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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

durch äußerliche Beweggründe, sondern von den ernstesten Erwägungen sittlicher und politischer Art gegeben worden. Blicken wir auf die neun Jahre zurück, welche seit dem Abschlusse des siegreichen Feldzuges verflossen sind, so zeigt sich ein Gewirr von Fragenstürmen, die unbeschwichtigt und mit ruheloser Unablässigkeit unser inneres Leben durchtosten. Diese schweren Krisen haben zwar das hehre Bild dieser machtvollen Erhebung nicht aus dem Herzen unseres Volkes vertilgen können, aber bei dem Mangel an Sammlung, unter den ablenkenden Nöthen heftiger Tageskämpfe ist es doch einstweilen zurückgescheucht und überhaupt noch nicht zu seiner vollen Nachwirkung im besten Sinne des Wortes gekommen. Das ist aber ein herber Verlust, ein unermeßlicher Schaden. Viel jämmerliches Zerwürfniß, viel zorniger Kleinigkeitsgeist, viel schäbiger und bösartiger Interessestreit würde nicht so erheblich unsere gegenwärtige Uebergangsperiode herabdrücken und vergiften können, wenn die Erinnerung an den Thatenglanz vereinigter Nationalkraft, an die Gedanken und Vorsätze, das begeisterungsstarke Wollen und opfermuthige Vollbringen von 1870 auf 1871 uns noch allseitig ein Leitstern, eine aufrüttelnde und erfrischende Mahnung sein könnte in dem dunkelen Wirrsal dieser prüfungsreichen Tage.

Als eine solche Mahnung, wenn dies auch nicht gleich direct und ausdrücklich gesagt ist, rollt Scherr das welterschütternde Drama des großen Jahres vor dem Gewissen seines Volkes auf, und dadurch erlangt sein Buch die Bedeutung einer That. Die Geschichte des deutsch-französischen Krieges ist nur in Bezug auf manche Einzelheiten noch nicht endgültig aufgeklärt. Im Ganzen aber lag die Sache jedem Unbefangenen von vornherein schon klar, während zur Erhaltung des Details seitdem von allen Seiten her eine solche Fülle wichtigen Materials geliefert wurde, daß für die selbstständige deutsche Geschichtschreibung allerdings nicht blos die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht und Aufgabe erwachsen ist, es in geschlossener Darstellung zu verarbeiten. Scherr ist der erste unter unsern wirklichen Historikern, der sich dieser Aufgabe unterzogen hat. Ohne alles Ceremoniell pathetischer Einleitungsbetrachtungen, wie wir sie die Jahre her zur Genüge vernommen, erfaßt er sofort die Kern- und Brennpunkte der Bewegung und charakterisirt uns in den drei Abschnitten seines ersten Buches (Der Mann – Das Werk – Der Feind) die wachsende Spannung und Zuspitzung der Gegensätze, die Vorspiele und ideellen wie materiellen Vorbedingungen des endlichen Zusammenstoßes. Unter je drei kurzen Abschnittsüberschriften (Wörth, Gravelotte, Sedan – Straßburg, Metz, Paris – Orleans, Belfort, Versailles) werden wir sodann von dem zweiten Buche des ersten und dem dritten und vierten Buche des zweiten Bandes zunächst in die denkwürdige Situation nach dem Ausbruche des Krieges und dann in die weiteren Verläufe des gewaltigen Ringens bis zum Sturze des Bonapartismus und von da bis zum Abschluß des Friedens und der Constituirung des deutschen Kaiserreichs versetzt. Keine von den mannigfaltigen Seiten der verwickelten Hergänge bleibt hier bei der naturgemäßen Gruppirung des Stoffes unerörtert, und ebenso naturgemäß schlingen sich die zwölf abgerundeten Einzelblätter zu einem einheitlichen Gemälde in einander, das in seinen Wirkungen auf das Gemüth kaum minder großartig und ergreifend, in seinen Lehren aber noch deutlicher und eindringlicher sich erweist, als der geschilderte Nationalkampf es selber gewesen ist.

