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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

der Wohnung nach waren. Ja bald sollten dieselben sehr traurig werden, und eben auf diesem dunklen Hintergrunde der Gegenwart hob sich dann für die Phantasie und Empfindung des Knaben Beethoven das Bild seines verstorbenen Großvaters nur um so lichter und würdiger ab. Derselbe starb nämlich Ende December 1773, wo also der Enkel gerade drei Jahre alt war.

Die Hinterlassenschaft fiel dem einzigen Sohn Johann zu. Allein mit den „liegenden Geldern“ muß es nicht mehr weit her gewesen sein. Es scheint, daß der Kummer um Sohn und Gattin die Thätigkeit des Hofcapellmeisters in dessen älteren Jahren gelähmt hatte. Und dann waren ja auch die Ausgaben gestiegen, seitdem die Mutter in Pension war. Dazu kam des Verstorbenen große Gutherzigkeit. Es fanden sich nach dem Tode viel offenstehende Schuldforderungen an Bauern, die Geld geliehen, oder an Weinbauern, die auf ihren Wein Vorschuß erhalten und den Wein nicht geliefert hatten.

„Diese leugneten jetzt die Sache ab und verlangten ihre Handschrift zu sehen, welche er ihnen nicht zeigen konnte,“ sagt unsere Handschrift. „Johann van Beethoven klagte das dem Theodor Fischer und sagte: ‚Ich habe mich mit den Bauern so viel herumgefochten und richte doch nichts aus. Ich habe es mir so oft gedacht, daß es so kommen würde. Mein Vater war hierin ein eigener Mann, hielt immer auf Wort und wörtliche Bedingungen, nichts Schriftliches. Wenn Bauern ein Anliegen brachten, die seine gute Seite kannten und eine schöne frische Butter oder schönen Käse brachten, dann war er erkenntlich, lieh ihnen Geld und Vorschuß auf ihren Wein, und so bin ich um Vieles gekommen.’“

Eine Eingabe Johann’s an den Kurfürsten, dem der alte Hofcapellmeister „mit größtem Ruhm“ gedient habe, sagt, daß er sich durch Ableben seines Vaters in sehr betrübten Umständen befinde, da sein geringes Gehalt ihn zwinge, das vom Vater Ersparte zuzusetzen; er bittet als „unterthänigster Knecht“ und „fußfälligst“ um Zulage aus dem erledigten Gehalt des Vaters, da er auch noch seine Mutter im Kloster zu erhalten habe. Ihr Kostgeld wird ihm bewilligt und fällt ein Jahr später, wo sie starb, ihm selbst zu. Unser Manuscript schildert nun allerdings die Ehe als eine rechtschaffen friedliche; auch sei die Hausmiethe und geliefertes Brod alle Vierteljahre auf den Tag gezahlt worden. Durch Nebenpräsente und Lehrstunden habe die Haushaltung gut bestehen können.

Allein bald wandte sich das Blatt mehr und mehr, und leider zum Theil durch die in dem Sohne wiedererstandene Schwäche der Mutter. „Die nothwendigsten Artikel, wie Hausmiethe, Bäcker, Schneider, müßten am ersten bezahlt werden, aber Trinkschulden würde sie nimmer zahlen,“ hörten Fischer’s die Frau van Beethoven sagen. Dazu kamen bald noch mehrere Kinder, und obwohl sie eine „gute häusliche Frau“ war, trat bittere Noth ein. „Sehr arm, von ziemlicher Aufführung,“ heißt es von Johann van Beethoven in einem Promemoria über die kurfürstliche Hofmusik vom Jahre 1784. „Denn was ist Heirathen? Ein wenig Freud’, aber nachher eine Kette von Leiden,“ meinte seine arme Frau einmal, wie Cäcilia Fischer berichtet. Die Erinnerung einer andern Frau aber besagt, daß eine große Unordnung in der Familie geherrscht habe.

„Jene feine Leinwand, die sich durch einen Ring ziehen ließ, wanderte ein Stück nach dem andern aus dem Hause; selbst das schöne große Portrait, worauf der Vater mit der Troddelmütze auf dem Haupt abgebildet war, kam zum Trödler,“ sagt ein Bericht vom Jahre 1838, und wenn letzteres auch nur vom Pfandverleiher gelten kann, so erinnerte sich doch die Fischer, daß der Vater nach dem Tode seiner Frau ihre Garderobe an die Trödler verkaufte, wodurch sie auf den Markt zur Ausstellung kam: „Cäcilia ging über den Markt und sah die schönen Kleider, die ihr bekannt schienen; sie fragte und erhielt die Antwort: ‚Von der verstorbenen Madame van Beethoven.’ Sie wurde sehr traurig und brachte ihren Eltern die Nachricht.“ Nun begreifen wir, warum eine alte sichere Ueberlieferung die Mutter „eine stille, leidende Frau“ nennt, aber auch, warum der Vater als „nur streng“ bezeichnet wird und, wie bekannt ist, seinen ältesten Sohn Ludwig mit Unerbittlichkeit an’s Clavier fesselte. Er sollte ein „Wunderkind“ wie der kleine Mozart werden, der zehn Jahre zuvor auch in Bonn gewesen war, und sollte der Familie Brod schaffen helfen.

