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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Baron Schilling stieg eben die untersten Stufen der breiten Wendeltreppe hinab, als seine Frau droben erschien.

„Arnold!“ rief sie hinab.

„Was wünschest Du?“

Eine Pause erfolgte. Die Baronin hörte, wie ihr Mann unbeirrt die letzte Stufe verließ und auf dem hallenden Steinfußboden weiterschritt.

„Arnold, komm! Ich will gut sein ich will – abbitten,“ rief sie halblaut, und in diesem unterdrückten Ton lag so viel Gluth, er klang so verrätherisch sehnsüchtig, daß man sich unwillkürlich die ausgestreckten Arme dazu vergegenwärtigen mußte.

„Wozu das? – Ich zürne nicht,“ scholl es herauf, dabei aber verdoppelten sich unten die eilenden Männerschritte. Die Thür nach dem großen Garten wurde geöffnet, und Baron Schilling trat hinaus auf die Freitreppe. In diesem Augenblick stand aber auch seine Frau neben ihm.... Sie war so lautlos hinter ihm hergeschlüpft, als habe sich die lange, schwanke Gestalt zu einem Schatten verflüchtigt. Ihren Arm fest um den seinen schlingend, sah sie ihm unter das Gesicht und ertappte noch den Ausdruck einer stillen Verzweiflung, eines unbezwinglichen Widerwillens auf diesen Zügen.

„Arnold,“ murrte sie drohend, da er, durch ihr plötzliches Erscheinen überrascht, eine unwillkürliche Bewegung machte, als wolle er sie wie ein unheimliches Traumgespenst von sich schütteln. „Versündige Dich nicht! Denke an den Ausspruch der Aerzte, der Dich verpflichtet, mich um meines schwächlichen Nervenleidens willen vor jedem Aerger zu behüten.“

Er antwortete nicht. Seine Zähne gruben sich tief in die Unterlippe und er stieg langsam die Freitreppe hinab.

Seine Frau ging mit. Sie hing noch an seinem Arme und hatte die Hände verschränkt – für fernstehende Beobachter mußte das Paar, das langsam wandelnd in die schattige Platanenallee einlenkte, das glückliche Bild ehelicher Eintracht sein.

„Arnold, verzeihe! Es war eine Unbesonnenheit von mir, Dich an die Ansprüche der Steinbrücks zu erinnern,“ hob die Baronin wieder an. Ein Zug von Ungeduld ging durch sein Gesicht, als er, von ihr weggewendet, seine Blicke durch das Geäst der Platanen gleiten ließ.

„Lasse doch das auf sich beruhen, Clementine – verdirb mir nicht mit dem leidigen ,Mein und Dein’ den strahlenden Morgen!“

„Aber ich will Dir ja nur sagen, daß ich im Grunde an diese Ansprüche so wenig denke, wie Du,“ entgegnete sie hartnäckig.

„Darin irrst Du wieder. Ich denke sehr oft daran; so oft, als ich unter diesen lieben, alten Bäumen hingehe und den Blick auf das Säulenhaus richte, so oft ich durch eine neue Sparsumme das Capital erhöhe, das Deine Hypothek von diesem Grundstücke wenigstens, von meinem Vaterhause, ablösen soll.“

„Unsinn! Bist Du nicht Mitbesitzer alles dessen, was mir gehört?“

„Nein. Ich habe mich nur in diese Rolle zu finden gesucht, so lange mein Vater lebte. Du führst Deine Bücher musterhaft und wirst deshalb auch ohne diesen meinen Protest wissen, daß ich seit seinem Tode mich auch nicht für eine Stunde länger als Mitbesitzer gerirt habe.“ Bei diesen Worten klärte sich sein verfinstertes Gesicht auf. Diese zurückkehrende unanfechtbare Ruhe war der nebenhergehenden Frau sicher noch verhaßter, als sein Widerspruch.

„Es ist ja recht liebevoll von Dir,“ sagte sie, indem sie ihren Arm aus dem seinen zog, „mir so unverschleiert in’s Gesicht zu sagen, daß ich Dir entbehrlich bin –“

„Dein Geld, Clementine –“

„Wie richtig ist der Instinct gewesen, mit welchem ich gleich zu Beginn unserer Ehe in Deiner Kunstausübung meine Todfeindin gesehen habe!“ fuhr sie unbeirrt in wachsender Leidenschaftlichkeit fort. „Du pochst auf das, was sie Dir einbringt.“

„Meine heilige Kunst!“ sagte er, und ein schönes sanftes Lächeln glitt flüchtig um seinen Mund. „Wenn ich in ihre Sonnenaugen sehe, wie bergestief liegen da materielle Interessen unter mir! Aber Du hast Recht. Zu ihren Segnungen gehört allerdings auch die, daß sich ein Frauenfuß nicht so tyrannisch auf meinen Nacken setzen darf, wie er gern möchte. Uebrigens lasse Dir sagen, Clementine, auch wenn ich Stift und Pinsel nicht zu führen verstände, Du gelangtest doch nie und nimmer zu dieser Herrschaft, denn ich bin auch ein fleißiger Jurist gewesen – Mittel genug für den Mann, um aus eigener Kraft zu existiren.“

Sie blieb bei seinen letzten Worten stehen und richtete sich hoch auf.

