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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Welt draußen und den kleinen Eingesperrten geschoben hatte.... Auf Mercedes’ Frage richtete sich Baron Schilling empor und sah in das schöne Antlitz mit dem zornigen, und doch durch einen feuchten Hauch verschleierten Blick. „Standhaft bleiben!“ versetzte er ruhig.

„Aber ich kann und will nicht,“ rief sie heftig und zog den Knaben in leidenschaftlicher Innigkeit an sich. „Ich werfe die entsetzliche Pflicht, mit Rohheit und Gemeinheit kämpfen zu müssen, von mir; die Last, die Felix weit unterschätzt hat, ist zu schwer für mich.“

„Tragen wir sie nicht zusammen? Bin ich nicht auch da?“ fragte er mit mildem Vorwurf.

Die ernste Güte, die Sanftheit in diesen Lauten übten auf Mercedes eine fast bestrickende Macht, die aber sofort durch ein Gefühl verletzten Frauenstolzes unterdrückt wurde. „Tragen wir sie nicht zusammen?“ hatte er gesagt – damit war eine Gemeinschaft zwischen ihnen bezeichnet. Dieser Mann hatte aber eine Frau, die boshafter Weise sein Haus verlassen, um den Ankommenden, sofern sie tactvoll waren, jeden Verkehr, jede nähere Beziehung zu ihm unmöglich zu machen. Mercedes war ein Mädchen, obwohl sie den Frauentitel führte – sie hatte einen Geist, furchtlos, energisch und thatkräftig wie ein Mann, allein daneben behauptete sich das echte Weib in ihr, keusch empfindlich wie eine Mimose. Ein unerklärbares Gemisch von Scham und Abscheu überkam sie.

Sie antwortete nicht; nur ihre kaltfunkelnden Augen unter finster gefalteten Brauen streiften ihn ausdrucksvoll.

„Ich bin zwar nicht gerichtlich bestellter Vormund für die beiden Kinder,“ sagte er gelassen, „aber Felix’ Briefe und mein Versprechen geben mir eine feste Stellung, von der ich nicht um eine Linie weichen werde. Ich habe demnach nicht zu erörtern, ob mich die Rohheit und Gemeinheit der Leute, mit denen ich rechnen muß, zurückstößt und entmuthigt, ob überhaupt mein persönliches Gefühl dabei beleidigt wird“ – er sprach mit erhöhter Stimme – „das muß völlig aus dem Spiele bleiben. Felix ist verarmt gestorben –“

Sie zuckte zusammen, als schneide dieser unumwundene Ausspruch wie ein Schwert durch ihre Seele, und das feine Roth, das eben in ihren blassen Wangen aufgedämmert war, verdunkelte sich.

„Nun ja; er hat keinen Dollar klingenden Vermögens hinterlassen; was mein Vater für ihn zurückgelegt hatte, steckte in seiner Plantage. Jetzt wächst das Unkraut lustig aus den verwüsteten Ländereien,“ setzte sie bitter lächelnd hinzu, „sie haben allen Werth verloren, seit die Hände, die sie bebautem, falsche Ringe an den Fingern tragen und freien Herren gehören.... Felix ist ein Bettler geworden, wie der ganze Süden finanziell total ruinirt ist.... Bah, was rede ich davon! Für den deutschen Rechtsbegriff ist ja das nur die nothwendige Sühne des alten Unrechts.“

In ausbrechender Erbitterung wandte sie ihm den Rücken, und jetzt hob sie die Arme, um die Haarmassen, die ihr bei der jähen Bewegung über den Busen geglitten, selbst unter das Netz zu stecken. In dieser Stellung waren die Linien des schlanken Körpers entzückend für ein Malerauge.

„Sie stützen Ihre Machtvollkommenheit hauptsächlich auf diese Verarmung, wie ich annehme?“ sagte sie plötzlich aufblickend, nachdem sie die letzte widerspenstige Haarsträhne unter den Seidenschlingen geborgen hatte.

„Allerdings,“ versetzte er. „Meine Aufgabe ist es, den Kindern um jeden Preis zu ihrem Erbe zu verhelfen –“

„Das ledige Geld!“ warf sie ein. Sie zuckte mit den Schultern und in ihrem Ton lag dieselbe kalte Verachtung, mit der sie vor wenigen Stunden im Atelier gesagt hatte: „Ja, mit dem Gelde seiner Frau!“

Baron Schilling stand vor ihr nicht als der Künstler mit dem meist träumerisch gesenkten Kopf und dem tiefsinnenden, wie nach innen gekehrten Blick, er erschien genau als Einer von Denen, die droben im Mittelsaale die alten gewundenen Holzrahmen füllten, fest, kraftvoll, ein Mann, der sich in seinem braven Wollen nicht beirren läßt.

