Seite:Die Gartenlaube (1879) 783.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


entschuldigte sich sodann mit den Worten. „Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten, als ich sah, wie rasch Eure soeben noch so langen Gesichter einen anderen Ausdruck annahmen.“ Mit Bezug auf die Lage der Gemeinde äußerte sie: „Alle Geschöpfe Gottes sind gut, und wir essen und trinken, was wir bekommen können – warum auch nicht? Zuweilen essen und trinken wir sehr wenig, zuweilen gar nichts, aber wir sind’s zufrieden. Das verborgene Manna kommt. (Gemeinde: ‚Preiset Gott!’) Es kommt irgendwie; ich sage Euch, irgendwie, und wir sind befriedigt.“

Sie schloß ihre seltsame oratorische Leistung mit den Worten: „Ich bin vollkommen, und auch Ihr seid es, wenn Ihr Gottes Kinder seid. Ihr kennt mich, Ihr seht mich, das wahnsinnige Weib, die fanatische Mrs. Girling; nun denn, ebenso wie Ihr mich kennt und seht, habe ich unsern Herrn Christus gekannt und gesehen. Darum dauert aus!“

Es konnte kein Zweifel darüber herrschen, daß die Gemeinde von der Predigt einen tiefen Eindruck empfing; dies bezeugten die fortwährenden eifrigen Ausrufungen der unserer Dame näher sitzenden Andächtigen ebenso, wie die gespannte Aufmerksamkeit, mit der die hinteren Reihen der Anwesenden ihren Worten schweigsam lauschten. Nach der Predigt kündigte Mrs. Girling „Die vierzigste Hymne des amerikanischen Buches“ an, ein von Märschen, Fehden und Siegen sprechendes, nach einer lebhaften Melodie gesungenes Schlachtlied, dessen einzelne Strophen auch ausgelegt wurden. Bis dahin war der Gottesdienst der Shakers, wenn man von der Seltsamkeit der Predigt absieht, in seinen Aeußerlichkeiten von dem vieler anderer englischer Secten nicht wesentlich abgewichen. Nun aber kam etwas ganz Apartes an die Reihe.

Kaum hatte Frau Girling einige Sätze eines Schlußgebets hergesagt, so zog sie auf die sonst nur hysterischen Personen eigene Weise den Athem ein, verließ die Plattform, die ihr zur Kanzel gedient, und hüpfte – wobei die Gemeinde mit besonderer Wärme ausrief: „Gott sei gepriesen!“ – bald mit dem einen, bald mit dem andern Fuß umher, gleichzeitig mit den Armen heftig herumfuchtelnd und kurze Erbauungssentenzen hervorstoßend. Sie blieb nicht lange allein; denn bald stieß eine junge Frau, die in einer Vorderbank saß, ebenfalls einen hysterischen Schrei aus, erhob sich und tanzte auf dieselbe Weise; nur waren ihre Bewegungen elastischer als die des alten Weibes. Der Gegensatz zwischen den zwei hüpfenden Gestalten und den sie umgebenden feierlich-ernsten Gesichtern deren Besitzer einander zuflüsterten, „der Geist“ sei über jene Beiden gekommen – dieser Contrast reizte fast unwiderstehlich zum Lachen und es bedurfte unserseits der strengsten Selbstbeherrschung, um nicht in ein die Rücksichten der Schicklichkeit verletzendes Gelächter auszubrechen. Der Zwang war aber so groß, daß wir einander zuwinkten und uns lieber entfernten.

Unser Cicerone führte uns in der kleinen Colonie umher. Die Zelte der Männer waren weit reinlicher und behaglicher, als die der Frauen und Kinder. Die Zelte müssen offenbar übervölkert sein, da hundertzwanzig Personen Raum darin finden sollen; viele Möbelstücke, Schachteln und Geräthe lagen denn auch in Folge Raummangels im Freien der Unbill des Wetters ausgesetzt. Gekocht wurde sehr wenig, denn die ganze Gemeinde besaß nur einen einzigen, kurz vor unserem Besuche von einem Eisenhändler gespendeten Kochofen, und selbst dieser wurde nur wenig benutzt. Ein kleines Kartoffelfeld, ein Dutzend Spanferkel, zwei Pferde und zwei Karren machten den ganzen landwirthschaftlichen Reichthum der Shakers aus. Dennoch waren dieselben an Wochentagen keine Faullenzer; zumeist Handwerker, arbeiteten sie in ihren verschiedenen Fächern theils was sie für sich benöthigten, theils was sie in der Stadt austauschen konnten. Der Gottesdienst war bald zu Ende, und die Gemeinde kam aus der Capelle, um sich zu sonnen. Während die nett gekleideten und reinlichen Kinder spielend herumliefen, bildeten die ebenfalls sorgfältig toilettirten Erwachsenen plaudernde Gruppen.

