Seite:Die Gartenlaube (1879) 448.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Betonung gesagt hatte: „der Mann hat sich verkauft.“... Er ertappte eine sichtliche Spannung, aber auch kaltlächelnden Hohn in den geistreichen Zügen.

„Ich bin Ihnen sehr verbunden, Frau Lucian – Sie sind die Barmherzigkeit selbst,“ sagte er, ihre indiscreten Fragen völlig übergehend, mit scharfem Spott. „Aber Sie dürfen sich beruhigen; ich kann Ihnen versichern, daß ich an meinem Loos nichts auszusetzen habe.“

Er legte die Hand auf den Thürgriff, und José, der sich während der ganzen Zeit fest an ihn geschmiegt, ja, sich hinter ihm förmlich versteckt hatte, trat dicht an die Thürspalte, um beim Oeffnen sofort hinauslaufen zu können – es war, als brenne dem Kinde die Schwelle unter den Sohlen.

„Wir waren gekommen, Ihnen diesen kleinen Ausreißer heil und unversehrt zuzuführen“ – sagte Baron Schilling, auf den Knaben deutend, immer noch mit harter Stimme.

„Ach ja“ – fiel Lucile ein – „er war ja wohl für einen Moment nicht zu finden? Man hat ihn auch bei mir gesucht – war es nicht der Bediente Robert, den Du an der Thür abfertigtest, Minna?“ Sie zog die Schultern empor. „Ich habe nicht weiter daran gedacht – solch ein großer Bursche kann ja doch wahrhaftig nicht verloren gehen wie eine Stecknadel.“ Sie trat näher und legte die Hand schmeichelnd auf den Kopf des Kindes. „Wo hast Du denn gesteckt, mein Junge?“

Der Knabe, der ihr immer noch den Rücken zukehrte, schüttelte in wilder Aufregung die Hand von sich.

„Nein, Mama, nein!“ schrie er auf, ohne ihr das Gesicht zuzuwenden – er drückte die Stirn so fest an die Thür, als wolle er sie in das Holz einbohren. „Ziehe Deinen langen Schlafrock an! Ich kann Dich nicht ansehen. – Du bist gar nicht meine Mama – nein!“

„Einfältiger Junge!“ zürnte sie und faßte ihn an der Schulter, um ihn gewaltsam umzudrehen, aber bei dem Kinde machte sich jetzt offenbar die erlittene heftige Nervenerschütterung geltend; sonst so sanft und fügsam, sträubte es sich und verfiel dabei in ein convulsivisches Weinen, in welches sein erschrockenes Schwesterchen aus Leibeskräften einstimmte.

„Gott im Himmel, das ist ja zum Verrücktwerden!“ rief Lucile, und beide Hände auf die Ohren pressend, floh sie in das Nebenzimmer, dessen Thür sie schmetternd hinter sich zuwarf, während Baron Schilling schweigend den Knaben auf seinen Armen hinaustrug und Donna Mercedes im Verein mit der Kammerjungfer die kleine Paula zu beruhigen suchte.

„Mir steht das Gethue bis an den Hals – ich mag gar nicht mehr hinsehen,“ sagte der Bediente Robert draußen indignirt und mit verachtungsvollem Blick, nachdem Baron Schilling mit dem Knaben an ihm vorüber in die Kinderstube gegangen war.

Er stand mit dem Gärtner an der offenen, nach dem großen Garten führenden Thür der Flurhalle, und Mamsell Birkner, die eben aus dem Souterrain kam, um Deborah das Gebäck für den Theetisch zu bringen trat auch hinzu.

„Da haben wir Alle Gott gedankt, daß die Gnädige den guten Einfall hatte, ihre Minka einstweilen auswärts in Pflege zu thun,“ sagte der Bediente weiter, „und jetzt gäb’ ich gleich zehn Thaler drum, wenn wir sie wieder da hätten, und es wäre Alles beim Alten. Man versetzte manchmal der schwarzen Canaille einen heimlichen Knuff und Fußtritt, und da hatte man Ruhe für eine ganze Zeit.... Aber jetzt? – Zum Todtärgern ist die Wirthschaft. – Wohin man tritt, liegt das Spielzeug im Wege – es thäte noth, man machte in einem fort den Buckel krumm, den Kram wegzuräumen, und vor der wilden Bestie, dem Hund, muß man ewig auf der Flucht sein; ich wüßte schon, was ich dem am liebsten in die volle Fleischschüssel thäte. Und die verzogenen Rangen alarmiren fortwährend unser ganzes Haus. Bald muß man mit Stangen rennen, um nach dem Jungen im Teiche zu fischen, bald dem heulenden Ding, dem kleinen Mädchen, beispringen, wenn es auf die Nase gefallen ist, und eben haben sie Beide geschrieen, daß mir noch die Haare zu Berge stehen. Und dafür kriegt man nicht einmal einen Blick, geschweige denn einen Dank von der hochnäsigen Madame, die nicht einmal ihr Essen bezahlen kann. Dem Herrn kostet das ein Heidengeld, und dabei thut er doch, als sei er in seinem ganzen Leben noch nicht so glücklich gewesen. Damit soll er aber der Gnädigen nur kommen – sie kann das Kindervolk nicht ausstehen; man sieht ihr die stille Wuth an, wenn ihr solch ein kleines Ding unversehens über den Weg läuft –“

