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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

sind Weinschenken; den Mittelpunkt des Hintergrundes aber bildet einer der großen, runden Thorthürme Nürnbergs, woraus mit Sicherheit zu schließen, daß die Zeichnung gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts entworfen ist. Ein anderes Bild zeigt, bei größeren Volksmassen, neben dem Urbanreiter noch ein Weib mit einem Tragkorb, in welchem ebenfalls Spiegel und Gläser zum Auswerfen unter die Straßenjugend sich befinden. Der Tracht nach zu schließen, stammt die ursprüngliche Zeichnung aus dem Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts.

Zur besseren Verständigung nun lassen wir einen Chronisten eben dieses Jahrhunderts den Urbanritt beschreiben:

„Anno 1614 am Tage Urbani aus Zulassung eines ehrbaren Rathes allhie ist nach altem Brauch und Gewohnheit Niklas Gulda, ein Weinschreier, auf einem Rößlein in der stadt allhie um und vor die wirthshäuser geritten, dem ein jeder Wirth, so da Wein schenket, ein maß Wein, einen Trunk und Geld darzu giebt. Er, der Urban, hat in der rechten Hand ein kuttroffglas und darinnen ein Schmecken (Nürnbergisch für Blumenstrauß), sitzt und stellt sich seltzam, knappet und wanket bald hinter, bald für sich, eine weil uf diese, eine weil uf jene seiten, wie ein voller Bauer, juchzet auch bisweilen. Hinter dem Urban tragen ihrer zween in rothen Schenkröcken und Hüten ein jeder eine große Flaschen an einem stecken über der Achsel, in welche sie den Wein gossen, den ihnen die Wirthe gegeben. Die Pfeifer haben ufmachen (aufspielen) müssen, so lang er in der Stadt umgeritten, ein großer Haufen Buben und Kinder sind mitgelaufen, welche immer ihm zugeschrieen: ,Urba, Du mußt in Trog! Urba, Du mußt in Trog!’ Denn wenn es am selben Tage des Umzugs regnet, so wird der Reiter uf denselben Abend in den Brunnentrog bei St. Lorenzen geworfen, denn man meinet, der Wein werde denselben Herbst nit wohl gerathen. Regnet es aber am Tage Urbani nicht, und ist schön Wetter, so ist gute Hoffnung, es werde ein gut Weinjahr und ein reicher Herbst werden. Der Urban aber wird dennoch von oben aus den Häusern mit wasser begossen, daß er und sein pferdlein triefnaß werden.“

Ob nun an diesem Urbanstage des Jahres 1614 der Urban auch in den Brunnentrog gemußt, verschweigt der Chronist, erwähnt aber dafür am Schlusse mit großer Genugthuung, daß die Theilnehmer des Zuges bei dem ersammelten Geld und Wein auf den Abend lustig geworden und die vom Jauchzen trocken gewordenen Kehlen „gar arg begossen haben“.

Die Erinnerung an den Weinheiligen lebt noch heutigen Tages im fränkischen Volksstamme fort, und die alte Wetterregel: „Hat Urbani (25. Mai) Sonnenschein, hofft man viel und guten Wein“ wird vom Weinbauer hoch gehalten. Aus dem alten Sprüchwort: „Behüt mich Gott vor St. Urbansplag!“ aber mögen alle Podagristen die – wenn auch wenig tröstliche – Genugthuung schöpfen, daß das schmerzhafte Uebel schon seit vielen Jahrhunderten den fröhlichen Zecher heimgesucht hat.




Clotilde.
Novelle von L. Herbst.


1.

Schon etwa fünfzehn Jahre ist es her, daß ich Clotilde zum ersten Male sah, doch ich kann zuweilen träumen und denken, es sei erst neulich gewesen: so tief war der Eindruck, den sie auf mich machte. Bei ihrem Oheim und Vormund war’s, einem reichen Handelsherrn, der draußen vor Berlin eine Villa bewohnte; die eleganten Räume strahlten an jenem Abend von unzähligen Flammen, denn der alte Herr gab ein Fest. Ich beobachtete von einer Nische aus die glänzende, heitere, plaudernde, hin und her ziehende Menge, bald aber hafteten meine Blicke wie bezaubert auf einer wahrhaft edlen Mädchengestalt, die, alle ihre Gefährtinnen überragend, in meine Nähe kam. Die tiefen, dunklen Augen, voll Geist und voll Milde, die regelmäßig schönen, weichen Formen des ovalen Gesichts und die leuchtenden Farben bezauberten mich förmlich.