Mehr brauchen wir hier zur Hinweisung auf dieses charaktervolle, von dem mannhaft freisinnigen Geiste eines unabhängigen Patriotismus durchhauchte Buch wohl nicht zu sagen. Daß es zahlreiche Leser finden wird, dafür bürgt uns schon der volksthümliche Name des Verfassers, die wuchtige und durchaus originelle Schilderung, der Reichthum an pikanten und bezeichnenden Einzelzügen sowie an erhebenden geistvollen und witzigen Bemerkungen. Jeder unbefangene Deutsche aber, der es mit der erforderlichen Empfänglichkeit gelesen, wird es mit dem Bewußtsein aus der Hand legen, daß er da einen aufrichtenden und läuternden Eindruck empfangen hat. Mit einer gewissen Zuversicht darf man also hoffen, es werde das so geartete Bild des unvergeßlichen Jahres die hohe sittliche und ideale Aufgabe erfüllen helfen, welche Scherr am Schlusse seines Werkes diesem größten aller bisherigen Momente unserer vaterländischen Geschichte mit den Worten zuerkennt: „So selten ist ja uns Deutschen gestattet, unsere Blicke mit Befriedigung und Erhebung auf einem der Blätter ruhen zu lassen, welche die Geschicke unseres Landes erzählen. Darum soll kein Gegenwartleid und keine Zukunftssorge einen Schatten auf das Blatt werfen, auf welchem die Geschehnisse des Jahres 1870 und 1871 verzeichnet stehen. In voller Glanzhelle durchstrahle es die kommenden Jahrhunderte triumphirend und tröstend, warnend und wegzeigend, ein Leuchtfeuer deutscher Nation!“



Verbrennt die Springschnur! Die Springschnur gehört zu den beliebtesten Spielgeräthschaften der Kinder; es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß sie ein geradezu gefährliches Spielzeug ist, da sie nicht selten zu Störungen im kindlichen Organismus Anlaß giebt, welche selbst dessen Vernichtung herbeiführen können.

In erster Linie ist es der Fuß des Kindes, dessen Gesundheit durch ihre Benutzung gefährdet wird. Das stundenlange Hüpfen auf einer Stelle verbreitert und verflacht die gewölbte Form des Fußes; es schwellt die Knöchel und verstärkt die üble Wirkung der von so vielen Kindern getragenen straffen Strumpfbänder[1] in erheblichem Maße. Der Beweis ist leicht zu liefern. Das in gewöhnlicher Weise unterhalb des Kniees mäßig fest angelegte Strumpfband wird, wenn das Kind eine Zeit lang die Springschnur gehandhabt hat, tief in’s Fleisch einschneiden, eine rothblaue Furche ziehen und endlich gelockert werden müssen.

Nächst dem Fuße ist es die Lunge, welche durch die Springschnur bedroht wird; denn daß der Staub, welcher nicht selten massenhaft bei diesem Vergnügen eingeathmet wird, für die Lunge wie für die Gesammtgesundheit nicht zuträglich ist, liegt auf der Hand; ebenso droht dem Kinde die Gefahr der Erkältung nach der so gewaltsam erzeugten Ueberhitzung. Wie manches Kind, das seine Munterkeit verliert, an einem kurzen, hohlen Husten, der mitunter mit einem schleimigen Auswurfe verbunden ist, an Athemnoth oder drückenden, dumpfen Schmerzen in der Brust zu leiden beginnt, verdankt diese Vorboten schwererer Krankheitsformen dem verberblichen Spielzeuge!

Unmittelbar noch droht die Gefahr dem Verdauungssystem. Es geschieht öfter, daß in Folge des Springvergnügens Appetitsstörung eintritt: die Kinder klagen dann nach jeder Mahlzeit, der Magen sei geschwollen, und können um die Magengegend die Röcke nicht mehr fest zubinden; dabei magern sie ab, werden kraftlos und matt. Weit furchtbarer indeß ist auf diesem Gebiete die Möglichkeit, daß die Durchschüttelung der Eingeweide eine Darmverschlingung bewirkt, welche meist tödtlich verläuft. Fälle dieser Art waren es, welche zuerst die Aufmerksamkeit der Aerzte auf die Springschnur lenkten, indem einige Male das Verhältniß von Ursache und Wirkung dabei ganz evident erwiesen werden konnte.

