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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Clotilde in ihrem reizenden Gemach vor dem Kaminfeuer und wiegte ihr Kind – es war krank – auf dem Schooße. Während sie den unruhigen Schlaf der Kleinen mütterlich bewachte, horchte sie zugleich mit Spannung auf jeden Schritt, der sich dem Hause näherte. Von Zeit zu Zeit wandte sie ihr liebes sanftes Gesicht der Thür zu und schüttelte traurig ihre Locken, wenn es wieder eine Täuschung war.

„Mein Gott,“ flüsterte sie angstvoll, „wo bleibt Rudolph? Die Sitzung muß ja seit Stunden geschlossen sein.“

Endlich gab die Hausthürglocke den bekannten Laut.

„Doch nein, nein,“ dachte sie, „das ist nicht sein elastischer Fuß, der stets so leicht über die Treppe fliegt.“

Langsam näherten sich schwere Tritte der Thür, die dann zögernd geöffnet ward.

„Rudolph, bist Du es?“ rief Clotilde dem Eintretenden entgegen und erschrak bei seinem Anblick so heftig, daß das Kind in ihren Armen erwachte.

War das wirklich ihr stattlicher, schöner Mann, der, mit fast irren Blicken sie und das Kind streifend, wie ein Trunkener durch das Zimmer schwankte und mit schwerem Seufzer so gebrochen in die Sopha-Ecke sank?

„Rudolph, was ist geschehen? Um des Himmels willen, sprich ein Wort!“ flehte Clotilde, die mit der leise wimmernden Kranken im Arm sich an seine Seite setzte. Sie strich ihm das krause Haar von der feuchten Stirn und blickte furchtsam in das so verwandelte Gesicht. Er machte eine schwache Bewegung, um sich ihren liebevollen Bemühungen zu entziehen, und preßte tonlos heraus:

„Was geschehen ist? Das ist bald gesagt. Alles ist verloren, Alles – auch meine Ehre.“

Clotilde erbleichte.

„Auch Deine Ehre? Das verstehe ich nicht. Du machtest mich gestern auf die Möglichkeit eines Geldverlustes gefaßt, doch was hat das mit Deiner Ehre zu schaffen?“

Er bedeckte sein Gesicht mit den feinen Händen und seufzte aus tiefster Brust:

„Gestern! Da war mir noch eine kleine Hoffnung geblieben, und ich konnte mich nicht entschließen, Dich die ganze Größe der Gefahr ahnen zu lassen. Nun ist Alles vorbei. Ich bin ein verlorener Mann.“

Eine Weile blickte sie ihn rathlos an, wie er so in stummer Verzweiflung dasaß. Endlich sagte sie mit ihrer weichen Stimme: „Rudolph, ich wußte nie, wie es mit Deinen, mit unsern Verhältnissen stand; da Du darüber schwiegst, hatte ich nicht das Herz, Dich zu fragen. Aber jetzt, nicht wahr, jetzt sagst Du mir Alles?“

Er athmete schwer, doch er schwieg.

„Glaube mir,“ fuhr sie fort, „ich bin stark und kann auch das Schwerste mit Dir tragen; nur diese Marter der Ungewißheit ist schrecklich!“

Ohne zu antworten, blickte er auf sein Kind, dem er die Hand auf die Locken legte. Die Kleine faßte des Vaters Hand und zog sie an ihren Mund. Bei der Berührung der brennenden Lippen zuckte er zusammen.

„O mein Gott, welche Qual!“ murmelte er. „Das Kind ist krank und macht Dir Sorge, und ich soll – doch Du hast Recht: ich darf Dir nichts mehr verschweigen. Armes, geliebtes Weib! Als ich Dich vor fünf Jahren in dieses Haus führte, da dachte ich nur daran, Dich Deiner würdig zu empfangen – bitte, hör’ mich an! Ohne mein Vermögen ängstlich zu Rathe zu ziehen, hatte ich alle Einrichtungen unseres jungen Haushaltes genau so getroffen, wie ich es in meinem Elternhause gewohnt war. Aber – schon nach zwei Jahren nahm ich mit Schrecken wahr, daß ich es nicht lange würde durchführen können. – Was sollte ich thun? Vor Dich hintreten und Dir sagen: Clotilde, unser glänzendes Leben war ein kurzer Traum. Wir müssen jetzt in bürgerlicher Einfachheit und Beschränktheit leben – das, das konnt’ ich nicht. Das war mir unmöglich.“

„Rudolph, lieber Rudolph! Was sprichst Du! Wußtest Du denn nicht, ich wäre an Deiner Seite auch in den bescheidensten Verhältnissen –“

„Ja, ich weiß es,“ unterbrach er sie hastig, „Du wärst wohl zufrieden gewesen, aber ich vermochte es nicht, Dir eine Bequemlichkeit, eine Annehmlichkeit nach der andern zu entziehen. Und ich selbst – verwöhnt wie ich bin von Jugend auf – ich bin nicht dazu geschaffen, in dürftigen Verhältnissen zu leben. So sann ich denn anderen Mitteln nach, um meine Angelegenheiten zu verbessern – denn was meine juristische Praxis mir eintrug, wollte wenig bedeuten.“

Sie starrte ihn an und schwieg.