Ebenso auffallend war die Anmuth ihrer Bewegungen, die bescheidene und doch fast majestätische Haltung ihrer vornehmen Gestalt. Ein junger Mann näherte sich ihr, den man mir kurz zuvor als Herrn Rudolph von Brauneck vorgestellt hatte. Sein Anblick – Herr von Brauneck war ebenso elegant wie schön – trieb ihr eine flüchtige Röthe auf die Wangen; ich wußte noch nicht, warum. Er flüsterte ihr einige Worte zu; sie lächelte so lieblich, daß es mich bewegte. Nach einer Weile bot er ihr den Arm und führte sie an den geöffneten Flügel; er setzte sich und stimmte mit Kraft und mit Kunst die Begleitung eines Liedes an, das damals neu war und mir sehr gefiel – vielleicht weil dieses schöne junge Mädchen es sang; sie sang es so ergreifend mit ihrer vollen, weichen, von einer mir unbekannten Erregung etwas zitternden Stimme. Doch wie erstaunte ich, als, nachdem der letzte Ton verhallt war, Brauneck der Sängerin plötzlich zu Füßen sank. Er zog ihre beide Hände an seine Lippen; dann sprang er auf und drückte die sanft Widerstrebende, Erröthende leidenschaftlich an seine Brust.

„Warum sollen wir warten, Clotilde,“ sagte er mit entschlossener, angenehmer Stimme, „bis der Wein die Gläser füllt? Warum nicht in diesem Augenblick, wo uns Alle Dein Gesang entzückt hat, der Gesellschaft bekennen, was doch nicht länger Geheimniß bleiben soll? – Meine verehrten Damen und Herren,“ setzte er hinzu, „Sie sehen hier ein Brautpaar, und wir bitten herzlich, wünschen Sie uns Glück!“

Nach einer kurzen Stille folgte ein Sturm des Beifalls. Man drängte sich hinzu, heitere und gerührte Gesichter sah ich durch einander; ich selbst, noch von Lied und Gesang berauscht, fühlte mich durch das Glück dieser mir bis dahin unbekannten Menschen wunderbar ergriffen. „Wie ihr zu beneiden seid!“ dachte ich im Stillen. „Ob euch wohl Niemand mehr als billig beneidet? Warum wohl dieser blasse Leonhard (es war der Sohn des Hausherrn, ein kalter, steifer Mensch, der mir nicht gefiel), warum er wohl seiner strahlenden Cousine so gar gemessen die Hand reicht und die schmalen, zusammengepreßten Lippen ihren Glückwunsch so mühsam hervorstammeln? Ist auch er ihr vielleicht gar zu gut?“ Ich sah von ihm weg, wieder auf die Braut. Ein paar Thränen des Glücks schimmerten ihr in den Augen. „Wirst Du nun immer so schön und so glücklich bleiben?“ flüsterte eine altkluge Stimme in meiner Brust. „Wird der Mann, der Dich heut so jubelnd seine Braut nennt, wird er Dich durch das ganze Leben auf den Händen tragen?“

Warum dachte ich das in diesem Augenblick? Ich weiß es nicht. Doch der zweifelnden Frage von damals mußte ich gedenken, als ich nach Jahren Frau Clotilde von Brauneck wiedersah. …

Sind es Ahnungen, die zuweilen die Dämmerung unserer Gedankenwelt erleuchten? Oder sind es unbewußte Einwirkungen von Gestalt zu Gestalt, von Blick zu Blick, die sich dann in unserem Bewußtsein gleichsam ohne unser Zuthun zu Gedanken formen?




2.

Fünf Jahre, in glücklicher Ehe verlebt, vergehen wie ein schöner Traum, und Frau Clotilde war glücklich. Die angenehme sociale Stellung ihres Gatten, der, bei glänzenden äußeren Verhältnissen, auch als geistvoller Jurist und liebenswürdiger Gesellschafter in weiten Kreisen gern gesehen war, gab ihr bei der angeborenen eigenen Holdseligkeit nach außen hin ein freudenreiches Leben. Und drinnen im anmuthig ausgestatteten Heim herrschten Liebe und Friede. Dem oft etwas ungestümen und unüberlegten Wesen ihres Mannes setzte Clotildens Sanftmuth und edle weibliche Haltung die wohlthuendsten Schranken. Ein Kind, ein Mädchen mit der Mutter dunklen Augen und des Vaters blonden Locken, vollendete das Glück ihres Lebens.

Nur ein unbestimmtes Gefühl der Sorge beschlich sie zuweilen, beklemmte ihr die Brust. Etwas Unstetes, Ruheloses war über Rudolph gekommen. Sie war nicht gewohnt, unbekannte Dinge zu fürchten und doch ertappte sie sich zuweilen über einer nicht zu benennenden Furcht, die sie nicht verstand. –

An einem kalten, stürmischen April-Nachmittage saß Frau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_369.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2018)