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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Der Geselle schien fest zu schlafen. Er hatte ja auch wiederholt erklärt, daß er gerade in dieser Nacht sehr müde sei.

Kern gedachte unwillkürlich einer ergreifenden Stelle in Cicero’s Jungfernrede für den jungen Roscius Amerinus. Der Redner schildert, wie sein Client, der unschuldig des Vatermordes angeklagt ist, unmittelbar nach der That in tiefem, ruhigem Schlafe gefunden wird. Mit hinreißender Beredsamkeit malt Cicero die Folter der Gewissensqualen eines wirklichen Mörders; vergebens, meint er, werde dieser nach solcher Blutthat den Schlaf suchen.

„Die Verstellung des Schurken überschreitet an Gemeinheit noch die That selbst,“ murmelte er leise. Und dann setzte er laut hinzu. „Wir werden King’s Kleider und Kammer jetzt genau untersuchen.“

Da regte sich’s plötzlich in dem Gesellenbette, und King schlug, nach einigem gut gespielten Seufzen und Gähnen, die Augen auf, richtete sich im Bette empor und rief scheinbar überrascht: „Was wünschen die Herren hier oben?“

„Nichts – als Sie,“ erwiderte Kern, jedes der Worte schneidend betonend. „Herr Josua King – im Namen des Gesetzes, Sie sind mein Gefangener.“

„Hoho, Herr Amtsrichter!“ rief King, halb lächelnd, halb ärgerlich, „meinten Sie mich?“

„Ich habe es schon gesagt, und bitte, mir zu folgen.“

„Und weshalb?“ fragte King mit der Verwunderung eines ehrlichen Mannes.

„Weil Sie im Verdachte stehen, den Mord an Meister Wolf verübt zu haben,“ erwiderte Kern, ihn scharf anblickend.

„So wahr mir Gott –“

„Lästern Sie nicht!“ fiel Kern unmuthig ein. „Und erheben Sie sich sofort! Es ist zwei Uhr vorüber.“

„Der Irrthum wird Ihnen theuer zu stehen kommen, Herr Amtsrichter –“

„Das ist meine Sorge, Herr King. Eilen Sie, oder ich lasse Sie von den Amtsboten abführen, wie Sie sind.“

„Aber beim Ankleiden erlassen die Herren mir doch ihre Gegenwart?“ bat King.

„Da erst recht nicht,“ erklärte Kern. „Herr Bezirksarzt, untersuchen Sie den Herrn dort zunächst einmal unangekleidet!“

King erbleichte.

„Herr Doctor,“ sagte er, „Sie sind Zeuge dieser neuen Beleidigung –“

„Dieses richterlichen Befehls, Herr King – ja wohl. Bitte, machen Sie keine weiteren Umstände!“

King ließ mit festgeschlossenen Lippen die Untersuchung über sich ergehen. Kopf, Hände, Arme, Brust des Gesellen zeigten nichts Auffallendes. Den Unterkörper hatte er noch im Bette.

„Stehen Sie auf!“ gebot der Arzt, und King gehorchte, indem er die Beine aus dem Bette streckte. Der Doctor und der Amtsrichter schauten begierig nach einer offenen Wunde aus, von welcher, wie sie meinten, die schmale Blutspur vom Keller bis auf die Dielen der Kammer King’s herrühren müsse. Es fand sich nichts derart, wohl aber zeigten sich an jedem Schenkel einige blutunterlaufene Stellen, bei deren Entdeckung die beiden Männer rasche Blicke wechselten.

„Woher haben Sie diese rothbraunen Flecke?“ fragte der Amtsrichter den Gesellen, der ruhig und sogar mit einer gewissen höhnischen Heiterkeit den Bemühungen des Arztes gefolgt war.

„Die habe ich mir beim Aufhämmern der Felle geholt.“

„Wann?“

„Gestern und früher.“

„Dafür sehen die Flecke noch recht gut erhalten aus.“

„Bei mir geht so etwas immer langsam weg.“

„So? Es giebt vielleicht aber noch eine andere Erklärung für die Entstehung dieser Flecke, Herr King?“

„Welche meinen Sie, Herr Amtsrichter?“

„Nun, daß der sterbende Wolf im Todeskampfe seine Finger hier eingeschlagen hätte, Herr King – was meinen Sie dazu?“

„Das ist nicht wahr!“ rief er mit Entrüstung.

„Wir werden sehen,“ erwiderte der Amtsrichter ruhig.