„Ja, weil ihr der liebe Gott keine eigenen bescheert,“ fiel Mamsell Birkner ein und schob und ordnete an dem Gebäck auf dem Teller, den sie in der Hand hielt.

„Nun vielleicht betet sie deshalb in Rom,“ lachte der Bediente.

„In Rom ist sie ja gar nicht mehr,“ flüsterte der Gärtner; „sie ist zu Besuch in einem Kloster.“ Er verstummte plötzlich verlegen, und auf die erstaunten Fragen der Anderen hin sagte er ausweichend, er habe „ein Vögelchen davon singen hören“ – daß er bei Ausübung seiner Functionen im Wintergarten und im Atelier in einen offen daliegenden Brief der Gnädigen geschielt hatte, konnte er freilich nicht sagen. „Ich glaube, sie kommt bald wieder,“ meinte er mit verständnißvollem Augenzwinkern, „nachher sollt Ihr aber sehen, was passirt. Die amerikanische Gesellschaft fliegt aus der Thür, daß es eine Art hat – denkt an mich!“

„Das leidet der Herr nicht,“ sagte die Mamsell ganz erregt.

„Ich bitte Sie, Mamsell Birkner!“ versetzte der Bediente höhnisch. „Wem gehört denn der Schillingshof?“

„Uns!“ platzte sie erbittert heraus. „Uns gehört er, und nicht den Steinbrücks. Wie wir noch zusammen waren, der alte Freiherr und der Arnold – der gnädige Herr wollt’ ich sagen – und ich, da gab es keine Gnädige bei uns, und wir haben auch gelebt und sind in unserm Gott vergnügt gewesen. Ueber das Haus hier hatte der alte Herr allein zu befehlen; hier ist er geboren und gestorben. Und gut und kreuzfidel waren Alle, und die Kellerschlüssel sind auch nie auf die Reise mitgenommen worden, als wäre das Haus voll Spitzbuben –“ sie hielt plötzlich inne und trat respectvoll zur Seite.

Die schöne, stolze Frau kam mit der kleinen Paula von Lucile’s Gemächern her. Wie ein breiter, schwarzer Schatten lagen die Wimpern tief auf ihren Wangen; sie schritt vorbei, als seien die Leute an der Thür von Stein, wie die Statuen in den Nischen.

„Bettelprinzeß!“ murmelte der Bediente Robert grimmig zwischen den Zähnen, während sie in der Thür nächst der Laokoongruppe verschwand.

(Fortsetzung folgt.)




Tunesische Studien.
Von Fritz Wernick.
I.
Das Project der Sahara-Bewässerung und die „tunesische Frage“. – Landschaftliches von der Küste. – Die Sommerresidenz Goletta. – Tunis sonst und jetzt. – Der Bey: seine „See- und Landmacht“, sein Hofstaat und seine Justiz. – Der Bahira-See und sein Geheimniß. – Ein Jäger-Paradies. – Feiertag in der Hauptstadt. – Tunesische Friedhofspoesie.

In der Mitte der Nordküste Afrikas etwa, da wo der Busen von Kabes tief nach Süden einbuchtet, scheidet nur ein Hügelland mit wenig bedeckenden Erhebungen das Mittelländische Meer von den unermeßlichen Sandgefilden, die einst ebenfalls mit der salzigen Fluth bedeckt gewesen sind. Dieses Hügelland ist kein felsiges, sondern besteht ebenfalls aus Sand mit leichter Beimischung von Thon oder Lehm, wäre also mühelos zu durchstechen. Gelänge das den französischen Ingenieuren, so würde im Süden der Colonie Algier eine neue Welt entstehen. Das Becken der Wüste liegt theilweise bis 70 Meter tiefer als der Spiegel des Mittelmeeres. Wollte man diesem nun einen Weg in die Sahara öffnen, so würde sich dort sofort ein Binnenmeer bilden. Die unermeßlich reichen Ernten der Oasen brauchten dann nicht ferner auf dem Rücken der Kameele den beschwerlichen weiten Weg über die Gebirge des Atlas nach den nördlichen Hafenstädten zu machen, um für den Weltmarkt verschifft zu werden. Dann

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_448.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)