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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

des Hauses vergöttert und verzogen und dafür unter ihren wechselnden, unberechenbaren Launen oft genug gelitten.

„Die Lebensgefahr ist vorüber, und da gewinnen die bösen Geister die alte Macht,“ fuhr er fort. „Sie wollen mir wehe thun, wie Sie vielleicht stets gewohnt gewesen sind, mit den armen Seelen zu verfahren, die in Ihren Lichtkreis treten mußten. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie es hier mit einem schwerfälligen Deutschen zu thun haben – wir wissen mit dem pikanten Luftwesen ‚Caprice’ nichts anzufangen und suchen nach ehrlichen Gründen. Und so möchte ich doch einmal fragen: ‚Warum soll ich verbannt werden?’“

Sie sah deutlich, ihm kam nicht die leiseste Ahnung von ihren Beweggründen. Nun führte er aber Alles auf Launen ihrerseits zurück, und dieses Unrecht erbitterte sie, allein ihr unbändiger Stolz, der sie in solchen Fällen stets verhärtete, litt es auch jetzt nicht, daß sie sich auch nur zu einem Schein von Rechtfertigung herablasse. Der böse Zug grenzenlosen Hochmuthes, der die Dame im violetten Sammet da oben charakterisirte, glitt in frappanter Aehnlichkeit, abstoßend und verhäßlichend auch um den Mund der Tochter.

„Ich habe es bereits gesagt – es widerstrebt mir, fernere Opfer anzunehmen,“ versetzte sie in eintönig frostiger Wiederholung, aber ohne aufzusehen.

Er trat mit ungestümer Bewegung vom Schreibtisch weg.

„Ich könnte Ihnen entgegnen, daß Felix sein Kind so gut unter meinen Schutz gestellt hat, wie unter den seiner Schwester, und da, wo die Pflicht gebietet, kann von einem freiwilligen Opfer gar nicht die Rede sein – wir erfüllen eben Beide nur unser gegebenes Wort,“ sagte er, ihr das Gesicht über die Schulter zuwendend. „Ich habe aus dem Grunde dieses Zimmer“ – er zeigte nach der Krankenstube – „bisher als vollkommen neutralen Boden betrachtet, auf welchem wir einmüthig wirkten, und müßte ich befürchten, daß mit meinem Ausscheiden aus der Pflege auch nur der mindeste Nachtheil für José erwüchse, so wiche ich nicht um eine Linie von meinem Posten – sicher nicht! Ich weiß jedoch das Kind wohlbehütet, und so gehe ich.“

„Sie gehen im Zorne!“ sagte sie mit blassen Lippen; allein sie stand da, als sei ihre schlanke Gestalt zu Marmor geworden; sie machte nicht die leiseste Bewegung, ihn zurückzuhalten; auch ihre Stimme klang trotzig und gereizt, fast als gefalle sie sich im Widerstand.

„Ja, ich grolle, aber zumeist mit mir selber, mit meiner Vertrauensseligkeit, die mich täppisch, gegen besseres Wissen, in eine demüthigende Situation gebracht hat. Ich habe schon böse Worte von Ihren Lippen gehört – Sie haben mich schnöde verurtheilt, ohne den geringsten Einblick in die wahre Sachlage –“

Sie wandte sich ab und schob und rückte mit unsicherer Hand an den verschiedenen Utensilien des Schreibtisches.

Ihr vernichtender Ausspruch über die unglückliche Negerrace klingt heute noch in mir nach, wie er mich neulich in tiefster Seele empörte,“ fuhr er unbeirrt fort, „und doch ließ sich mein Urtheil einlullen, weil ich Sie bewunderungswürdige Großmuth und Selbstverleugnung gegen die Frau Ihres Bruders üben sah, weil Sie die tiefste Zärtlichkeit, einen rückhaltslosen Opfermuth für seine Kinder an den Tag legen. In Ihrer Seele ringen zwei Mächte – die Gottesgabe einer edlen, großangelegten Natur, und eine schlimme Consequenz der Erziehung. Unter der letzteren, der Wandelbarkeit der Laune, lassen Sie augenblicklich auch mich leiden, aber ein zweites Mal wird es nicht geschehen – ich habe wenig Neigung zur sclavischen Unterwürfigkeit in mir.“

Er verbeugte sich und ging in das Krankenzimmer. Dort trat er an das Bett – Deborah war bei Erscheinen des Arztes hinausgegangen – und die Dame im Fensterbogen sah mit verstohlenem Seitenblicke durch die Thür, wie er sich in tiefer Bewegung über das schlafende Kind bog. Einen Augenblick legte er seine schöne, schlanke Rechte leicht auf die Stirn desselben, dann verließ er durch die Kinderstube die Erdgeschoßwohnung.