Als Mrs. Girling uns mit einem ihrer Jünger beisammen sah, kam sie, uns die Hand reichend, auf uns zu. Sie war wie verwandelt; hätte sie nicht dasselbe schwarze Seidenkleid und dieselbe turbanartige, rosa und weiße Haube getragen, wir hätten kaum geglaubt, daß das kluge, intelligente Gesicht, die humorvollen Augen und die ruhige Art und Weise derselben Dame angehören, die soeben noch da drinnen gepredigt und getanzt hat. Die zärtlichen liebevollen Blicke, die ihr nachgeworfen wurden, ließen den Umfang ihres Einflusses ermessen. Auf meine Frage, ob das lebhafte Predigen, Singen und Tanzen nicht ermattend wirke, antwortete sie:

„Erschöpfung! Sehen Sie jene Blätter, die der Wind hin und her bewegt? Sie sind nicht ermüdet, weil die Kraft ihnen von außen her kommt. So verhält es sich mit uns; der Geist wirkt auf uns ein, sodaß wir nicht nur keine Müdigkeit, sondern sogar frische Kraft fühlen.“

„Waren Sie sich Ihrer Reden bewußt, als Sie ‚im Geiste’ waren?“

„Ja, aber ohne vorher zu wissen, was ich sagen würde. Der Geist inspirirte mich.“

„Warum bleiben Sie in dieser Gegend, da Sie kaum hoffen können, jenes große Gebäude wieder zu erlangen?“

„Wir wagen es nicht, die Rechte des Herrn aufzugeben. Für uns verlangen wir wenig, aber Ihm müssen wir treu bleiben; sobald er kommt, wird Alles gut sein.“

„Erwarten Sie seine Ankunft bald?“

„Tagtäglich.“

All die vielen Fragen, die wir noch stellten, wurden in demselben Geiste beantwortet.

Es ist darüber gestritten worden, ob diese sich für die unmittelbare Vorläuferin des „Königs der Könige“ ausgebende Frau eine Betrügerin oder das Opfer einer fixen Idee sei. Wir glauben entschieden, für das Letztere einstehen zu sollen, denn Mrs. Girling hat offenbar keinerlei Interesse, einen solchen absichtlichen Betrug zu verüben; schon die Eingangs angeführten volkswirthschaftlichen Principien scheinen uns eine solche Annahme auszuschließen. Auch verschiedene aus der Geschichte der Secten zu schöpfende Analogien sprechen für unsere Ansicht. Thatsache ist, daß nur der Einfluß der Mrs. Girling die Gemeinde, die sich in so precärer Lage befindet, zusammenzuhalten vermag, und zweifellos wird die Secte der Shakers über kurz oder lang sich wieder auflösen.




Gefahren im Umgang mit Petroleum und verwandten Stoffen.
Von Dr. Fr. Dornblüth.


Die seit längerer Zeit über die Verschlechterung des amerikanischen Petroleums laut gewordenen Klagen, die sich zunächst hauptsächlich auf geringere Leuchtkraft und rascheres Wegbrennen in den Lampen bezogen, haben in vielfachen Unglücksfällen von denen einige der schlimmsten auch in den Tageszeitungen beschrieben worden sind, schreckliche Unterstützung gefunden. In der Regel handelte es sich um plötzliche Entzündungen und Explosionen beim Eingießen von Petroleum in eine noch brennende Lampe oder bei allzu nahem Leuchten mit einem Lichte; hin und wieder scheint auch das Petroleum einer umfallenden, einer umhergetragenen oder selbst einer stillstehenden brennenden Lampe sich entzündet zu haben. Von den letztaufgeführten Fällen sind mir keine sicher bekannt. Häufiger sind Explosionen beim Eingießen von Erdöl – gewöhnlich von Resten – aus der Flasche oder Blechkanne in Küchenherde und Oefen, was leichtsinniger Weise außerordentlich häufig, und zwar nicht blos von einfältigen Dienstboten, geschieht, um die vorhandene Gluth oder Kohlenreste rasch zu hellem Brennen zu bringen.

Das rohe Petroleum, wie es von der Natur geliefert wird, besteht bekanntlich aus einem Gemenge von Körpern, welche nicht in gleicher Weise die Wärme vertragen. Seine Destillation oder Reinigung besteht darin, daß das rohe Petroleum stufenweise höher erwärmt wird und die auf jeder Stufe entweichenden Dämpfe in einer abgekühlten Vorlage aufgefangen und wieder in flüssigen Zustand übergeführt werden; von den zuerst ausgeschiedenen Körpern wird das Ligroin bekanntlich als Leuchtstoff, der Petroleumäther unter Anderm zu Einreibungen bei allerlei schmerzhaften Krankheitszuständen, das Benzin als Fleckenwasser zur Auflösung von fettigen, harzigen und anderen Stoffen verwendet. Nach Entfernung dieser flüchtigeren Körper geht das

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_783.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)