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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Auch die Schöpfung der Römer war eine Militärstraße, angelegt, damit der eherne Schritt der römischen Legionen schneller in das Herz Deutschlands gelangen, damit der Polypenarm des südlichen Riesenreiches die germanische Welt fester umspannen möchte. Aber unbemerkt zogen in langen Reihen die wohlthätigen Geister der antiken Cultur mit ein in unser Vaterland, wie in ähnlicher Weise hoffentlich die moderne Cultur ihren Weg auf der jungen Straße finden wird. Diese junge Straße aber wird dem staunenden Ostländer eine ganz neue, eigenthümliche, ihm bisher unbekannte Welt erschließen; wie Viele wissen es in unserm Vaterlande, daß die Mosel in malerischen Naturschönheiten würdig mit ihrem Nachbar, dem Rheine, wetteifern kann?

Eine der werthvollsten Perlen in ihrer Kette landschaftlicher Reize bildet gleich zu Anfang Beilstein, eine kurze Strecke oberhalb der Stadt Kochem gelegen. Zu welcher Jahreszeit man auch die alte Ritterburg besucht – mag der Schnee die düsteren Trümmer bedecken und die Mosel drunten rollende Eisblöcke schäumend an das Gestade werfen, mag der Lenz oder der Sommer mit üppigem Grün und bunten Wiesenblumen die Felsen umkleiden, immer gewährt sie einen überraschenden, höchst pittoresken Anblick. Der Maler findet hier zu jeder Zeit und von jeder Seite neue Motive; auch dem Geschichtsforscher zeigen sich die Trümmer der Ahnenburg der alten Ritter von Braunshorn nicht undankbar, und wer für romantische Gemüthsstimmung schwärmt, findet sie ungesucht reichlich in dem verwitterten Eulenneste. Wie ein beredtes Denkmal der Erinnerung an jene alten, wilden Recken, die dort oben den sauern Moselwein aus gewaltigen Humpen leerten und Gesetz und Recht zum Spielball ihrer Eisenfaust machten, ragt es in die Lüfte hinein, zerrüttelt und zerzaust vom Sturme der Zeit, aber noch immer mit dem Eindrucke zäher Kraft und abwehrenden Trotzes.

Während das linke Moselufer gerade an jener Stelle nur flache, aber fruchtbare Rebenhügel bietet, die wie ein Frühlingskranz sich um das liebliche Poltersdorf winden, fallen rechts die kahlen Felsen schroff hernieder, und drunten am Moselstrande zieht sich mit engen Gassen und alten, hohen und schmalen Häusern der Flecken Beilstein hin.

Viel ist noch nicht modern dort in dem alten Burgfrieden, und urwüchsigeres und älteres Pflaster giebt es wohl kaum in einer anderen Stadt, als auf dem engen, finsteren Forum der Beilsteiner, das, wie die Grabgewölbe Salzburgs, in den Felsboden eingehauen ist.

Wie alt Burg und Ort sind, entzieht sich der Bestimmung; es geht uns mit den Ortschaften wie mit den rheinischen Urgeschlechtern, mit denen sich sonst an Alter kein Adel in Deutschland messen kann: wir erfahren nur von ihrem Dasein. Schon im Jahre 1309 erhielt Beilstein Stadtrechte auf Fürsprache seines Besitzers, des Ritters Johann von Beilstein, der ein „Hofmeister“ des tapferen und kräftigen Kaisers Heinrich des Siebenten genannt wird; zugleich bekam der Ritter 200 Mark, wofür er 10 sogenannte kaiserliche Schutzjuden in die neue Stadt aufnehmen mußte. Seit dieser Zeit ist Beilstein ein Lieblingsplatz thätiger, den Handel belebender Juden geblieben. Johann von Beilstein oder richtiger Braunshorn muß eine angesehene Person an der Mosel gewesen sein, da ihm der Kaiser in derselben Zeit den gewiß schwierigen Auftrag ertheilte, die rauflustigen Großen der dortigen Gegend, deren beliebtester Tummelplatz die weite Rasenfläche zwischen Beilstein und Wunneberg sein mochte, zur Ruhe zu bringen.

Schon 1362 erlosch der Mannesstamm des alten Geschlechts, und die Besitzungen mit der Burg Beilstein fielen an die weibliche Linie, welche die Herren von Wunneberg vertraten. Um diese Zeit aber ging es auch mit dem alten Ritterthum zu Ende; die goldenen Zeiten, wo Gewalt und Stärke Recht und Gesetze mit Füßen traten, wo der alte Ritter seine Schulden bequem mit einem glücklichen Raubzuge gegen schutzlose Kaufleute bezahlen konnte, waren allmählich geordneteren Zuständen gewichen; die ersten Strahlen einer neuen Zeit fingen bereits an, die alten Ritter aus ihren Eulennestern zu vertreiben. Auch die Wunneberger ereilte das Schicksal, dem die meisten ihrer Standesgenossen zum Opfer fielen. Ihre Besitzungen und die geringen Einkünfte, die ihnen nach dem Verluste der einträglichsten Quelle, der Wegelagerei, geblieben waren, vermochten die Ritter nicht mehr zu ernähren; sie geriethen in Schulden, und die reichen Kirchenfürsten von Trier waren gern bereit, Vorschüsse zu geben, welche die Empfänger nie wieder zurückzuzahlen vermochten. Die Folge war, daß die Wunneberger das ganze vierzehnte Jahrhundert hindurch mit den Kirchenfürsten von Trier heftige Fehden hatten, welche mehrfach ein Heer des geistlichen Oberhirten vor die Burg der rauflustigen Ritter führten.