Das war mindestens schon von 1776 an, wo Beethoven im sechsten Lebensjahre stand. „Cäcilie Fischer sieht ihn noch, wie er als ein kleiner Bube auf einem Bänkchen vor dem Clavier stand, woran die unerbittliche Strenge seines Vaters ihn schon so früh fesselte,“ sagt jener Bericht vom Jahre 1838, und ein anderer Augenzeuge hatte dabei „den kleinen Louis Thränen vergießen sehen“. Im Jahre 1775 oder 1776 aber waren Beethovens in die ehemalige Wohnung des alten Hofcapellmeisters gezogen, und jetzt hing eben, so lange es noch da war, das Gemälde in dem Staatszimmer, wo zuverlässig auch wieder das Clavier stand. Mit welchen Gefühlen mußte der heranwachsende Knabe sich in den Anblick des Bildes vertiefen!

Von diesem Zimmer erzählt nun noch weiter unsere Handschrift Folgendes: „Alljährlich am Magdalenentag wurde der Namens- und Geburtstag der Madame van Beethoven herrlich gefeiert. Dann wurden die Notenpulte herbeigebracht und in beide Zimmer nach der Straße rechts und links gesetzt und ein Baldachin auf das Zimmer gemacht, wo der Großvater Ludwig van Beethoven im Porträt hing, mit schönen Verzierungen, Blumen-, Lorbeerbäumchen und Laubwerk verfertigt. Am Abend vorher wurde Madame van Beethoven bei Zeiten gebeten schlafen zu gehen; bis zehn Uhr war Alles in der größten Stille herbeigekommen und fertig. Nun fing das Stimmen an, dann wurde Madame van Beethoven aufgeweckt, mußte sich anziehen, und nun wurde sie unter den Baldachin auf einen schönen verzierten Sessel geführt und hingesetzt. Nun fing eine herrliche Musik an; die erscholl in der ganzen Nachbarschaft, Alles was sich zum Schlafengehen eingerichtet hatte, wurde munter und heiter. Nachdem die Musik geendigt, wurde aufgetischt, gegessen und getrunken, und wenn nun die Köpfe etwas toll geworden und Lust hatten zu tanzen, dann wurden, um im Hause keinen Tumult zu machen, die Schuhe ausgezogen und auf den bloßen Strümpfen getanzt und das Ganze so geendigt und beschlossen.“

Das waren noch schöne Tage, und doppelt schön, weil der Stifter der Familie in Bonn, der Großvater, im Bilde auf sie herab sah, im gleichen Zimmer, wo er einst gewohnt hatte, in den gleichen Tagen, wo er geboren und gestorben war; denn Frau van Beethoven’s Geburtstag war der 20. December. Wie mußten da aus dem Baldachin hervor die „ernsthaften Augen“, von denen die Fischer’sche Handschrift spricht, den Anwesenden lebendig werden und leuchten! Zudem galt damals noch, was dort ebenfalls von Beethoven’s Vater steht: „Er war zu rechter Zeit ein guter Weintrinker; dann war er munter und fröhlich, hatte Alles genug; er hatte keinen bösen Trunk an sich.“ Im Jahre 1787 aber starb die Mutter: Kummer und Sorge hatten lange Krankheit und diese die Auszehrung herbeigeführt. Der älteste Sohn hatte sehr gegen seine Neigung von Wien, wo er seine letzte Ausbildung bei Mozart suchte, vor der erreichten Absicht zurückkehren müssen. „Sie war mir eine so gute liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin,“ heißt es in dem ersten Briefe Beethoven’s, der uns erhalten geblieben ist. „O wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte! Und es wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen? Den stummen, ihr ähnlichen Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt? Das Schicksal hier in Bonn ist mir nicht günstig.“

Was bisher schon Ehrensache gewesen, etwas Rechtes aus sich zu machen und seiner Familie aufzuhelfen, es wurde jetzt Pflicht, heiße Pflicht. Kam es doch bald so weit, daß er das Haupt der Familie spielen, nein ganz und gar thatsächlich darstellen mußte!

„Die Knaben von Herrn Johann van Beethoven, Ludwig, Caspar und Nicola, waren sehr auf die Ehre ihrer Eltern bedacht. Wenn ihr Papa bei Gelegenheit in Gesellschaft, was nicht oft geschah, ein wenig zu viel getrunken hatte und seine Söhne hörten das, so waren sie alle drei gleich da und suchten ihren Papa auf die feinste Art, daß es nur kein Aufsehen gäbe, still nach Hause zu begleiten, indem sie ihm schmeichelten: O, Papächen, Papächen! Er ließ sich dann auch sagen,“ so berichtet die Fischer’sche Handschrift. Ludwig hatte die Ehre der Familie aber auch größer gefaßt. Sein Fleiß hatte ihm schon mit elf Jahren factisch die Anstellung als Vicar des Hoforganisten gebracht, und ein paar Jahre darauf wurde er auch selbst Hoforganist und als solcher besoldet. Ja, von mancherlei Compositionsversuchen wissen wir aus solch frühen Knabenjahren. Und noch in der Fischer’schen Wohnung, die in dieser Knabenzeit Beethoven’s verlassen wurde, hörten die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_615.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)