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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

machten. Seit jener Zeit dachte er nicht mehr an das juristische Studium.

Schon damals war Oehlenschläger ein überaus fruchtbarer Schriftsteller. Nicht nur wurden die von ihm an belletristische Zeitschriften gelieferten Beiträge immer zahlreicher: es erschienen auch bereits größere Arbeiten von ihm. Was er schrieb, erwarb ihm bald den Ruf eines „jungen, vielversprechenden Dichters“, und als im Jahre 1800 Jens Baggesen, ohne Frage der bedeutendste Dichter Dänemarks in jenen Tagen, das Land verließ, um, wie er glaubte, niemals zurückzukehren, vermachte er Oehlenschläger seine „Dänische Leier“. Dennoch befindet sich unter Allem, was der junge Schöngeist, der „Mann mit den verborgenen Talenten“ – so nannten ihn diejenigen seiner Freunde, welche ein Auge für die in ihm wogende Unruhe und Gährung hatten – damals zu Tage förderte, wenig oder nichts, woraus man hätte schließen können, auf welche Höhe er sich in kurzer Frist erheben würde.

Daß Oehlenschläger’s Zeitgenossen von seinen damaligen Arbeiten befriedigt wurden, ist durchaus natürlich. Er dichtete, wie es Mode war, getreu den Idealen, der Lebensanschauung und der Dichtungsweise, die man von der faden nüchternen Aufklärungsperiode her als Erbe übernommen, und die selbst ein Ewald oder ein Wessel nicht zu verdrängen vermocht hatten. In erster Reihe stand die Rücksicht auf das Nützliche, was der Dichtkunst vorherrschend einen moralisirenden, lehrhaften Zuschnitt aufnöthigte. Vom ästhetischen Standpunkte beschränkte sich ihre Aufgabe darauf, „nette Gedanken verständig in einem guten und angenehmen Versmaß auszudrücken“, und auf der anderen Seite sollte sie das allgemeine Wohl durch Kräftigung des Bürgersinns, der Liebe zur Tugend etc. befördern. Oehlenschläger folgte, wie alle Anderen, dem Strom, und es bedurfte eines starken äußeren Anlasses, um ihn in eine neue Spur zu bringen, die ihn in das Land der echten Poesie, seiner eigentlichen Heimath, führen sollte. Endlich kam dieser entscheidende Stoß; er ging von Heinrich Steffens, dem berühmten Philosophen und Naturforscher, aus.

Steffens war in Norwegen geboren und in Dänemark erzogen, doch hatte sein Geist das eigentliche Gepräge in Deutschland erhalten, wo er sich mit Begeisterung an Schelling und die romantische Schule anschloß. Gegen Ende des Jahres 1802 kam er nach Kopenhagen und hielt hier Vorlesungen, in denen er wie „ein zweiter Ansgar“ ein neues Evangelium predigte. Dieser geistreiche und beredte Mann, „der Mann des Blitzes“, wie Grundtvig ihn nannte, gewann einen außerordentlich großen Einfluß auf die Entwickelung des dänischen Geisteslebens, obgleich er fast wie ein Meteor vorüberflog – er war nicht viel länger als ein Jahr in Kopenhagen. Man erstaunte über die Fülle reicher Gedanken, die ihm entströmten, und man erkannte bald, daß, wenn der Geist, den er verkündete, zur Herrschaft gelangte, nicht viel von den geltenden Lebensanschauungen sich aufrecht erhalten könnte. Eine ganz neue Welt mit anderen Begriffen, anderen Idealen, als den herkömmlichen, erschloß er seinen Zuhörern. Die ältere Generation nahm daran Aergerniß und lehnte sich gegen die von dem unruhigen Kopf verkündeten neuen Lehrsätze auf, aber die Jüngeren stellten sich begeistert auf seine Seite, machten seine Gedanken zu den ihrigen und nahmen Eindrücke auf, die für ihr ganzes Leben bestimmend wurden: die beiden Oersted, Grundtvig, Mynster und viele Andere, vor allen aber Oehlenschläger.

Nach einem flüchtigen Zusammentreffen in einem größeren Kreise, wo Oehlenschläger auf’s Eifrigste gegen die vielen neuen von Steffens ausgesprochenen Meinungen auftrat, die, wie er sich ausdrückt, „machten, daß den Anwesenden die Haare zu Berge ständen“, besuchte dieser Steffens in seiner Wohnung und hatte ein sechszehnstündiges Gespräch mit ihm. Am nächsten Morgen schrieb Oehlenschläger sein Gedicht „Die goldenen Hörner“, und als er es Steffens vorlas, brach dieser in die Worte aus: „Ei, Sie sind ja ein wirklicher Dichter,“ und gestand ihm, daß diejenigen seiner Gedichte, die er früher gelesen, den Glauben in ihm erweckt hätten, Oehlenschläger sei ein alter, abgelebter Mann. Und Steffens hatte Recht. Der wirkliche Dichter trat erst in jener Nacht hervor, als er durch Steffens sich selbst und seine Aufgabe verstehen lernte. Seit dieser Zeit weht uns aus seinen Gedichten ein phantasiefrischer, jugendlicher Hauch entgegen. Wohl kann es vorkommen, daß seine Poesie auf Abwege geräth, allein von Greisenhaftigkeit ist keine Spur mehr darin.

