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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

dem Gesicht der wandelnden Fremden hinstrich und ein böses, zornmüthiges Lächeln um ihre Lippen weckte.

Der kleine José lief ihr ab und zu über den Weg. Er hatte vom Stallknecht ein weißes Kaninchen geschenkt bekommen, das er, stumm vor Entzücken, auf Tritt und Schritt verfolgte. Nun stürzte es sich kopfüber in das Wiesengras; es verschwand spurlos in dem Halmengewoge, wo die strammen Beinchen des angstvoll nachlaufenden Knaben versanken. Pirat hatte bis dahin regungslos, in bewunderungswürdiger Zurückhaltung auf der Schwelle des Glashauses gelegen und behaglich die heiße Sonne auf sein verwöhntes Fell brennen lassen, in dem Moment aber, wo José zu laufen begann, kam er in gewaltigen Sätzen herbeigestürzt und schreckte das kleine Thier auf – in weitem Bogen sprang es über den Kies vor dem Glashause und rettete sich in die halboffene Thür desselben vor seinen Verfolgern. Sie rannten wie toll hinterdrein, und gleich darauf erscholl ein Poltern und Aufschreien – José schrie mit seiner Mama um die Wette.

Donna Mercedes schritt rasch hinüber.

Das Kaninchen war hinter die Pflanzenkübel geschlüpft, und Pirat hatte seinen gewaltigen Körper nachgezwängt; dadurch war ein Drachenbaum umgefallen und hatte mit seinen harten Schwertblättern das Bassinwasser eines Springbrunnens hoch aufgepeitscht. Ein Schwall hatte sich über den Fußboden ergossen, und auf den breiten Blattflächen, dem verschränkten Gezweig ringsum rollten und zitterten die Tropfen, als sei ein starker Regenschauer niedergefallen.

Lucile war in die Nähe der Thür, auf eine trocken gebliebene Stelle retirirt; sie schleuderte die Wasserperlen von den Kleidern und aus den Locken und trocknete das überströmte Gesicht vorsichtig tupfend mit dem Taschentuche. Sie schalt heftig auf José hinein, brach aber gleich darauf in ein helles Gelächter aus, als der Hund, sein durchnäßtes Fell bärenhaft schüttelnd, auch noch ein paar blühende Topfpflanzen umstieß, und dann wie besessen sein Heil in der Flucht suchte.

Donna Mercedes war auf der Schwelle stehen geblieben. „Was thust Du hier, Lucile?“ fragte sie unwillig erstaunt.

„Mein Gott, ich amüsire mich – hast Du etwas dagegen?“ versetzte die kleine Frau spitz, wobei sie sich bückte, um ein Album aufzunehmen das im Bereich der Ueberschwemmung auf dem Boden lag. „Die alten Mönche müssen Mohnsamen in den Grundstein des Schillingshofes gelegt haben, so fürchterlich gähnt die Langeweile drüben aus allen Ecken. Ich habe aber keine Lust, wie ein schläfriges Käuzchen in diesen Winkeln stillzusitzen und vor der Zeit fett zu werden – bah, ich mit meinem Quecksilberblut – fällt mir gar nicht ein! Ich breche durch, wo ich kann.“

Sie hatte das Album aufgeschlagen und wischte mit dem Taschentuche das eingedrungene Wasser von den Blattseiten. „Fatal – da ist eine ganze Ecke von der getuschten Landschaft weggelöscht, und das Papier ist total zerweicht. Das nichtswürdige Thier, dieser Pirat! Ich könnte ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen für diese Tölpelei! Was nun machen?“ – Sie zuckte halb ärgerlich, halb lachend die Achseln. – „Ach was, Dein ‚fischblütiger Germane’ ist mein Freund, mein alter Freund noch aus der himmlischen Zeit, wo ich das enfant gâté in Mamans Salon war und noch nichts von Baumwollensäcken und dergleichen wußte. Er wird nicht brummen, daß ich in seiner Bärenhöhle ein wenig gekramt habe, dieweil er nicht dagewesen ist.“

Mit diesen Worten klappte sie das Buch zusammen und schlüpfte in den anstoßenden Raum.