Selbst auf das Centralorgan des Nervensystems machen häufige Springschnurübungen ihren Einfluß geltend. Die Achse des Eisenbahnwaggons, welche man durch wuchtige Hammerschläge nicht brechen konnte, erhält durch die viel geringeren, aber fortwährenden Erschütterungen beim Rollen auf den Schienen mit der Zeit ein krystallinisches Gefüge, wird morsch und brüchig und sie erliegt dann dem kleinsten Anstoße. Sollten unsere Nerven widerstandsfähiger sein, als Stahl und Eisen? Sie sind es sicher nicht. Die häufigen Stöße der Füße gegen den harten Kiesboden werden sich zunächst an zwei Stellen bemerkbar machen: erstens durch Schmerzen im Kreuze, zweitens durch solche im Kopfe, also durch unangenehme Empfindungen an jenen Gegenden, welche dem Gehirn und dem Rückenmarke, den Centralorganen des Nervensystems, entsprechen. Durch fortwährende kleine Zerrungen werden die feinsten Nervenfasern in ihren Verbindungen gelockert, und so wenig ein junges Bäumchen gedeihen wird, dessen Stamm täglich von rauher Hand stundenlang gerüttelt wird, ebenso wenig kann das Hüpfen über die Springschnur der normalen Entwickelung des Nervensystems förderlich sein. Auch hier bestätigt dem praktischen Arzte die Erfahrung, daß als Folge von Springschnurübungen nicht gar so selten chronische Gehirnerschütterungen vorkommen, welche, anfangs kaum erkennbar, mit der Zeit eine Abstumpfung der Sinnesorgane herausbilden, die Sehkraft schwächen und das Gehör abstumpfen, wobei gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Kindes auf die Dinge der Umgebung abnimmt. Manche verblendete Mutter freut sich, daß ihr Kind jetzt so still, so ruhig, so gut – leider darf man nicht hinzufügen: „so dumm“ geworden ist; bei zarteren, empfänglicheren Kindern freilich tritt zuweilen die Gehirnentzündung rasch in der furchtbarsten Form auf. Wenn dann die trostlosen Eltern nach den Ursachen der schrecklichen Erkrankung ihres früher so blühenden Kindes suchen – was soll da nicht Alles die Schuld tragen! Die Kost, die Wohnung, das Kindermädchen, das gewiß vor Zeiten einmal unvorsichtiger Weise das Kind hatte fallen lassen, ohne des Vorfalls zu erwähnen, oder der Arzt, der das Kind nicht richtig behandelt habe, und die wahre Ursache war doch nur – die Springschnur.

Dr. E. Lewy.


Zwei in Deutschland Verschollene. Der Klempnergeselle Georg Scipio aus Schweinfurt ging im Juni 1875 auf die Wanderschaft und arbeitete bis zum Frühjahr 1876 in Gotha und dann zu Freiburg im Breisgau, von wo er im Juni desselben Jahres zum letzte Male in die Heimath schrieb. Von da an ist jede Spur von ihm verloren, und alle Schritte bei den Behörden haben den trostlosen Eltern, die in ihm den einzigen Sohn vermissen, keine Auskunft über Leben oder Tod desselben verschaffen können. Vielleicht gelingt es dieser Anfrage, wenigstens der verzehrenden Ungewißheit der Angehörigen ein Ende zu machen.

Der Commis Bernh. Conrad aus Deutschossig bei Görlitz, 27 Jahre alt und von großer Statur, Sohn des Pastors emer. Conrad daselbst, hat sich im Sommer 1877 ohne Vorwissen seiner Eltern von Hause entfernt und zuletzt am 22. August vorigen Jahres von Brandenburg an der Havel aus um die Nachsendung von Kleidern gebeten, und zwar mit der Bemerkung, ihm dieselbe nach Güstrow zu senden, von wo aus er dann nach Magdeburg reise wollte. Sein Wunsch wurde ihm erfüllt, aber seit dieser Zeit sind die armen, alten Eltern, welche sich in Folge einer ganzen Reihe schwerer Schicksalsschläge im Zustande größter Hülflosigkeit befinden, ohne alle Kenntniß vom Aufenthalt ihres Sohnes und bitte alle Menschenfreunde, welche Auskunft über denselben zu geben im Stande sein sollten, um die gefällige Benachrichtigung durch die „Gartenlaube“.




Dank zu sagen haben wir für Gaben, welche ohne unsere Aufforderung dem nun nicht mehr „darbenden Ritter des Eisernen Kreuzes“ und noch zwei anderen seiner Schicksalsgenossen zugegangen. Es sind dies: M. 5 von J. C. H. in Zwickau; M. 3 von Marie Weimann in Offenbach am Main; M. 18 durch Friseur W. Mayer zu Nürnberg, von der dortigen Friseur-Genossenschaft; M. 5 von Leopold B… zu St. Petersburg; M. 10.5 von Frau Helene Sotoff in Kostroma durch Craz und Gerlach in Freiberg; M. 4 von Benedict Hnl. in München; M. 15 von einer Mutter. Dem Bittsteller ist geholfen; er hat Stellung in einer thüringischen Fabrik erhalten.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Verfasser hat schon seit vielen Jahren bei seinen Bekannten einen Apparat anwenden lassen, der aus einem mit Gummi durchwirkten Bande von der Länge des Oberschenkels besteht; das eine Ende desselben ist an einen Leibgürtel angenäht, während das andere an den Strumpf gebunden oder geknöpft wird. Dieses Strumpfband stört den Durchfluß des Blutes im Fuße nicht und begünstigt dessen normale Entwickelung zur schönen Form.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_408.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)