Das Motiv zu dem Gedicht „Die goldenen Hörner“ bilden die beiden Trinkhörner aus massivem Golde, die einst in Schleswig gefunden waren, zwei der köstlichsten Alterthumsdenkmäler, die Dänemark je besessen. Sie waren gerade damals aus der Kunstkammer, wo man sie aufbewahrt, von einem Goldschmied gestohlen, der sie umgeschmolzen hatte. Der Dichter faßt diesen Vorfall in echt romantischer Weise symbolisch auf: die Götter hatten das nationale Streben, in das Heldenleben des alten Nordens einzudringen, damit belohnt, daß sie die herrlichen goldenen Gefäße auffinden ließen, als aber der Sinn für die nationale Vergangenheit dermaßen vom Volke wich, daß es die ehrwürdigen alten Denkmäler nur noch neugierig anstarrte und nach dem Werth des Goldes schätzte, da nahmen die Götter ihr Geschenk zurück. Dieser Gedanke ist mit einer poetischen Kraft und einem Schwung in der Diction durchgeführt, wie sie von Oehlenschläger selbst niemals übertroffen worden sind.

Wie mächtig der Durchbruch war, der sich zuerst in diesem Gedicht offenbarte, und wie fruchtbar die schöpferische Kraft, die nun in Thätigkeit trat, davon legt Steffens im fünften Bande seines Werkes „Was ich erlebte“ ein sprechendes Zeugniß ab.

„Ich gab ihn sich selber,“ heißt es da; „er erkannte den eigenen inneren Reichthum, und ich erschrak fast, als die jugendliche, frische Quelle mir entgegenströmte. Er kannte wohl die deutschen Dichter; er verehrte wohl Goethe, aber er wagte es nicht, dem, was ihn innerlich erfüllte, Worte zu geben. Jetzt zerbrachen plötzlich die Fesseln, und er war Dichter. Er fühlte sich befreit, jubelte und belohnte denjenigen, den er seinen Befreier nannte, mit einer grenzenlosen, rührenden Hingebung. Keine Zweifel quälten ihn, die ungehemmte schöpferische Thätigkeit fand unmittelbar die geeignete Gestaltung. Was mich in Erstaunen setzte, da ich es unter allen Menschen am unmittelbarsten erlebte, war die Leichtigkeit, mit welcher er seine Muttersprache beherrschte. Eine nie vorher gekannte Anmuth und dichterische Fülle entwickelte sich plötzlich, eine neue Epoche der Sprache, die über ganz Skandinavien sich mächtig verbreitete, trat ahnungsvoll und reich unter meinen Augen hervor. Man kennt Oehlenschläger nicht als Dichter, kann sein jugendliches Verdienst nicht schätzen, wenn man nicht die fast unglaubliche Gewalt erwägt, die er über die Sprache ausübte.“

Ebenso sprechend für die Bedeutsamkeit jener Wandlung ist ein Vorfall, der sich an die Herausgabe der ersten Gedichtsammlung Oehlenschläger’s in dieser Zeit knüpft. Er hatte sich mit einem Buchhändler über die Herausgabe einer solchen Sammlung geeinigt. Steffens aber verwarf fast Alles, was zur Aufnahme in dieselbe bestimmt war, und in größter Eile – Steffens war im October gekommen; das Buch sollte zu Weihnachten erscheinen – schrieb Oehlenschläger eine große Anzahl neuer Gedichte, sodaß die Sammlung zur rechten Zeit erschien und gerade um des Neugeschaffenen willen ein außerordentliches Aufsehen erregte: denn es erklangen darin ganz neue Töne, die durch ihre wunderbare Schönheit die Jugend unwiderstehlich hinrissen, während sie zugleich die Männer der alten Zeit zu den Waffen riefen. Den Inhalt bildeten Romanzen, die zu dem Besten gehören, was wir von Oehlenschläger besitzen, und das liebliche dramatische Idyll „St. Johannisabend-Spiel“ mit seinen stimmungsvollen lyrischen Episoden, worin der Dichter mit lebhaften Farben das Sommerleben der Kopenhagener im Walde schildert und kraftvolle, von dem jugendlichen Glauben an die von ihm verfochtene Sache und von Siegesgewißheit getragene Angriffe gegen den nüchternen, pedantischen Geschmack der Zeit richtet.

Im Jahre 1805 erschienen zwei Bände „Poetische Schriften“, die eine Anzahl kleinerer Gedichte, die beiden Gedichtcyklen „Die Reise nach Langeland“ und „Jesu Christi wiederholtes Leben in der Natur“, ferner die mit tiefsinniger Symbolik durchwebte „Vaulundurs-Sage“, deren Stoff der nordischen Vorzeit entnommen war, endlich die dramatische Dichtung „Aladdin oder die Wunderlampe“, eine meisterhafte dramatische Behandlung des bekannten Märchens in „Tausend und einer Nacht“, enthielten. Dies letztere ist wohl sein bestes Werk, jedenfalls dasjenige, in dem seine reiche jugendfrische Phantasie, seine stimmungsvolle Lyrik und seine liebenswürdige Laune sich zur schönsten Harmonie verschmelzen. Die Aufnahme war eine glänzende; er selbst nun seiner Sache völlig sicher. Die Jurisprudenz ward gänzlich aufgegeben, und er trat eine Reise in’s Ausland an, wo er sich fast fünf Jahre aufhielt.

Zuerst besuchte er Steffens in Halle und blieb bei ihm ein

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