebracht hatte, und entfernte sich schweigend. Im Salon lachte er sich in’s Fäustchen – sonst wurde bei dergleichen Vorkommnissen die im ganzen Hause grimmig gehaßte „schwarze Canaille“, die er eben vor den Ohren der Gnädigen in mitfühlendem Tone „das arme Thierchen“ genannt hatte, sorgfältig untersucht und gepflegt – und nun diese plötzliche Ungnade! Was der Unwille des Hausherrn, die Lamentationen der Dienerschaft nicht bewirkt, das hatte eine grobe Beleidigung von außen her fertig gebracht – die ging denn doch „über den Spaß“.

Die Postmappe, welche der Bediente gebracht, war eine praktische Einrichtung der Frau Baronin; „damit keine Zuschrift durch die Fahrlässigkeit der Domestiken abhanden komme“, gingen alle im Schillingshofe einlaufenden Briefe durch die Hand der Herrin. Sie schloß die Mappe auf und sortirte alles Eingegangene. Das geschah mit gewohnter Pünktlichkeit, mit den graciös lässigen, diese Frau charakterisirenden Bewegungen, bis plötzlich bei einem jäh aufsteigenden Wangenroth die langen, dünnen Finger zuckten, als sei aus einem der Couverts eine flinke Spinne über sie hingehuscht. Dieses Couvert war schwarz gerändert und zeigte ein schön ausgeprägtes Wappen auf dem Siegel.

„Also doch!“ murmelte sie tonlos. „Und ich hoffte mit jedem Tag mehr, daß die Geschichte wieder einschlafen würde.“ Sie war jedenfalls sehr unangenehm berührt, aber sie verbarg das unter einem erzwungenen Lächeln. „Lupus in fabula!“ sagte sie, der Stiftsdame den Brief hinhaltend; er war an Baron Schilling adressirt. „Ich sprach Dir von Gästen; das dünne Briefblättchen in diesem Couvert ist jedenfalls der Courier, der ihr unvermeidliches Erscheinen sicher für die allernächsten Tage feststellt. Wirst Du es ertragen, mit einer ehemaligen Tänzerin unter einem Dache zu leben?“

(Fortsetzung folgt.)


Bilder von der Mosel.

Von Dr. Roderich Irmer.

1. Beilstein.


„Sei bis zum fernsten Lande verherrlicht, gehörnte Mosella,
Nicht verherrlicht nur dort, wo du entströmest der Quelle
Und den goldenen Schmuck des lockigen Köpfchens emporhebst,
Wo den murmelnden Lauf du an Ufers Krümmungen windest,
Oder wo du am deutschen Gestad’ dich strömend ergießest!
Wenn der zarten Camöne man Gunst und Ehre noch schenket,
Wenn noch der menschliche Geist auf Dichtung Muße verwendet,
Dann lebst, Mosel, du fort in Wort und Liede gepriesen.“

So besang vor beinahe 1500 Jahren der römische Dichter Decimus Magnus Ausonius die Mosel. Unser materialistisches Zeitalter hat ihr zwar keine Verse gewidmet – aber welcher Deutsche, der je den funkelnden Brauneberger oder die „Goldtröpfchen“ Pisports gekostet, verkündete nicht dankbar den Ruhm der Mosel?

In diesen Tagen wird die neue, vielleicht die wichtigste Heerstraße Deutschlands, die Moselbahn, eröffnet. Gewaltige Viaducte überspannen die Landstraßen, und in märchenhaft leichten Bogen wölben sich die ehernen Brücken majestätisch über den ernsten Rhein und die spielende Mosel. Wie bald, und jene wilden, unzugänglichen, sagenreichen Gegenden durchsaust die cultur- und lichtbringende Locomotive und verscheucht die düsteren Schatten ultramontaner Verranntheit und Unduldsamkeit, die in diesem weltfernen Strich Landes noch in voller Blüthe stehen.

Welcher Contrast: hier und da blickt unter den Schienen der neuen Straße das schräge Pflaster der aufgedeckten alten Römerstraße hindurch! Wie nahe liegen hier zwei Jahrtausende!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_348.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)