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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 38. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Mit Aufbietung aller Kraft raffte die Baronin sich auf und warf einen wilden Blick um sich, als halle das entscheidende schreckliche Wort ihr immer noch von allen Wänden entgegen und raune aus jeder Ecke, um sie von dem Boden zu scheuchen, der keinen Raum mehr für sie hatte. Ihre Kniee wankten, aber sie schleppte sich durch das Atelier, schlug den Vorhang zurück und trat in den Wintergarten.

Der Springbrunnen plätscherte, und die Sonnenfunken, die durch das engmaschige Netz der verschränkten Zweige und Blätter hereindrangen, tanzten auf der glänzenden Wasserkuppel und rollten in jedem Tropfen als leuchtende Goldperlen in das Bassin.

Dieses monotone Rieseln und Murmeln inmitten der stummen, stillen Pflanzenwelt, dicht neben dem Raume, in welchem eben noch zwei Menschenstimmen in aufgestürmter Leidenschaft einen erbitterten Kampf ausgefochten, war von dämonisch bezwingender Wirkung.

Sie starrte auf die Wasserfläche, die sich in zitternder Unruhe bewegte und doch in die Schranken des Bassins gebannt blieb.... Wie, wenn der Abfluß des Wassers plötzlich gehindert würde? Vor ihrem Geiste hob sich der Spiegel da höher und höher, als steige ein Haupt unter dichtem Silberschleier empor; die Schleierfalten dehnten und weiteten sich – es stieg über den Steinrand und setzte einen schwach auftappenden Fuß auf den Asphaltboden und schlüpfte weiter und weiter. Und die Silberschleppe floß nach, unerschöpflich sich ausbreitend, um plötzlich eng geduckt unter dem Velourvorhang hinzukriechen – hei, wie der Mosaikboden drüben zu glitzern begann, wie es da unten an den Wänden, in den Ecken lebendig wurde! Papierbogen, große, starre, mit Skizzen bedeckte, und alle die verhaßten Gesichter auf der gespannten Leinwand legten sich breit und schaukelnd auf die silberwogende Schleppe; die hingebreiteten Panther- und Bärenfelle wurden leise gehoben, als sollten sie sich wieder über den Rücken ihrer früheren Bewohner schmiegen; von den Postamenten und Säulenstümpfen rollten die Ibisse, die Vasen mit Cacteen; selbst die schweren Schränke und Credenzen an den Wänden schwankten, als rüttelten und schüttelten grobe Hände an ihren geschnörkelten Beinen, und all das blinkende Geschirr, die Kannen und Becher, die venetianischen Gläser und Spiegel stürzten klirrend und schmetternd von den Kanten.... Alles das sah sie im Geiste: ein halb unterdrückter, wilder Jubelschrei zitterte durch den Wintergarten, und wie mit einem festen Entschlusse lief die lange gebückte Frauengestalt hinaus und durch die Platanenallee; in das heftige Rauschen ihres Seidengewandes mischte sich das Gemurmel der Lippen, die immer und immer wieder „Haß, Haß!“ vor sich hinsagten.




39.

Bald nachher hörte man in der Beletage das Gelärm eilig und geschäftig durch einander rennender Menschen. Was „die Gnädige“ an Koffern besaß, wurde in den großen Saal getragen, und dort stand die Stiftsdame und dirigirte und commandirte in ihrer energischen Art. Ihre Wangen brannten, und in den dunklen, strengen Augen glomm ein befremdliches Licht, ein Licht wie Fiebergluth, aber jeder ihrer Befehle „hatte Hand und Fuß“, wie die Leute sagten, Verwirrung und Ueberstürzung konnten bei ihr niemals aufkommen.

Seltsam, diesmal wurde das ganze Silberzeug, der gesammte Inhalt der Schränke, welche die Hauswäsche enthielten, bis auf die kleinste Theeserviette herab, in den Koffern mitgeschleppt, ja, man nahm sogar Bilder, Nippes und Albums von den Wänden und Tischen und packte sie ein. Das ließ ja auf eine jahrelange Abwesenheit der Herrschaft schließen; und zu alle dem Räthselhaften hatte Fräulein von Riedt auch noch an den Sachwalter der Baronin, der nur um einige Bahnstationen entfernt lebte, telegraphirt, daß er ungesäumt kommen möge, und der Bediente Robert meinte, die Gnädige müsse zu der Reise viel Geld nöthig haben – deshalb werde wohl der Advocat in den Schillingshof citirt.

Das Alles sagte Mamsell Birkner in der Kinderstube zu Hannchen und Deborah, und Donna Mercedes hörte es drüben in ihrem Schlafzimmer. Also die Reise war unumstößlich festgestellt. Er ging hinaus, um neuen Ruhm zu ernten, und die Frau, die sein künstlerisches Wirken mißachtete, hatte es durchgesetzt, ihn zu begleiten. Das Bild, das ausgestellt werden sollte, war ihr ein Gräuel, und dennoch trat sie starrköpfig an die Seite dessen, der es geschaffen, um verbissenen Grolles den Triumph der Meisterschöpfung mit anzusehen.

Noch vor Wochen würde Donna Mercedes mit Genugthuung die Nemesis begrüßt haben, welche die Geldheirath an dem Künstler räche – heute aber durchwogte sie ein heißer, leidenschaftlicher Schmerz, und sie grollte dem blinden Geschick, das einen edlen männlichen Geist mit einem niedrig gesinnten Weibe an eine Kette geschmiedet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_625.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)