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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Dr. Siemens im März 1877 bekannt machte, hat sich noch vielzu bescheiden erwiesen; die erwähnte Leitung würde sogar die drei-bis vierfache Elektricitätsmenge befördern und letztere einen noch bedeutend höheren als den vierfachen Lichteffect ausüben können. Die Anlagekosten der Leitung würden hoch sein, aber nur einmalige, da die Abnutzung sehr gering sein würde.

Bei der weiteren Ueberlegung dieses Planes boten die Maschinen, welche die Kraft an Ort und Stelle in Elektricität zu verwandeln hätten, keine Schwierigkeiten, wohl aber die richtige Vertheilung der Kraft auf die zahlreichen Abonnenten der Elektricität, von denen jeder eine bestimmte meßbare Menge von dem Hauptstrom müßte abgezapft erhalten können, wenn die Idee ausführbar sein soll. Auch diese Schwierigkeiten glaubt Siemens durch Vorrichtungen, die er vor einigen Monaten genau in einem wissenschaftlichen Journal beschrieben hat, überwinden zu können, sodaß eine dem Miethpreise jedes Stromzweiges entsprechende Leistung verbürgt werde könnte. Er hat am 12. Juni vorigen Jahres der königlichen Akademie zu London seinen Regulator vorgeführt, der darauf beruht, daß ein dünner, wagerechter Kupfer- oder Silberstreifen, der in seiner Mitte durch eine Feder oder ein Gewicht herabgezogen wird, den Zweigstrom ableitet. Dieser Streifen erwärmt sich genau der durchfließenden Elektricitätsmege entsprechend, und senkt sich, wenn mehr als beabsichtigt durchfließt, weil er heißer wird. Dadurch werden dann auf einfache Weise Nebenleitungen geschlossen, welche nicht nur das Zuviel wegführen, sondern auch automatisch den Strom regeln. Das vielbesprochene Problem der Vertheilung eines starken elektrischen Stromes z. B. auf viele einzelne Laternen oder Maschinen wäre sowohl auf diese wie wohl auch in mancher anderen Weise lösbar. Dieser oder ein ähnlicher Apparat würde bei einer allgemeinen elektrischen Versorgung der Zukunft die Dienste unserer Wasser- und Gasuhren vertreten, jedoch so, daß es keineswegs in der Macht des Einzelnen liegen würde, etwa so viel Elektricität zu verschwenden, wie er will, vielmehr würde ihm gegen die entsprechende Miethe nur so viel zugemessen, wie er braucht und bezahlen will.

Im Spätsommer vorigen Jahres, mehr als anderthalb Jahr nach Veröffentlichung der Siemens’schen Rechnungen, erstand zu Ansonia in den Vereinigten Staaten in der Person eines Herrn Wallace ein großer Wohlthäter der Menschheit, von dem die Zeitungen meldeten, er habe vermittelst einer von ihm erfundenen Maschine, die er Telemachon nannte, das Problem gelöst, die Kraft der Wasserfälle in die Hauptstädte zu leiten und die gesammte Stadt New-York für anderthalb Dollar pro Stunde prachtvoll mit elektrischem Lichte zu erleuchten. Das Telemachon habe bereits die Probe bestanden, und die Kraft des Naugatuckflusses, der eine Viertelstunde von Wallace’s Etablissement vorbeifließt, spende dort Licht und mechanische Kraft in einem Grade, daß Edison, der berühmte Entdecker, bei einem Besuche die Hände über dem Kopfe zusammengeschlagen und Wallace zur Lösung eines Problems beglückwünscht habe, mit dem er sich lange Jahre vergeblich beschäftigt habe.

Alle europäischen Tageszeitungen druckten pflichtschuldigst die glückverheißende amerikanische Ente schleunigst nach, und ich glaube nicht, daß irgend ein kleines verlassenes Wochenblättchen dieses Evangelium seinen Lesern schuldig geblieben ist. Leider gehört von der großen Entdeckung dem Herr Wallace gar nichts; sein Telemachon ist ein winziges Abbild der Maschinen von Schaffhausen und Bellegarde, und schon im Jahrgange 1876 erzählte die „Gartenlaube“ (S. 713) ihren Lesern, daß der ehemalige französische Finanzminister Pouyer-Quertier seine mechanischen Webereien durch elektrisches Licht erleuchte, welches von der daselbst vorhandenen überschüssigen Wasserkraft erzeugt werde.

