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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Bezug auf Nissel die Acten noch nicht geschlossen sind. Wilbrandt’s „Gracchus“ ist freilich todt, ebenso wie es zwei, allerdings auch nicht mit dem Schiller-Preise, sondern von anderer Seite gekrönte Stücke sind: Schauffert’s „Schach dem König“ und „Gaßmann’s „Schwabenstreiche“.

Mir scheint aus alledem hervorzugehen, daß in der bisherigen Praxis und – vielleicht auch in der Zusammensetzung der Preisrichtercommissionen etwas faul war.

Mag man es der letzten Commission hingehen lassen, daß sie sich darauf beschränkte – wie sie durch ihren Schrift- und Wortführer Julian Schmidt offen erklärt hat – „durch ihre technischen Mitglieder, die Intendanten und Directoren der größeren deutschen Theater, ‚amtlich constatiren‘ zu lassen, daß sie von den aufgeführten oder zur Aufführung vorgelegten Stücken keines zu nennen wüßten, das einer so hohen Auszeichnung würdig wäre.“

Ihre Lage war eine sehr schwierige; sie mußte sich den Boden schaffen, um zugleich die Fehler der beiden Vorgängerinnen zu corrigiren und ihrer eigenen Aufgabe gerecht zu werden. Aber mich will bedünken, als ob gerade in der eben wiedergegebenen Erklärung der faule Punkt, die Wurzel aller bisherigen Mißgeschicke in Sachen des Schiller-Preises angedeutet liege.

Die Praxis, den Ausschlag durch die Intendanten und Directoren unserer großen Theater geben zu lassen, also unter den „aufgeführten“ Stücken zu wählen, diese Praxis muß aufgegeben werden.

Man prüfe doch das Repertoire sämmtlicher deutscher Bühnen, und – eine schmerzliche Ueberzeugung wird sich Jedem, der sehen will, alsbald aufdrängen: daß es wenige, sehr wenige Bühnenleiter giebt, welche die Befähigung oder den Muth besitzen, die Initiative zur Aufführung eines anderswo noch nicht aufgeführten Stückes zu ergreifen. Die Meisten warten ruhig ab. Einige blicken höchstens in gespannter Erwartung nach – Delphi, und was man dort „Neues“ verkündet, das bringen sie nach kürzerer oder längerer Frist ebenfalls – oder auch nicht; es müßte denn – ein neues französisches Sittendrama sein.

Ferner: Haben der geringen Zahl von Muthigen unter den Bühnenleitern sämmtliche beachtenswerthe deutsche Stücke des Trienniums vorgelegen? Und wenn – sind sie auch alle mit dem nothwendigen fachlichen Ernste geprüft worden? Die oben angeführten Thatsachen verneinen es. Dennoch aber hing bisher im Grunde nur von jenen Wenigen die Entscheidung einer Schiller-Commission – das Schicksal einiger Hunderte deutscher Dramatiker ab, die während des Trienniums ein Stück geschrieben hatten.

Es kann nicht der Zweck dieser Zeilen sein, eine künftige Schiller-Commission belehren zu wollen, wie es anders und besser zu machen sei, allein – übernehmen die Herren Preisrichter einmal ein so hohes Ehrenamt, so müssen sie selbst diesen besseren Weg zu finden wissen; sie müssen sich von vornherein der übernommenen schweren Verantwortung bewußt sein; sie müssen die dramatische Production des letzten Trienniums selbst prüfen, zu prüfen fähig sein, oder für die zugedachte Ehre danken, nicht aber auf unzuverlässige Berichte sich verlassen und darauf hin – über die Geister einer Nation entscheiden.

Werthvolle Stücke werden dann sicherlich zur Krönung gelangen – ob auch bühnenfähigere, als bisher? Hier ist der Punkt, welcher eine Schwäche der ursprünglichen „Statuten für Ertheilung des Schiller-Preises“ kennzeichnet, und dieser Umstand wirkt einigermaßen entlastend für Mängel in der Wahl seitens der ersten Commissionen.