Donna Mercedes horchte auf seine verhallenden Schritte, als wolle sie den Klang in sich aufnehmen, weil – sie ihn in diesen Räumen nicht wieder hören sollte – aus ihrem Gesicht war jeder Blutstropfen gewichen. Sie hatte eben eine Sprache hören müssen, wie sie das verwöhnte, umschmeichelte Ohr der überall siegenden spanischen Schönheit noch nicht berührt. Und doch war sie nur insofern im Unrecht, als sie ihre wohlbegründete Erbitterung und Gereiztheit nicht besser gezügelt, aber hatte sie es, der Männerwelt gegenüber, je der Mühe werth gehalten, sich liebenswürdiger zu zeigen, als sie augenblicklich empfand?... Der da im Bronzerahmen, der Nabob von Südcarolina, der hochmüthigste, anmaßendste unter den Pflanzerbaronen, er war in der That nichts Anderes als ihr Sclave gewesen.

Sie verließ in stürmischer Bewegung den Fensterbogen, und vor José’s Bett niedersinkend, vergrub sie die glühende Stirn in das kühle Linnen der Decke.




22.

Mehrere Tage waren verstrichen. Die Genesung des kleinen José schritt sehr langsam, kaum merklich vorwärts. Er lag matt und kraftlos in den Kissen, und nach wie vor mußte jedes laute Geräusch, jeder starke Lichtschein streng vermieden werden, denn die zurückgebliebene Schwäche des Kindes war groß. Man ging daher in der Nähe des Krankenzimmers immer noch auf den Zehen; im Vorgarten durften die Gasflammen noch nicht angezündet werden, und das Stroh auf dem Kiesweg vor der Säulenhalle war erneuert worden.

Donna Mercedes hatte den Herrn des Schillingshofes nicht wiedergesehen. Gleich nach seinem Weggang war Hannchen in seinem Auftrag erschienen, um Donna Mercedes in der Pflege zu unterstützen und die Abgesandte war ohne Widerrede angenommen worden.

Das Mädchen mit dem schweigsamen, geräuschlosen Wesen paßte vortrefflich zur Krankenpflegerin. War es doch, als habe sich ihr junges, seltsam verdüstertes Gesicht förmlich aufgehellt, seit sie über die Schwelle des großen Salons gegangen war, um Tag und Nacht dazubleiben. José gewann sie lieb, und auch Donna Mercedes gewöhnte sich an das Mädchen, das nie sprach, ohne gefragt zu werden, und nie mit einem zudringlichen Blick die Dame auch nur streifte. Ganz ihrer Aufgabe hingegeben, bedurfte sie anscheinend zu keiner Zeit des Ausruhens, und nie zeigte sie das Bedürfniß, sich zu erquicken, oder auch einmal in anderer Luft aufzuathmen. Sie schien nur außergewöhnlich empfindlich für jedes auch noch so leise Geräusch, das sich in der tiefen, behüteten Stille der Erdgeschoßwohnung bemerklich machte. Dann war es, als concentrire sich die ganze Seele des Mädchens im Ohr, so regungslos aufhorchend verharrte sie für Augenblicke. Sie hemmte manchmal plötzlich wie festgewurzelt inmitten des großen Salons ihre Schritte – mit zurückgehaltenem Athem, den Oberkörper vorgebogen und die Augen unheimlich erregt auf die Wand geheftet, an der sich die Ruhebank mit den grünseidenen Polstern hinzog, stand das sonst so gemessen und gleichmäßig auftretende Mädchen da.

Lucile, die sie einmal in dieser Stellung überrascht hatte, behauptete, das sei notorische Verrücktheit, und ging ihr aus dem Wege, wo sie konnte. Die kleine Frau kam überhaupt jetzt seltener in die Erdgeschoßwohnung – es ärgerte sie, daß man immer noch so „viel Wesens“ mache; dem Jungen thäte kein Finger mehr weh; und doch würde immer noch so unausstehlich geschlichen und geflüstert; und wenn sie „dem armen, halbverhungerten Kerl“ ein paar unschuldige Näschereien zustecke, da zanke man auf sie hinein, als habe sie ihn vergiften wollen.

Von dem, was zwischen Donna Mercedes und dem Hausherrn vorgefallen, ahnte sie nichts. Sie fand es ganz begreiflich, daß er sich nunmehr wieder in das Atelier zurückgezogen und in sein Werk vertieft habe, um die Versäumniß der letzten Wochen auszugleichen, und es verdroß sie nur, daß er für nichts Anderes mehr Augen und Ohren hatte. Er stehe wie festgenagelt an seiner Staffelei, sagte sie, und der Blick, den er ihr zuwerfe, wenn sie sich einmal einfallen lasse, durch die Glaswand des Wintergartens zu sehen, sei nichts weniger als einladend.

Allem Anschein nach suchte sie sich „der aus allen Ecken gähnenden Langeweile“ durch Amüsements in ihren Räumen zu entziehen – sie setzte offenbar ihre Tanzübungen fort. Die kleine Paula erzählte, die Mama habe Flügel, wie die Engelein in José’s Bilderbuch; sie habe „immer keine Strümpfe an“ und lauter Gold und Silber auf ihren Kleidern. Dabei wurden drüben große Kisten gepackt und fortgeschickt – „lauter altmodische Toiletten“, welche die Modistin in Berlin auffrischen und verändern sollte. Lucile ging jetzt auch öfter in Begleitung ihrer Kammerjungfer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_482.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)