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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Die Läden der Räume, die nach der Straße, nach dem Hofe führen, habe er gleichfalls selbst geschlossen.

„Wie stand es mit der Hofthür?“ fragte Kern.

„Auch diese hat der Meister vor dem Schlafengehen verriegelt, wie immer,“ versicherten die Lehrlinge.

„Ich habe sie noch verriegelt gefunden, als ich nach zehn Uhr mich niederlegte,“ ergänzte Margret. „Ja, selbst noch, als ich während der Ermordung des Herrn auf den Hof eilte, war sie verriegelt.“

„Und die Hausthür?“ fragte Kern weiter.

„Auch diese war verschlossen, als ich in’s Bett ging, Herr Amtsrichter,“ erklärte Margret.

„Sie waren zu jener Zeit noch in der Ressource?“ wandte sich der Richter an King.

„Jawohl.“

„Sie führen selbst einen Hausschlüssel?“

„Ja.“

„Wo ist er?“

„Oben in meiner Kammer.“

„Sie werden mir ihn nachher zeigen.“

„Zu Befehl, Herr Amtsrichter.“

„Können Sie sich erinnern, ob Sie die Hausthür fest verschlossen haben?“

„Ganz bestimmt,“ versicherte King. „Das muß auch Herr Fritz Becker gehört haben, der mich bis hierher begleitete.“

Margret wollte etwas hierzu sagen – aber sie hielt an sich.

„Wer führt die anderen Hausschlüssel?“

„Den einen hatte der arme todte Herr Nachts in seinem Zimmer; den andern die Madam in dem ihrigen.“

„Wir werden nachher sehen, ob sie dort sind,“ sagte Kern. „Der Thäter kann nach alledem nur durch die Hausthür eingedrungen sein,“ wandte er sich an King. „Wie mag er, nach Ihrer Ansicht, die Thür haben öffnen können?“

„Wenn die anderen Hausschlüssel oben an ihrem Platze hängen, Herr Amtsrichter – doch wohl mit einem Nachschlüssel?“

„Ja, das muß wohl sein,“ meinte Kern sinnend. „Sagt einmal, Jungens, wie fandet Ihr denn die Hausthür, als Ihr herunterkamt?“ fragte er die Lehrlinge.

„Offen,“ erwiderten beide. „Wir ließen die beiden Nachbarn gleich ein.“

„Wenige Minuten, ehe die Lehrlinge herunterkamen,“ fügte Margret bestätigend hinzu, „hörte ich die Hausthür aufschließen und öffnen und dann wieder zuwerfen. Es war vermuthlich der Augenblick, als der Thäter das Freie gewann.“

„Aller Wahrscheinlichkeit nach,“ meinte der Detaillist pfiffig.

„Saht Ihr, als Ihr herunterkamt, einen Schlüssel in der Hausthür stecken, innen oder außen?“ fragte Kern wieder die Lehrlinge.

„Nein.“

„Gut.“

Er ging mit den Anderen wieder nach dem Vorkeller, nahm den Gerichtsdiener, der noch bei der Leiche Wache hielt, auf die Seite und sagte ihm leise, nachdem er einige Formulare ausgefüllt und unterzeichnet hatte: „Hier haben Sie einen Haftsbefehl gegen Karl Bahring, Fleischermeister an der Kasseler Straße. Sie bringen ihn sofort hierher! Nehmen Sie beim Vorüberkommen an der Hauptwache drei bis vier Mann Militär mit! – Da haben Sie auch hierfür den Befehl!“

Der Diener eilte hinauf.

In diesem Augenblicke kam der Gerichtsarzt, Doctor Ammann, die Treppe herab.

„Sie konnten nicht gelegener kommen, Herr Doctor,“ sprach Kern, ihm die Hand reichend. „Wir haben eben die Besichtigung der hiesigen Localitäten vorläufig beendet und wollten an die Untersuchung der Leiche gehen.“

Der Doctor hatte die Begrüßung des Amtsrichters erwidert und war nahe an die Leiche getreten. Er sah finster in das vom Todeskrampf verzerrte Antlitz, erhob den einen der schlaffen Arme und fühlte nach dem Pulse.

„Unzweifelhaft todt,“ erklärte er. „Die Lebenswärme ist schon fast ganz gewichen. – Furchtbare Wunden!“ fügte er kopfschüttelnd hinzu, indem er Hals, Brust, Rücken und Arm flüchtig betrachtete und nur die Stiche zählte, die durch Löcher im Hemde und Blutquellen als solche bezeichnet waren. „Es mögen an zwei Dutzend Wunden sein. Und der eine Schnitt hier durch die Vena jugularis am Halse hätte allein schon den Tod herbeiführen müssen. Selbstmord ist völlig ausgeschlossen. Aber es ist doch besser, Sie lassen die Leiche nach oben schaffen, wenn ich genauer untersuchen soll.“

„Ich wartete nur auf Ihr Erscheinen, Herr Gerichtsarzt,“ erwiderte Kern verbindlich. „Herr King, Barth und Hark werden die Güte haben, die Leiche zu tragen.“

Die Genannten gehorchten, die Lehrlinge mit sichtlichem Grausen. Sie hatten in ihrem jungen Leben noch nie einen Todten berührt. King hatte die Beine Wolf’s erfaßt. Die Lehrlinge, die Arme haltend, gingen voran, damit die Leiche, den Kopf aufwärts, emporgetragen würde. Margret trug ihre Lampe voraus, die beiden Nachbarn die Lichter. Doctor und Richter bildeten den Schluß des Zuges.