„Ein Zufall, den ich jetzt bitter beklage,“ fuhr er mühsam fort, „machte mich mit einem Unternehmen bekannt, von dem sich alle Betheiligten goldene Berge versprachen. Ich ließ mich nur zu leicht überreden, den – den ganzen Rest meines Vermögens in das großartig angelegte Geschäft hineinzugeben, und nach den Erfolgen glaubte ich ein paar Jahre lang, daß ich das Klügste von der Welt damit gethan hätte. Dann – kamen ungünstige Zeiten. Neue Zuschüsse wurden nöthig, die mir schon manche Verlegenheiten bereiteten, doch die Hoffnung auf ungeheueren künftigen Gewinn blieb aufrecht. Nun aber muß ich Dir sagen – seit wenigen Tagen weiß ich, daß ich, wie viele Andere, auf das Schändlichste von zwei Betrügern hintergangen worden. Der eine dieser Gauner ist freilich in den Händen der Polizei, der andere aber mit einer ungeheueren Summe schon über den Ocean und in Sicherheit. Diese Gewißheit ist das Resultat der heutigen Sitzung,“ setzte er mit tonloser Stimme hinzu.

Clotilde drückte die Kleine, die zu weinen begann, fester in ihre Arme. Einen Augenblick stand sie rathlos, wem von ihren beiden Lieben sie nun zunächst ihre ganze Sorgfalt zuwenden solle. Doch mit schnellem Entschluß trug sie die kleine Kranke in das Schlafgemach und übergab sie den Händen der alten Wärterin. Dann trat sie, die schlanke, edle Gestalt hochaufgerichtet, neben ihren Gatten, der noch immer regungslos in der Sopha-Ecke saß, und nahm seine Hand.

„Rudolph! wie kannst Du Dich nur so gänzlich von diesem Mißgeschick beugen lassen!“ sagte sie mit fester Stimme. „Wenn ich Dich oder unser Käthchen verlöre, ja, dann wäre ich trostlos. Aber der Verlust des Vermögens, der muß doch zu verschmerzen sein, so lange wir beisammen und gesund und jung sind.“

Mit ungeduldiger Bewegung entzog er ihr seine Hand und sprang auf.

„Du weißt nicht, was Du redest. Du ahnst nicht, wie rettungslos meine Lage ist. Ich sage Dir, ich bin verloren. Eine Kugel durch den Kopf wäre das Beste für mich.“

Die junge Frau zuckte zusammen.

„Und Weib und Kind elend zurücklassen?“ fragte sie langsam, jedes Wort betonend.

Er stand erschüttert. Hastig wandte er sich ihr zu.

„Was sagst Du? Ja, Du hast Recht. Ich darf nicht. O Gott, giebt es denn keine Rettung aus diesem Abgrund? – Clotilde! Clotilde!“

Mit herzerschütternder Anmuth legte sie ihre beiden Hände auf seine Schultern und sah ihm, ihr stilles Grauen überwindend, in das verstörte Gesicht.

„Nur wer verzagt, hat nichts zu hoffen,“ sagte sie; „Muth, mein Freund, Muth! Wenn Du Dich ein wenig beruhigt hast, halten wir vernünftigen Kriegsrath. Allen überflüssigen Tand werfen wir in Zukunft als Ballast über Bord; dann wird unser Schiff wieder flott –“

„Unser Schiff versinkt rettungslos,“ entgegnete er dumpf; „der Schiffer war ein Elender. Es muß heraus … Ich habe mehr, weit mehr verloren, als ich zu verlieren hatte, habe auch Gelder von Clienten mitgewagt, die mir anvertraut waren. Es sollte nur auf kurze Zeit, zu meiner sichern Rettung sein – so hoffte ich – und nun ist nichts mehr zu retten. Morgen ist der Verfalltag eines großen Wechsels, und heute schon wird mein Ruin in allen Geschäftskreisen bekannt. Ich bin ein Bettler und – ein Schurke.“

„Rudolph!“ stieß Clotilde mit zitternder Stimme heraus. … „Aber ich zweifle keinen Augenblick, daß wir Mittel und Wege finden werden, um das Schlimmste zu verhüten. Wenn Du Dich meinem Onkel entdecken möchtest! Er wird Dir sicher helfen.“

„Deinem Onkel? Kind, Kind, wohin denkst Du!“ erwiderte Rudolph, während er im Zimmer hastig auf und nieder ging. „Auch das ist vorbei. Er hat mir schon einmal geholfen – im letzten Jahre – als noch Rettung für mich möglich schien. Jetzt – jetzt ihn noch einmal bitten – wie kann ich!“

„Er braucht Dir nicht mit eigenen Mitteln zu helfen, Rudolph; überbring’ ihm nur meinen Wunsch, daß er Dir schon

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