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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

den lichten Höhen der Wissenschaft empor, daß der Widerwille immer wieder in der Seele des Lesers erlischt vor athemloser Spannung. Trotz alledem und alledem weht ein Hauch unsterblichen Schaffens durch diese Blätter; ein nicht geringer Theil ihres Inhalts ist schon heute ein bleibender Gewinn der Socialwissenschaft geworden.

Im Frühjahre von 1864 konnte Lassalle auf einen Winter zurückblicken, den er ganz und von seiner Sache gewidmet hatte; mit größerem Rechte, als im Vorjahre, durfte er seiner Reiselust nachgeben. In den rheinischen Gemeinden gedachte er zunächst das Stiftungsfest des Vereins zu feiern, die Triumphe des vergangenen Herbstes zu erneuern, eine neue Heerschau über die erlesene Garde seiner Anhänger zu halten. Und als er nun in Düsseldorf, Ronsdorf, Wermelskirchen erschien, da war es, als wollte ein barmherziges Schicksal ihm wenigstens einen tiefen Trunk aus dem Taumelkelche gönnen, nach dem seine Lippen in den aufreibenden Sorgen des Winters fast verdurstet waren.

Er war gekommen, abgespannt, übermüdet, auch körperlich krank; seine Aerzte gaben ihm nur noch eine kurze Lebensfrist. Todesgedanken quälten ihn; als er die Arbeiter in Düsseldorf um sich versammelte, sagte er von düsterer Ahnung: „Im nächsten Jahre werdet Ihr diesen Saal schwarz ausschlagen,“ und gleich melancholisch schloß die Rede, welche er auf dieser Rundreise in den einzelnen Gemeinden hielt, mit den Worten „Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor!“ (Möge ein Rächer aus unsern Gebeinen erstehen!) Aber als nun zu dem eigentlichen Stiftungsfeste in Ronsdorf die Arbeiter der Umgegend in dichten Schaaren herbeiströmten, als sich Tausende und aber Tausende um ihn drängten mit jubelndem Zurufe, ihn unter Blumen erstickten und ihn priesen als ihren Heiland und Retter, da schnellte seine Seele mächtig empor aus der Tiefe der Verzagniß, und wieder leuchtenden Auges blickte er in die dunklen Schatten der Zukunft. „So,“ rief er triumphirend aus, „sehe es aus bei der Stiftung neuer Religionen,“ und als die Arbeiter ihn besangen:

„Wir grüßen Dich, Herr Präsident,
In unserm Deutsch-Verein,
Denn Dir gebührt die Ehre
Zu unserm Groß-Verein;
Und wenn wir nun gesieget,
Dann wollen wir uns freu’n,
Du bist uns hoch erkoren
In diesem Deutsch-Verein!“

da rühmt er freudig dies Lied „in seiner tiefen Innigkeit und Naivetät“ und brachte es glücklich fertig zu schreiben „Wer sich auf alten Volksgesang versteht, wird nicht wenig überrascht sein, seine unversiechliche Spur in vollster Schönheit hier wiederzufinden.“

Der Tag in Ronsdorf war der letzte Sonnenblick, welcher das verlorene Leben des Agitators streifte. Von nun an kam unaufhaltsam die Dämmerung: sie spann ihn tiefer und tiefer in ihre grauen Nebel, bis endlich der letzte Schimmer der glänzenden Gestalt in der finstern Wirrniß eines unwürdigen Abenteuers erlosch. Vom Mai bis Juli war Lassalle auf seinen Sommerfahrten noch mannigfach thätig für seinen Verein; sein letzter Brief an den Secretär datirt vom 28. Juli 1864, dem Tage, an welchem ihn Helene von Dönniges auf Rigi-Kaltbad aufgesucht hatte. Von da ab lebte Lassalle nur noch in der Liebesintrigue mit dieser Dame; die besorgten Anfragen des Secretärs blieben unbeantwortet; nicht mit dem Schatten eines Gedankens hat er mehr an das gedacht, was er die große Aufgabe seines Lebens nannte. Am 31. August starb er dann jenes blutigen Todes, der so sehr jeder echten Tragik entbehrt, wie ihrer vielleicht noch niemals das gewaltsame und selbstverschuldete Ende eines bedeutenden Menschen entbehrt hat.