„Ja, das leidige Geld!“ wiederholte er fest betonend. „Ich leugne seine Macht nicht, so wenig wie es Felix gethan, der das Erbe für seine Kinder gerettet wünschte – und er hatte Recht, sie brauchen es. Ich weiß, daß ich mit diesem Ausspruche ein böses Vorurtheil nähre, aber ich muß es mir gefallen lassen!“

Sie sah auf den Kies zu ihren Füßen, dann flog ein geringschätzender Zug um ihre Lippen.

„So fürchten Sie, die Kinder müßten Hungers sterben ohne das Geld der alten Frau?“ fragte sie, seine letzte Bemerkung übergehend.

Er lächelte. „Die Kleinen haben eine sehr energische Tante, die wohl schlimmsten Falles zu harter Arbeit greifen würde, um ihre Lieblinge nicht Mangel leiden zu lassen. – Mehr weiß ich nicht, aber ich brauche und wünsche auch keinen tieferen Einblick in die Verhältnisse, weil ich trotz alledem bei meiner Ansicht beharren muß. Ich rechne mit den Mächten, die unseren Lebensweg kreuzen“ – er zögerte, und jetzt suchte sein Blick den Boden – „Sie sind sehr jung –“

„Aber fest genug, um einem Todten die Treue zu halten,“ unterbrach sie ihn verständnißvoll, während eine jähe Gluth ihr ganzes Gesicht bedeckte.

Ein augenblickliches Schweigen trat ein – man hörte José’s Stimme, der sich, unfern auf einer Gartenbank stehend, unter Deborah’s ordnenden Händen befand und dabei unausgesetzt von seinem Erlebniß auf dem Klostergute sprach.

„Nur Eines möchte ich wissen,“ begann Baron Schilling ablenkend. „Warum lassen Sie die kleine Frau in dem Wahn, daß sie reich, ‚immense reich’ sei? – Einmal muß sie ja doch die Wahrheit hören.“

„Ich halte das nicht für nöthig, so lange sie nicht ihr Geschick von dem meinigen trennt,“ versetzte Donna Mercedes gelassen. „Lucile würde sterben an dem Gedanken, daß sie nicht mehr über Reichthümer zu verfügen habe. Felix hat sie geliebt bis in den Tod. Die Angst um die Zukunft dieses kindischen, genußsüchtigen Wesens hat ihn noch mehr gequält, als die Sorge um José und Paula. Ich habe ihm heilig gelobt, über sie zu wachen, und so betrachte ich sie fast wie eine ältere Schwester ihrer Kinder, als welche sie sich ja auch am liebster gerirt.“ Ein leises, verächtliches Lächeln stahl sich flüchtig um ihren Mund. „Lucile ist brustschwach – die Aerzte behaupten, sie befände sich bereits in den ersten Stadien der Lungenschwindsucht,“ fuhr sie ernst fort. „Es ist mithin meine Aufgabe, ihr jede wirkliche Aufregung fern zu halten. Aus dem Grunde habe ich auch vorhin streng verboten, daß sie von José’s Verschwinden benachrichtigt werde, ehe wir eine Gewißheit hätten.“

Sie rief den Knaben herbei und ergriff seine Hand.

„Vielleicht begleiten Sie mich zu Lucile,“ sagte sie zu Baron Schilling. „Es ist möglich, daß sie nunmehr von dem Vorfall erfahren hat; sie regt sich oft nachträglich noch unnöthig auf, und das wird Ihr Besuch verhindern.“

Sie gingen nach dem Säulenhause.




19.

Donna Mercedes betrat sonst nie Lucile’s Gemächer – sie hatte keine Veranlassung dazu. Die Mahlzeiten nahm man im großen Salon ein; auch der Thee wurde Abends dort getrunken, trotz Lucile’s täglich sich erneuernden Protestes, und die Kinderstube war nur durch Mercedes’ Schlafzimmer von diesem Salon getrennt. – –

Draußen lag noch heller Sonnenglanz; von Westen her zu röthlicher Gluth entfacht, machte er die Welt in einem doppelt grellen Lichte schwimmen und fiel breit in die Fenster des Hauses.

Nur in Lucile’s Wohnzimmer war mittelst fest vorgelegter Läden und zugezogener Gardinen intensive, von Kerzen- und Lampenlicht durchstrahlte Nacht hergestellt. Am Plafond brannte der kleine Kronleuchter; zu beiden Seiten des deckenhohen Pfeilerspiegels flammten Kerzen auf den Bronze-Armen, und das Licht hoch auf Etagèren placirter Kugellampen floß weiß hernieder – man suchte unwillkürlich nach dem schwarzbehangenen Katafalk, auf den dieses Glanzmeer zu strömen habe, aber es war etwas ganz Anderes – es war Bühnenlicht.

Vor dem Spiegel gaukelte wie ein Schmetterling ein zartes kleines Menschenkind. Ueber fleischfarbenen Tricots bauschte sich ein ganz kurzes Röckchen von goldgelbem Atlas; ein silberbesetztes rothlila Sammetmieder umschloß eine zerbrechlich dünne Mädchentaille,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_446.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)