In der Mitte des folgenden Jahrhunderts haben wir das im Mittelalter nicht ungewöhnliche Beispiel eines Bruderkampfes in den Mauern Beilsteins selbst, bis sich Philipp von Wunneberg in einer stürmischen Nacht zum alleinigen Herrn des alten Familiensitzes machte. Aber der Ritter brachte zugleich den Keim neuer Verwickelungen in die Burg, indem er sich zu den Augsburger Glaubensartikeln bekannte.

Es war unzweifelhaft, daß die Intoleranz der geistlichen Herren der dortigen Gegend über kurz oder lang einen Vernichtungskrieg gegen eine Lehre unternehmen würde, welche die Existenz des Kurfürstenthums bedrohen mußte. Gleich die ersten Jahre des furchtbarsten aller Religionskriege, des dreißigjährigen, brachte denn auch über die Wunneberger das Verderben. Als die getreuesten Landsknechte des Papstes, die Spanier, unter Spinola die Pfalz, das Heimathland des unglücklichen Winterkönigs, unterworfen hatten, fingen sie auch an, die umliegenden Gegenden von dem „Gifte der Reformation“ zu heilen und mit „Blut und Eisen“ die Ketzer zur alleinseligmachenden Kirche zurückzuführen. Das feste Beilstein fiel in ihre Hände, und Wilhelm, der Letzte des edlen Geschlechtes, mußte besitz- und heimathlos seiner Ahnenburg den Rücken kehren. Rührend ist die Schilderung seines Elends in einem Briefe, den der stotze Ritter in bitterer Armuth und Noth an den Kurfürsten Philipp Christoph von Trier zu dessen Geburtstage richtete. Man sieht aus ihm, daß der gerühmte Reichsritterstand oft genug ein glänzendes Elend war.

Erst im Jahre 1634 gelang es dem Wunneberger, seine Burg mit Hülfe der Schweden, welche die reiche „Pfaffengasse“ am Rhein und an der Mosel angelockt hatte, wieder zu erobern, aber schon drei Jahre später bettete man ihn, den Letzten des uralten Geschlechts, bei seinen Ahnen. Die Trierer Kirche, die zu jener Zeit durch die Gefangenschaft des Erzbischofes Philipp Christoph zu Linz verwaist war, zog Beilstein als erledigtes Lehen ein und gab es an die gut kaiserlich gesinnten Metternichs. Zwar cassirte der geniale und energische Kurfürst nach seiner Befreiung sofort jene Belehnung, nichtsdestoweniger aber behaupteten sich die Metternichs in der Reichsherrschaft und erhielten bald darauf sogar die Reichsgrafenwürde vom Kaiser. Ihr Regiment fing gleich mit einem gut katholischen Werke an: die Protestanten mußten zum größten Theil das Land verlassen; ein Carmeliterkloster sorgte für die Bekehrung der Zurückgebliebenen.

Ludwig dem Vierzehnten, jenem Vandalen unter den Königen, war es vorbehalten, wie die meisten Moselburgen, so auch Beilstein zu zerstören. Die Reichsherrschaft selbst jedoch blieb bis zur französischen Revolution in den Händen der Metternich’schen Familie. Erst der Vater des 1775 im Metternicher Hofe zu Coblenz geborenen weltbekannten Kanzlers, des Fürsten Clemens Wenzel von Metternich, dem später auch das schöne Johannisberg als Besitz zufiel, trat im Reichsdeputationshauptschluß die Herrschaft Beilstein gegen die gefürstete Abtei Ochsenhausen ab.

Von den Bewohnern des lebhaften Fleckens Beilstein sind heute beinahe ein Drittel Juden – ein merkwürdiges Beispiel von Anhänglichkeit an die Heimath, die sonst unter den Juden des deutschen Westens selten zu sein pflegt. Alles ist heute dort anders geworden, als es im romantischen Mittelalter war: die stolze Burg – beiläufig jetzt im Besitz des Geheimen Commerzienraths Ravené in Berlin, der leider seine frühere Absicht, sie zu restauriren, wieder aufgegeben hat – liegt in Trümmern; die tapferen Ritter sind verschwunden; die Macht des Krummstabes, der einst dort geherrscht, ist gebrochen; überall eine ganz andere Welt – nur die Söhne Canaans haben Stand gehalten, das conservativste Element des alten Moselstädtchens Beilstein.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_350.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)