„Halt!“ rief Kern, sowie die Leiche erhoben und einige Schritte nach dem Ausgange getragen war. „Lichter her!“

Am Boden, da wo die Leiche gelegen hatte, funkelte etwas. Kern bückte sich und hob den Gegenstand auf.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Anstalten für geistig zurückgebliebene und schwachsinnige Kinder sind in letzter Zeit häufig der Gegenstand dringender Anfragen an die „Gartenlaube“ von Seiten besorgter Eltern gewesen; eine deshalb hier gestellte öffentliche Anfrage hat freundliche Beachtung gefunden, und so sind wir in den Stand gesetzt, darüber folgende Auskunft zu geben – wenn auch zunächst nur über die fraglichen Anstalten in dem Königreich Sachsen.

Es muß rühmend ausgesprochen werden, daß Sachsen einem Schulgesetze vom 26. April 1873 die ausgezeichnetste Fürsorge für die genannten Kinder verdankt. Der § 4 desselben heißt: „Verwahrloste, nicht vollsinnige, schwach- und blödsinnige Kinder sind in hierzu bestimmten öffentlichen oder Privat-Anstalten unterzubringen sofern nicht durch die dazu Verpflichteten anderweit für deren Erziehung hinreichend gesorgt ist.“ – Die sächsische Regierung ging mit gutem Beispiel voran und gründete ihre Musteranstalt in Hubertusburg in der dem Hospital etc. angefügten „Kinderstation“. Man wendet sich um nähere Auskunft über dieselbe an den Herrn Oberlehrer Pflugk. Auch bestehen zwei öffentliche Schulen für schwachsinnige Kinder in Dresden, Alt- und Neustadt.

Bekannte und empfehlenswerthe Anstalten dieser Art sind ferner die der Frau Karoline verw. Dr. Kern in Möckern bei Leipzig, die in eine Versuchs-, eine Erziehungs- und Unterrichts- und eine Pflege-Anstalt (Asyl) zerfällt. Ferner: die Anstalt des Ed. Förster in Blasewitz bei Dresden, im dortigen Waldparke in der Marschall-Allee Nr. 6; sie nimmt allerdings nur zehn Kinder auf und kann deshalb ein reines Familienverhältniß mit ihnen durchführen. Sodann: die neubegründete Erziehungs- und Unterrichts-Anstalt für geistig zurückgebliebene Kinder von H. Witzel in Reudnitz bei Leipzig, uns besonders von einer Leipziger Autorität, Herrn Geheimen Medicinalrath Wagner, empfohlen. Endlich: die W. Schröter’sche Unterrichts- und Erziehungs-Anstalt für geistig Zurückgebliebene in Neustadt-Dresden, Oppellstraße Nr. 22 b. – Die Preise der Witzel’schen Anstalt kennen wir nicht, die der übrigen genannten drei Privatanstalten betragen für das Kind 1200 Mark jährlich.

Ueber die besondere Frage nach einer Bildungsanstalt für Lehrerinnen in diesem Fache schreibt uns Herr Director W. Schröter, daß seine Anstalt mehrfach längere Zeit hindurch und regelmäßig von Lehrerinnen besucht werde, welche die Absicht haben, entweder in Idiotenanstalten oder in Familien Stellung zu nehmen, in denen ein zurückgebliebenes Kind vorhanden. Auch Schülerinnen der Dresdener Fröbel-Stiftung (Kindergärtnerin-Bildungsverein des allgemeinen Erziehungsvereins) besuchen seine Anstalt und versuchen sich unter seiner Leitung im Unterrichte der Kinder. Der Andrang zu diesem pädagogischen Beschäftigungsgebiete der strebsamen Frauenwelt ist im Zunehmen begriffen, und dennoch zeigt sich die Nachfrage stärker als das Angebot: also für junge Damen ein vielversprechendes Arbeitsfeld. „Eine Anstalt,“ schreibt Herr Schröter, „welche sich lediglich mit der Ausbildung von Lehrerinnen geistig zurückgebliebener Kinder befaßt, giebt es meines Wissens nicht.“

Auch Herr E. Reichelt in Hubertusburg ist erbötig, die Bildung von Lehrerinnen zu leiten[WS 1], und ebenso sollen in dem Kleinkinder-Lehrerinnen-Seminar zu Breslau (Lehmgrubenstraße) solche gebildet werden.

Außerhalb Sachsens können wir heute nur „Die Alsterdorfer Anstalten“ bei Hamburg (Stifter und Director: Pastor Dr. Sengelmann), die Anstalt für Schwach- und Blödsinnige Rheinlands und Westfalens zu Märk. Gladbach, genannt „Hephata“, und die Idioten-Anstalt zu Prag (Director Dr. Amerling) nennen. Die nach Guggenbühl’s Vorgang gegründeten Cretinen-Anstalten (wie die zu Ecksberg bei Mühldorf in Baiern) gehören nicht hierher.

Eltern und Vormünder, die sich genau mit diesem Gegenstand bekannt machen wollen, finden sehr Belehrendes in Dr. B. Knapp’s „Beobachtungen über Idioten- und Cretinen-Anstalten und deren Resultate“. Graz, 1879.

Fr. Hfm.



Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vergl. Berichtigung
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_576.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)