„Nun, da wären wir ja fertig!“ warf sie in seltsam trockenem Tone hin. „Du wiederholst es mit gründlicher Beweisführung, daß ich in Deinem Leben ein Nichts bin, und ich bin auch albern genug, Dir so lange pflichtschuldigst zuzuhören. Aber ich wäre eine Thörin, wenn ich Dich nicht auch einmal fühlen ließe, wo ich Dir fehlen werde – ich verreise. Du hast meine Fürsorge, mein Walten in Bezug auf Deine häusliche Ordnung und Bequemlichkeit bisher ohne Dank hingenommen, als verstände sich das ganz von selbst, und auch die Art und Weise, wie ich unser Haus repräsentire, hat Dir nie auch nur das mindeste Beifallszeichen entlockt, während die gute Gesellschaft das ganz anders zu würdigen weiß. Gut denn! Lerne einmal erkennen, was es heißt, wenn die Frau im Hause fehlt! Sieh, wie Du allein fertig wirst mit den fremden Hungerleidern, die den Schillingshof überschwemmen werden, und mit unserer stupiden Wirthschaftsmamsell, deren Verstand nicht weiter reicht, als ihr kleiner Finger! – Ich trete morgen früh meine längst beabsichtigte Wallfahrtstour nach Rom an.“

„Thue das nicht, Clementine!“ erwiderte er lächelnd. „Du weißt am besten, daß diese Wallfahrtsaufregungen wahres Gift für Dich sind! Du bringst stets schlimme Nervenzufälle mit heim.“

„O, das ist wieder einmal eine Deiner Blasphemien! Was man zur Ehre Gottes thut, das kann niemals schaden. Ich reise morgen.“

„So gehe Du in Gottes Namen! Ich mache keinen Versuch mehr, Dich zurückzuhalten.“

Er schritt gleichmüthig weiter; seine Hand faßte spielend in den krausen dunklen Kinnbart, und der aufleuchtende Blick suchte das Atelier, das eben hell und fensterblitzend, anheimelnd und genußverheißend zwischen dunklem Taxusgebüsch hervortrat. Sie lenkte um; einen Moment wandte sie zögernd das Gesicht zurück und schien zu hoffen, daß auch sein Auge in Reue sie suchen werde; dann aber ging sie hastig nach dem Säulenhause zurück. In ihrem Ankleidezimmer schellte sie der Kammerjungfer und befahl das sofortige Herbeischaffen der Reisekoffer; bald darauf erschien sie wieder auf der Terrasse.

„Packe Deine Altardecke zusammen, Adelheid!“ rief sie mit fliegendem Athem. „Dein heißester Wunsch wird erfüllt – wir gehen morgen nach Rom.“

Die Stiftsdame ließ augenblicklich ihre Arbeit in den Korb sinken und erhob sich. Sie stand in ihrer ganzen imposanten Höhe vor der aufgeregten Frau; ein düsteres Feuer glomm in ihren Augen.

„Hüte Dich, Clementine!“ warnte sie mit aufgehobenem Finger. „Du spielst um Deine Seele! Deine unselige Liebesleidenschaft treibt Dich von einer Sünde zur andern. Du gehst nicht nach Rom in Glaubensinbrunst – weit entfernt – Trotz und Zorn treiben Dich fort, und der geheime Wunsch, durch Deine Abwesenheit Sehnsucht in dem Herzen Deines kalten, gleichgültigen Mannes zu wecken –“

Die Baronin fuhr auf, aber ihr stolzes Gegenüber stand da wie in den Boden gewurzelt. „Mich täuschest Du nicht,“ sagte die Stiftsdame, und ihre schwarzen, kräftig gezeichneten Brauen hoben sich und gaben den großangelegten Zügen den Ausdruck eiserner Strenge, „so wenig wie unseren gemeinschaftlichen Seelsorger, den ehrwürdigen Pater Franziskus – wir sehen voll Schmerz, wie Du Dich in dem Bemühen verzehrst, Macht über den Mann zu gewinnen, der seine armselige Kunst zum Götzen macht.... Und wenn Dir Dein Mühen glückte? Geh – was für ein erbärmlicher Sieg! Kämpfe lieber gegen Dich selber! Du hast allen Halt verloren, bist eine launenhafte Frau geworden, die in einem Athem Entschlüsse faßt und verwirft, jetzt aber sage ich Dir – autorisirt durch Pater Franziskus und die frommen Schwestern, die Deine Kindheit behütet haben – ‚bis hierher und nicht weiter!’ Hast Du die Pilgerfahrt nach Rom in Folge grenzenloser Selbstsucht beschlossen, so kannst Du diese Sünde nur büßen, indem Du das unlautere Feuer in Deiner Brust bekämpfst und die Reise wahrhaft reuig antrittst.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_363.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)