Ein widerlicher Versuch, den Leichnam Lassalle’s für agitatorische Zwecke zu benutzen, scheiterte glücklicher Weise an dem Widerstande der Polizei. Dieselbe nahm den Sarg zu Köln in Beschlag, als die Gräfin Hatzfeldt ihn auf einem Rheindampfer nach Düsseldorf führen wollte, um daselbst eine große Todtenfeier der rheinischen Gemeinden zu veranstalten. Die Leiche wurde nach Breslau gebracht, der Vaterstadt Lassalle’s, dort unter polizeilicher Begleitung in einem Planwagen auf den jüdischen Kirchhof geführt und ohne jede Feierlichkeit beigesetzt. So seltsam erfüllte sich der Traum Lassalle’s, am Schlusse seiner demagogischen Laufbahn auf dem Wagen des Triumphators einzuziehen in die freiheits- und siegestrunkene Hauptstadt eines großen Volks!

Im socialdemokratischen Lager erscholl wilde Klage um den Tod des Führers; man feierte sein Andenken in den widerlichsten Formen des Götzendienstes. Stiller, aber tiefer und wahrer trauerten Alle, welche im Auf- und Niedergang dieses Leben verfolgt hatten, das mit allen reichsten Gaben begnadet war, um als ein erster Stern am Himmel der Menschheit zu glänzen, aber das durch eigene Schuld sich selbst gebannt hatte in jenes Zwischenreich geschichtlicher Größen, deren Namen im Gedächtnisse der Nachwelt nur dauern unter dem Fluche des Dichterwortes:

„Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt,
Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“




Die „Vivisection“ vor dem Richterstuhl der Gegenwart.[1]

Ein Wort zur Vermittelung.

Von Prof. C. Ludwig.

Das deutsche Publicum wird seit einiger Zeit von einer Agitation heimgesucht, welche mit den drastischsten Mitteln sich an schwachnervige und sentimentale Gemüther, namentlich der Frauen wendet, vor Allem aber an die Frömmigkeit appellirt, um durch den Druck der öffentlichen Meinung das gänzliche Verbot der sogenannten Vivisection, des wissenschaftlichen Experimentes am lebenden Thieren zu erzielen. Diese ganze Bewegung hat ihren Ursprung in England, und die Triebfedern derselben dienen wissentlich oder unwissentlich den Zwecken, welche die englischen Urheber im Auge haben. Um daher ein sicheres Urtheil in der Frage zu gewinnen, muß man sich zunächst Ursprung und Verlauf der Bewegung jenseits des Canals vergegenwärtigen.

Zum vollen Verständniß dieser Bewegung halte man sich gegenwärtig, daß alle ärztlichen Lehranstalten in England nur Privatinstitute sind. Der Staat ernennt keine Professoren; er ordnet nicht den Lehrplan und giebt zur Unterhaltung des Unterrichts keine Mittel; mit dem Staate kommen die medicinischen Facultäten nur in Berührung, wenn sie gegen die allgemein gültigen Gesetze verstoßen. Da dieser Fall eingetreten zu sein schien, als sich in öffentlichen Blättern die Anklage erhob, es werde in den medicinischen Laboratorien unter dem Vorwande der Wissenschaft gegen die Thiere auf das Grausamste vorgegangen, so verhängte im Jahre 1876 das Parlament wie billig eine Untersuchung. Aus einer strengen und sachgemäßen Prüfung der Thatsachen ergab sich jedoch alsbald, daß die gegen die medicinischen Schulen geschleuderten Vorwürfe durchaus ungerechtfertigt gewesen, und es traten nicht blos alle hervorragenden Aerzte, es traten auch alle anderen Naturforscher, ja sogar die Mitglieder des Thierschutzvereins, welche von dem Gebrauche Kenntniß genommen, der in England von der Vivisection gemacht worden, für die Ausübung der letzteren ein. Obwohl unter diesen Umständen keine Veranlassung zu einem Eingriff in den bisherigen Zustand vorlag, so erließ doch das

  1. Die „Gartenlaube“ hat über den Gegenstand bereits im vorigen Jahrgang (1878, S. 12 ff.) einen Artikel gebracht, welcher unsere Stellung zu der Frage erschöpfend darlegte. Wenn wir trotzdem einer der berufensten wissenschaftlichen Autoritäten hier das Wort zu erneuerter Erörterung der Frage ertheilen, so geschieht dies, weil in jüngster Zeit in Deutschland eine energische Anstrengung sichtlich wurde, die öffentliche Meinung für die Ausrottung der Vivisection zu interessiren – neuerdings aber, nachdem jener erste Ansturm die Aufmerksamkeit auf die Sache gelenkt, Versuche gemacht werden, in aller Stille planmäßig durch Bildung von Antivivisectionisten-Vereinen vorzugehen. Wir möchten das Unsrige thun, um in Deutschland Bewegungen zu verhüten, welche mit dem bekannten Weiberfeldzug gegen geistige Getränke in Amerika starke Aehnlichkeit haben.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_417.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)