Ein Stück liest sich oft anders, als es sich spielt; erst die Aufführung kann den Grad seiner Bühnenfähigkeit feststellen. Will man also durch Preisausschreibungen den praktischen Hauptzweck erreichen, dem deutschen Repertoire neue werthvolle Bühnenstücke zu gewinnen, dann muß auch in den Commissionen vor Allem die Bühne, der wirklich dramatische, nachhaltige Bühnenerfolg die ausschlaggebende Stimme haben. Bühnenkundige, ästhetisch-literarisch gebildete Männer haben zunächst, umsichtig und gewissenhaft, eine Anzahl beachtenswerther Stücke zu bezeichnen und auszuwählen, diese haben dann die Feuerprobe der Bühne auszuhalten, und je nachdem sie solche vor einem urtheilsfähigen Publicum mit Auszeichnung bestanden, erfolgt die Bestätigung des nunmehr bereits fertigen Urtheils: die Preiskrönung!

Daß nur die Aufführung eines Stückes der richtig entscheidende Factor für eine Preiskrönung sein kann, hat auch die Intendanz der Münchener Hofbühnen erkannt, welche durch Munificenz des kunstsinnigen Königs von Baiern bereits zwei Jahre nach einander Preisausschreibungen erließ, auf Grund deren erst nach erfolgter dreimaliger Aufführung der ausgewählten Stücke die endgültige Entscheidung über eine Dichterkrönung getroffen werden soll.

Möchte alles Mögliche aufgeboten werden, um den Segen des Schiller-Preises der Nation vollauf zu Gute kommen zu lassen! Daß derartige Preisausschreibungen einen hohen nationalen Werth in sich tragen, wenig sichtbar vielleicht für den Augenblick, doch segensreich für die Zukunft der deutschen Bühne, segensreich für die deutschen Dramatiker, segensreich für die Nation – das ist zweifellos. Durch sie zunächst können Fürsten, können die deutschen Bühnenleiter einer durch zahlreiche dramatische Ablaßverkäufer von der Kanzel der Bühne herab schamlos feilgebotenen „importirten“ Frivolität und Sittenverderbniß wirksam entgegentreten; durch sie zunächst kann eine leider schon weit verbreitete deutsche Fremdenseuche wirksam bekämpft werden, und durch sie vielleicht können so manche kritische Verherrlicher des unsittlichen Imports gebessert, kann vielleicht so mancher ungläubige Saulus ein Paulus werden!

Karl Fiedler.      




In der Nacht.

Durch’s Waldthal unter den Bäumen
Im Mondlicht schreit’ ich dahin;
Ein altes vergessenes Träumen
Umspinnt mir lockend den Sinn.

5
Die dunklen gespenstigen Säulen

Ragen am Berghang dort,
Den Käuzlein nur und den Eulen
Ein heimlicher Zufluchtsort.

Aus den Felsen klingt’s; in den Zweigen

10
Gelinde säuselt der West,

Und goldene Thürme steigen
Aus Schutt und Mauerrest.

Aus wallendem Nebel leise
Die todte Liebe taucht;

15
Sie bannt mich in ihre Kreise,

Vom Glanz der Jugend umhaucht.

Wie selig wir damals waren,
Weißt Du’s? so flüstert sie drauf;
Und was mir versunken seit Jahren,

20
Lebendig leuchtet es auf.


Doch wie es gekommen, so balde
Zerrinnt mir das Wundergesicht!
Wo ich sie küßte im Walde,
Die Holde – ich weiß es nicht.

25
Das luftige Bild ist zerstoben,

Der duftige Traum ist verweht!
Nur das wüste Gemäuer da droben
Gespenstig noch vor mir steht.

Im Frühlicht unter den Zweigen

30
Vereinsamt irr’ ich umher…

Die Sonne dort seh’ ich steigen;
Die Herrliche schau’ ich nicht mehr.

 Wilhelm Buchholz.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_752.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)