Die Anwendung dieser kleinen Versuchsmodelle auf den Niagarafall kann Jeder in Gedanken machen, allein mit der Ausführung wird es – die Möglichkeit völlig zugegeben – noch seine Schwierigkeiten haben, und die größte dürfte immerhin bleiben, in der Nähe großer Wasserfälle die großen Städte zu entdecken, welche den Segen verwenden könnten, ohne ihn durch allzu lange Leitungen zu vermindern. Wenn sich diese Probleme verwirklichen sollen, dürfte es immerhin günstiger sein, die Fabriken in der Nähe der Wasserfälle anzulegen, statt deren Kraft weit in’s Land zu leiten, und vielleicht kommt einmal die Zeit, wo sich die Industrie, wie das im Kleinen bei Schaffhausen bereits der Fall ist, an den Lieblingszielen der Touristen sammelt.

Vorläufig wird man die elektrische Uebertragungsfähigkeit kleinerer und selbsterzeugter Kraftmengen ausnützen. So hat man z. B. in den letzten Wochen im Umkreise einer Zuckerfabrik zu Sermaize (Marne) landwirthschaftliche Arbeiten statt durch Locomobile durch eine feststehende Dampfmaschine zu verrichten gesucht, deren in Elektricität verwandelte Kraft vermittelst eines Kupferdrahtkabels 650 Meter in die Runde geführt werden konnte, um einen Pflug in Thätigkeit zu setzen, der eine Furche zog, wie sie sonst drei Pferdekräfte erforderte. Es handelte sich hier nur um vorläufige Versuche, und das Originellste war dabei, daß man eine Maschine gleicher Construction, wie diejenige, welche die Dampfkraft in Elektricität verwandelt, dazu verwendete, den Strom wieder in mechanische Kraft zurückzuverwandeln, nämlich die dynamo-elektrische Maschine von Gramme, welche indeß weniger vortheilhaft arbeitet, als die obenerwähnte Siemens’sche Maschine.

Die elektrische Eisenbahn, zu der wir nunmehr zurückkehren, hat vor manchen anderen Anlagen den Vortheil, daß sie gar keiner besonderen Leitung bedürfen würde, wenn man die beiden Schienen zur Hin- und Herleitung benutzte, wie sie andererseits das große Interesse bietet, an jeder Stelle die Leitung selbst zu schließen. Man hat sich daher gefragt, ob es wohl vortheilhaft sein würde, diese Maschine dem Straßenbahnbetrieb anzupassen. Jedenfalls hätte sie vor den Dampfstraßenwagen den Vortheil voraus, Niemand mit Dampf zu belästigen, keine Pferde scheu zu machen, unnützes Geräusch zu vermeiden, kein Wasser oder Brennmaterial aufnehmen zu müssen und leicht anhaltbar zu sein. Es fragt sich, ob diese Vortheile genügen, die etwas größeren Betriebskosten aufzuwiegen.

Bei der bisherigen Construction werden nur dreißig bis vierzig Procent der Dampfmaschinenkraft wiedererhalten. Wahrscheinlich aber würde sich dies günstiger gestalten, wenn die Schienen isolirt werden könnten, während vorläufig nur die Mittelschiene durch das Holz, auf dem sie liegt, nothdürftig isolirt ist. Dennoch functionirt die Maschine selbst bei Regenwetter. Auch ist bei der soviel besseren Leitung, die das Metall dem Strome bietet, das Berühren der Schienen nicht weiter bedenklich; man sieht beständig Erwachsene und Kinder die Schienen berühren, um sich zu elektrisiren. Dennoch geraten dünne Drähte, durch welche man die Mittelschiene mit der äußeren verbindet, in’s Glühen und können durch die Ableitung die Geschwindigkeit des Zuges erheblich vermindern. Der Umstand, daß immer nur eine einzige Locomotive die von einer dynamo-elektrischen Maschine versorgte Strecke befahren kann, würde sich durch Aufstellung mehrerer Maschinen für ebenso viele Theilstrecken heben lassen. Gleichwohl würde sich diese Art von Bahnen in der Praxis wohl nur bewähren, wenn man einen besonderen, wohl isolirbaren, ober- oder unterirdischen Schienenweg benutzen könnte. So ist sie für Kohlenförderung in manchen Bergwerken wahrscheinlich sehr brauchbar, und die elektrische Eisenbahn der Berliner Gewerbe-Ausstellung ist eigentlich für solche Zwecke construirt worden.

Carus Sterne.





Der „heilige David“.
Ein religiös-communistischer Fanatiker der neuesten Zeit.


Genaueres könnte man nur durch Solche erfahren,
          die ein Interesse haben, zu schweigen.

In einer Zeit, wo die sociale Frage im Vordergrunde des öffentlichen Interesses steht, wo sich in Staat und Gesellschaft die religiösen und confessionellen Gegensätze immer auf’s Neue gefahrdrohend zuspitzen, gewinnt das Bild eines Mannes, dessen Wirken als religiös-communistischer Agitator vorwiegend einen blos provinciellen Charakter trägt, eine psychologische Bedeutung von allgemeiner Tragweite; möge es, wie im vorliegenden Falle, auch nur den Werth einer interessanten Krankheitserscheinung haben,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_632.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)