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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und wuchern fadenschießend sowohl nach oben gegen die Mundhöhle, wie nach unten in das Innere des Zahnes hinein.


Fig. 2. Kranker Zahn.
(Vergr. 6 = 36malige Flächenvergrößerung.)


Jeder Zahn (Fig. 2) besteht aus verschiedenartig gebildeten Stoffen, erstens aus einer die Zahnkrone bildenden äußern festen und harten glasartigen Emailmasse, dem Zahnschmelze (Fig. 2 a) und zweitens aus der eigentlichen Zahnsubstanz oder dem Zahnbeine (Fig. 2 b). Letzteres ist aus einem System unzähliger nach der Mitte sich erstreckender parallel laufender Röhrchen, den Zahn-Canälchen, zusammengesetzt. Ein dritte Substanz endlich umgiebt die Zahnwurzeln von außen und bildet das knochenartige Cement oder den Zahnkitt (Fig. 2 c). Diese Knochenmasse beginnt als eine dünne Lage da, wo der Schmelz aufhört, und verkittet gleichsam die Zahnwurzel mit dem Kieferknochen. Jeder Zahn hat in seiner Mitte einen Hohlraum (d), welcher durch einen oder mehrere Canäle (g i) mit dem Blutkreislaufe und dem Nervensystem des gesammten Organismus in Verbindung steht. Jene Canäle durchsetzen die Zahnwurzeln von g bis i und führen Blutadern und Nerven, welche sich in dem Innern des Zahnes zu Netzwerken auflösen, um demselben Ernährung und Empfindung zu übermitteln. Die Gesammtheit der Ader- und Nervenverästelungen in der Innenhöhle eines Zahnes nennt man die Zahnpulpa (d).

Unsere Figur 2 stellt in 36facher Vergrößerung einen zweiwurzeligen Backenzahn dar, dessen Zahnschmelz in Folge einer Verletzung bei f einen kleinen Sprung erhalten hatte. In diesen Sprung, welcher bei der erwähnten Vergrößerung wie ein klaffender Abgrund aussieht, haben sich Pilzkeime eingelagert, von der umgebenden Zahn-Emailmasse wie von einer Schutzmauer gedeckt. Von den körnchenförmigen Keimen, der sogenannten Matrix, gehen reichliche Pilzfäden aus, welche nicht nur in der kleinen Höhle sich verbreiten, sondern auch durch die erwähnten Zahncanälchen hindurch nach dem Innern, nach der Stätte der Lebensthätigkeit des Zahns, der Zahnpulpa (d) fortwuchern. Die knöcherne Masse wird hierdurch anfangs dunkler gefärbt; später werden die Canälchen ausgedehnt und allmählich durch Ueberwucherung zerstört. Auf diese Weise beginnen die Zähne hohl zu werden. In einem bestimmten Momente, oft ganz plötzlich, tritt jener wahnsinnige Schmerz auf, welcher den Leidenden zum Zahnarzte führt. Es ist dieses der Augenblick, wo die Zahncaries (Fäulniß) und die Pilzkeime die im Innern des Zahnes sich verbreitenden Nervenästchen erreicht haben. Nach Reinigung der kranken Höhle findet sich gewöhnlich, daß die Zerstörung des Zahnbeines bis zu den Zahnnerven und zu der Zahnpulpa vorgedrungen ist.

In welch kolossalem Grade solche Pilzwucherungen das Zahnbein zerstören können, ist aus unserer Figur 3 ersichtlich. Die Abbildung stellt ein Stückchen durch Pilzwucherungen zerklüfteten Zahnbeins in 200facher Linearvergrößerung dar.


Fig. 3. Durch Pilze zerstörtes Zahnbein.
(Vergr. 200 = 40,000fache Flächenvergrößerung.)


Wir sehen hier, daß die wie Grashalme emporschießenden Pilzbildungen das früher noch sehr feste Zahngewebe zertrümmert haben, indem sie ihre feinkörnigen rundlichen Keime in millionenfacher Anzahl zwischen die Bruchstücke des Zahngewebes hindurchschoben. Unsere Abbildung giebt einen lebhaften Begriff von der raschen Lebensthätigkeit dieser niederen Pflanzen-Parasiten.

Die Hauptaufgabe eines rationellen Zahnarztes ist heutzutage, durch geeignete antiseptische oder pilztödtende Mittel, nachdem er die Höhle mechanisch gereinigt hat, die Krankheitserreger zu vernichten. Eine vortreffliche antiseptische Methode, durch Fäulniß erkrankte Zähne zu heilen, hat ein intelligenter Zahnarzt, Herr Adolph Witzel in Essen an der Ruhr, erfunden und seine Erfahrungen auf diesem Gebiete in einem mit vorzüglichen Abbildungen geschmückten Werke, betitelt: „Die antiseptische Behandlung der Pulpakrankheiten des Zahnes“, niedergelegt.

Die meisten Menschen sind in Bezug auf die Behandlung ihrer Zähne höchst leichtsinnig. Würde Jeder, sobald sich an irgend einem Zahne durch Vermittelung des feinsten Tastinstrumentes, das wir besitzen, der Zunge, eine kleine Krankheit oder Vertiefung bemerkbar macht, sofort zur Reinigung und Ausfüllung, der sogenannten Plombirung, sich entschließen, bevor Fäulniß und Pilzwucherung weiter in die Tiefe vorgedrungen sind, so würden viele Schmerzen erspart und mancher sonst noch vortreffliche Zahn erhalten bleiben können.

In seltenen Fällen kommt es übrigens vor, daß auch lebensgefährliche Pilzwucherungen in den Zahnhöhlen ihr Unwesen beginnen und von da aus ihre zerstörenden Keime auf dem Wege der Blutcirculation nach anderen Körpertheilen aussenden. In Figur 4 ist auf Grund einer genauen, nach der Natur wiedergegebenen mikrophotographischen Darstellung ein etwas seltener Zahnhöhlenpilz zu sehen, welcher seine Keime unter Umständen in den Organismus überwandern läßt und dadurch Blutvergiftung (Pyämie) herbeiführen kann. Die kolbigen Enden einzelner Pilzfäden öffnen sich und lassen die Keime des Pilzes, die Pilzsporen, frei austreten. Diese in unserer Figur als kleine Kugeln vielfach sichtbaren Fortpflanzungsorgane gelangen aus der Zahnhöhle in den Blutkreislauf. In dem Eiter von Zahngeschwüren hat man den Beginn der Pilzentwickelung aus solchen Sporen mehrfach beobachtet und von hier aus deren Verschleppung nach inneren Organen, wie der Lunge, der Leber, der Milz etc. folgen können.

Viele Aehnlichkeit hat der in Fig. 4 abgebildete Fadenpilz mit einer Form, welche sich oft in dem Munde kleiner Kinder, besonders solcher, die mit künstlicher Nahrung aufgefüttert werden, vorfindet. Es ist dies der sogenannte Soorpilz oder das Oidium albicans, ein Gebilde, welches, wenn der Mund der Säuglinge nicht regelmäßig gereinigt und ausgewaschen wird, sich oft auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_507.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)