Vorhin hatte es ausgesehen als wolle die Dame auf der Schwelle unmuthig in den Garten zurückkehren, jetzt aber blieb sie wie festgebannt stehen und sah in das Atelier hinein, das durch eine Glaswand von dem Wintergarten geschieden war. Ein grüner Velourvorhang, auf beiden Seiten zur Hälfte zurückgezogen, hing drüben hinter den Scheiben und rahmte das farbenreiche Gesammtbild der originellen Einrichtung dunkel ein. Das Atelier war von bedeutender Höhe. Oben an der gegenüberliegenden Wand lief eine Gallerie hin – eine Thüröffnung, halb geschlossen durch eine schwere, buntfarbige, in Ringen laufende Gobelin-Gardine, mündete auf diese Gallerie, die in der nordwestlichen Ecke in eine schmale, schöngeschwungene Wendeltreppe auslief. Ueber das braune Holzgeländer fiel, nachlässig hingeworfen, ein gewirkter Teppich von altbyzantinischem Muster; er sprühte einen wahren Farbenregen unter dem schräg herüberfallenden Oberlicht, das ringsum, hier aus dem polirten Harnisch einer aufgebauten Ritterrüstung, dort aus altgriechischen Metallspiegeln, aus venetianischem Glasgeschirr glitzernde Reflexe lockte. Es war ein scheinbar chaotisches Durcheinander, das emsige Sammlerhände hier aufgehäuft hatten. Zwischen den hingelegten, bemalten Holzflügelresten eines uralten Altarschreines, den Bruchstücken eines feinmodellirten ehemaligen Stadtbrunnen-Gitters, erhoben sich auf dem Boden lagernde Riesenfolianten, unter den Füßen graziöse Statuetten modernen Ursprunges. Schränke und Credenzen von kostbarer Schnitzarbeit stiegen an den Wänden empor, oder sie traten auch schräg coulissenartig in’s Zimmer herein, auf den Borden vollbesetzt mit pompejanischem Geschirr, mit kupfernen Trinkkannen, mit Glas- und Silberpokalen, und hoch vom Sims herab rauschten Brocatgardinen irgend eines Nabob-Himmelbettes vergangener Jahrhunderte als Thürvorhang auf den Boden; daneben ragte auf wuchtiger Steinconsole die Kolossalbüste eines altrömischen Kaisers aus der Wandfläche und hob ihr helles Profil lebendig von dem buntschillernden Faltengewoge seitwärts. Ueber dem goldgeäderten, schwarzen Lack des chinesischen Kaminschirmes breiteten sich Pfauenwedel zwischen Terracotta-Vasen aus Pompeji; ausgestopftes Gevögel, schneeweiße Ibisse und Flamingos mit rosafarbenem Gefieder leuchteten aus dem Halbdunkel der Winkel, oder sie standen stelzbeinig auf hingerollten Säulencapitälen aus Theben, neben steinernen Sphinxleibern und Relief-Fragmenten, und aus diesen zusammengewürfelten Steinresten drängten sich frischgrüne, breite Farrenwedel und stachlige Cacteen an’s Licht. – Aus dieser Zusammenhäufung des kostbarsten Materials sprach aber doch harmonisch in Formen und Farben, mächtig fesselnd der Gedanke des Künstlers.

Donna Mercedes war ihrer Schwägerin unwillkürlich bis unter die hinüberführende schmale Glasthür nachgegangen.

Die kleine Frau bemühte sich eben, das Album mit seinen verdorbenen Blättern geschickt unter den Mappen, Scripturen und Büchern eines Tisches zu verbergen.

„Nun was sagst Du zu der Bärenhöhle?“ fragte sie über die Schulter zurück. „Hat sich mein Freund nicht famos eingerichtet?“

„Ja, mit dem Gelde seiner Frau,“ sagte Donna Mercedes im Ton kalter Verachtung und trat mit einer nachlässig gleichgültigen Geberde vor die Staffelei, welche, die Rückseite schräg dem Glashause zukehrend, inmitten des Ateliers stand.

Aber sie schloß erschrocken die Lippen, auf denen offenbar noch eine scharfe Bemerkung geschwebt hatte, und fuhr unwillkürlich zurück; vielleicht wähnte sie in der ersten Ueberraschung, der Fackelschein auf dem Bilde da überfluthe ihr das eigene Haupt, wie er die hinter Buschwerk geflüchtete Frauengruppe grausam verrieth. – Dort aus dem Palaste – sie hatten wohl vor Minuten noch, aus dem Schlafe aufgeschreckt, angstvoll dessen Säle durchirrt – stürmte der Mord den vier Frauen nach. Das schützende Alleedunkel, die Nacht zwischen den hohen Taxushecken hatten sich als treulos erwiesen, und an der kleinen Mauerthür seitwärts fehlte der Schlüssel. Eine der Frauen, ein starkes Weib und offenbar die Dienerin, hatte sich niedergeworfen, und die Fingernägel drunten in die Thürfuge krallend, versuchte sie in wilder Todesnoth das feste, eisenbeschlagene Bohlengefüge aus Schloß und Angel zu reißen. Sie sowohl, wie die in die Kniee gesunkene schöne junge Frau, die wohl weniger für sich, als für das Kind in ihren Armen um Schonung zu flehen sich anschickte, bedeckte noch mitleidige halbe Dämmerung, die zwei Gestalten im Mittelgrunde dagegen wurden völlig überschüttet von dem rothen Lichte, das der erste aus der Allee stürzende Fackelträger vor sich herwarf. Würdig sterben wollte sie, die Hugenottin, die Gebieterin des altfranzösischen Herrenschlosses dort, die Dame mit dem schneeweißen Haar, über das sie flüchtend einen schwarzen Schleier geworfen hatte. Sie wußte, daß die fanatisirten Bluthunde der Königin keines der Leben verschonen würden, die in diesem letzten Schlupfwinkel athmeten – kein Blick fiel mehr auf den todesgeweihten Enkel an der Brust seiner Mutter, wohl aber zog sie einen Theil ihres Schleiers herab und warf ihn über die schöne nackte Brust des jungen Mädchens im losen Nachtgewande, das Schutz suchend sich an die hohe Matronengestalt schmiegte und mit entsetzten Augen nach den Verfolgern zurückstarrte; der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_396.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)