Weiteres fand der Arzt am Körper King’s nicht.

„Ziehen Sie sich jetzt an!“ befahl der Amtsrichter.

„Sie bestehen auf meiner Verhaftung?“

„Ja, gewiß. Ich wiederhole zum letzten Mal die dringende Bitte, zu eilen.“

King ergriff seine hellen Sommerbeinkleider, die auf dem Stuhl vor dem Bett lagen.

„Vergessen Sie Ihre Unterbeinkleider nicht!“ mahnte Kern. „Es ist Nacht, und die Untersuchungsgefängnisse sind etwas schattig.“

„Ich trage keine Unterbeinkleider,“ erwiderte King kurz.

„Nun, Margret hat es uns anders gesagt.“

„Margret?“ fragte King, indem ein finsterer Schatten über sein Gesicht glitt. „Den Einflüsterungen der Dirne verdanke ich wohl diese ganze Scene?“

„Sie besitzen aber wohl Unterbeinkleider, nicht wahr?“ fragte Kern, als ob er den Ausruf King’s überhört habe.

„Gewiß. Gehört das auch zu Ihren Verdachtsgründen?“

„Das werden Sie erfahren. Ihre Unterbeinkleider sind von blauweißer Baumwolle?“

King blieb einen Augenblick die Antwort schuldig. Was steckte hinter dieser Frage?

„Ja,“ sagte er dann, „wollen Sie sie sehen?“

„Ich bitte.“

King schloß seine Kommode auf. Frischgewaschen und festgefaltet lagen die einzelnen Stücke da.

Kern wühlte in dem Vorrath blauweißen Stoffes. Er zog ein Paar Unterbeinkleider hervor – aus der Mitte.

„Die sind wohl aus Versehen unter die frische Wäsche gekommen?“ fragte er. „Sie sehen wie getragen aus.“

„Ja, da muß ein Versehen vorgekommen sein,“ erklärte King ruhig.

„Und der Reparatur scheinen sie auch bedürftig. Wie sind wohl diese Schürfungen im Stoff hier entstanden, Herr King? Können Sie das erklären?“

„Ich weiß nicht,“ erwiderte King gleichgültig. „Beim Waschen wird viel verdorben.“

(Fortsetzung folgt.)




Thier-Charaktere.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
Der Dachssucher und seine Jagd.[1]


Leibhaftig und fesselnd präsentirt sich auf unserm Bilde der rauhe, derbe Bündel Dachssucher, wie er den „Grimmbart“, diesen beliebten, mysteriösen Gegenstand der Nachtjagden jugendlicher Waidmannsgemüther gefunden, „gestellt“ hat und „verbellt“. Es ist der untrügliche, wackere Hund im Grunde derselbe, der als sogenannter „Saubeller“ zum Auffinden der Wildsauen gebraucht wird. Hier figurirt er als „ Dachssucher“. Er ist ein echter Abkömmling seiner beiden vorzüglichsten Ahnen, des Schäferhundes und des diesen in sicherem Finden noch übertreffenden eisgrauen Spitzpommers stärkerer Rasse. Der Mangel an Flüchtigkeit des letzteren in der Verfolgung des Wildes führte zur Kreuzung zwischen Pommer und Schäferhund oder zwischen rauhhaarigem Pinscher und Pommer. Meist trüb und dunkel gefärbt, entweder eisgrau, schwarz mit dunkelgelben Abzeichen, sowie

  1. Im Geiste des obigen Artikels sind Schilderungen gehalten, welche die unseren Lesern seit Jahren rühmlichst bekannten Gebrüder Adolf und Karl Müller in dem Album: „Der Hund und seine Jagd“ (Frankfurt a. M., May und Söhne) den deutschen Waidmännern und Naturfreunden demnächst bieten werden. Mit sechszehn Original-Aquarellen und einer Titelvignette von C. F. Deiker geschmückt, verbreitet sich das dankenswerthe Buch eingehend über die Pflege, Erziehung und Schule des Hundes, wie überhaupt über den Lebensgang desselben bis zu seiner vollkommenen Jagdpraxis. Das prachtvoll ausgestattete Album, von dem in diesen Tagen die erste Lieferung versandt werden wird, und das dem Publicum noch vor Weihnachten abgeschlossen vorliegen soll, ist ein Werk von großem praktischen Werthe für alle Jagd-, Thier- und Naturfreunde und sei denselben hiermit warm empfohlen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_604.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)