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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

sie. Der Ton ihrer Stimme, die Farbe ihres Haares führten mir immer wieder jenes arme Kind zurück; in meiner Phantasie – lachen Sie nicht, Baronin! – nahm sie gegen meinen Willen, gegen alles Einreden meiner Vernunft, immer und immer Lucia’s Züge an; die beiden Gestalten verschwammen förmlich in einander und – wenn ich die ganze Wahrheit sagen soll – indem ich Ihre Schwester liebte, habe ich jenes Schattenbild der Entschwundenen mit in ihr geliebt –“

Er senkte den Kopf immer tiefer, während er sprach, und seine Stimme klang traurig und hatte eine ergreifende Innigkeit. Die Baronin stand mit der Hand vor dem Gesicht, als wolle sie ihre Augen vor dem zu grellen Strahl der Lampe schützen, wer aber hinter diese Hand hätte blicken können, der hätte zu seinem Erstaunen gesehen, daß die Dame lächelte.

Der Professor erhob den Kopf.

„Und nun,“ fuhr er ruhiger fort, „nun ich Ihnen so vollständig gebeichtet und nicht einmal meine eigenen Schwächen geschont habe, zeigen auch Sie Ihre gewohnte Güte, verehrte Frau, verzeihen Sie dem Sünder und sprechen Sie für mich bei dem Engel, den ich, ohne es zu wollen, beleidigte!“

„Das will ich gern thun,“ erwiderte die Baronin mild, „und ich bin überzeugt, daß Lucia Ihnen von Herzen verzeihen wird. Eigentlich gezürnt hat sie Ihnen ja nicht; nur ihrem eigenen unglücklichen Schicksal galten ihre Thränen. Sie kann unmöglich nachtragen, was ohne jede böse Absicht gesprochen war.“

„Und das ist Alles?“ rief Walter enttäuscht.

„Was wollen Sie noch? Sie sind gebunden; meine Schwester ist es; was läßt sich da weiter sagen?“

„Aber Sie sagten doch ein Mal – ich glaubte wenigstens zu verstehen, daß Sie eine neue Verbindung –“

„Allerdings, und das war auch meine Meinung. So wie die Sachen aber jetzt stehen, muß ich bezweifeln, daß Lucia jemals in eine Scheidung willigen würde.“

„Aber, großer Gott! Ist es denn möglich, daß sie jenen Menschen noch lieben kann?“

„Lieben?! Liebe ist ein sehr weiter Begriff, mein Freund. Die Hauptsache ist, daß sie furchtbar – über jede Beschreibung hinaus gelitten hat. Ich hielt sie für geheilt – ich freute mich darüber, allein an ihrem erschütternden Schmerz gestern Abend, an ihrer maßlosen Verzweiflung habe ich wohl erkennen müssen, daß die Wunde nur übernarbt gewesen; und ich weiß nicht, ob sie sich jemals hinreichend schließen wird, um in meiner unglücklichen Schwester auch nur den Glauben an die Möglichkeit eines neuen Glückes wieder zu erwecken.“

„O, wenn sie mich liebte!“ rief Walter glühend. „Wenn ich sie nur sprechen dürfte! Nur dieses eine Glück verschaffen Sie mir, Baronin; daß sie mich anhöre! Ihnen gegenüber sind meine Worte schwach gewesen; zu Lucia gesprochen, werden sie mächtiger sein. Geben Sie mir die Möglichkeit, sie dem Leben, der Freude, dem Glück, dem ihrigen und dem meinigen, wieder zu gewinnen, und wenn es nicht sein soll, lassen Sie mir in meiner Verzweiflung nicht auch noch den Stachel in der Seele, daß ich es nicht wenigstens versucht.“

Ein Geräusch ließ sich im Nebenzimmer vernehmen.

„Ich werde thun, was ich kann – warten Sie hier!“ sagte die Baronin und entfernte sich rasch.

Walter zählte die Secunden ihrer Abwesenheit nach seinen Empfindungen, und jede derselben dünkte ihm eine schmerzende Ewigkeit. Endlich kam die Baronin zurück. Sie war sehr erregt und hatte Thränen in den Augen.

„Lucia willigt ein, Sie zu sehen,“ sagte sie, „doch nur in meiner Gegenwart.“

„In Gegenwart der ganzen Welt, wenn sie es verlangt!“ erwiderte Walter lebhaft, und gleich darauf führte die Baronin ihre Schwester herein.

(Schluß folgt.)




Die Monroe-Doctrin.


Vor wenigen Jahrzehnten, im Anfang der fünfziger Jahre, erscholl durch sämmtliche Staaten der nordamerikanischen Union der Ruf: „Amerika gehört den Amerikanern.“ Man verlangte Abänderung der bisherigen Gesetze über Bürgerrecht-Erwerbung und längere Probezeit für die Einwanderer, welche sich um das letztere bewarben. Zu den Gründen, welche dieses Verlangen wachriefen, zählte in erster Linie der Umstand, daß die Einwanderung von Europa nach Amerika um jene Zeit ungewöhnlich große Dimensionen angenommen hatte; landeten doch während der sieben Jahre von 1851 bis 1858 über zwei Millionen und einmal hunderttausend Fremde an den Küsten der Vereinigten Staaten. Ein großer Theil dieser Einwanderer bestand aus katholischen Irländern, die unwissend, rauflustig und dem Trunke ergeben waren, ihren Geistlichen aber unbedingten, blinden Gehorsam zollten.

Die Agitation gegen das Fremdenelement erreichte ihren Höhepunkt, als der berüchtigte Erzbischof Bedini, ein nach Brasilien bestimmter Legat, von Pius dem Neunten den Auftrag erhalten hatte, die Vereinigten Staaten zu besuchen, um dort nach Kräften für die Förderung und Machtstellung der katholischen Papstkirche zu wirken. Wo immer der genannte Legat erschien, sammelten sich ganze Massen junger Männer, vorzugsweise Deutsche und Amerikaner, welche mit dem Rufe vor seine Wohnung zogen: „Nieder mit Bedini! Nieder mit den Papisten, diesen Erbfeinden der Menschheit!“

So geschah es namentlich in Cincinnati, aber auch in Baltimore, New-Orleans, Boston, New-York und Philadelphia. Die in Cincinnati von Friedrich Hassaurek herausgegebene deutsche Zeitung „Der Hochwächter“ schleuderte die heftigsten Angriffe gegen Bedini und das freiheits- und staatsgefährliche Papstthum, während die Amerikaner, welche nicht gern eine größere Bewegung vorübergehen lassen, ohne daraus politisches Capital zu schlagen, diese Gelegenheit zur Gründung einer besondern politischen Partei benutzten. Die Mitglieder dieser Partei wurden nach der jenseit des Oceans geltenden Sitte, Vereinen und Genossenschaften Spitznamen zu geben „Knownothings“ oder „Nichtswisser“ genannt.

Zu der specifisch amerikanischen Partei der Knownothings gehörte sogar Millard Fillmore, der nach dem frühzeitig verstorbenen Zacharias Taylor den Präsidentenstuhl der Union bestieg.

Unter den leitenden Grundsätzen der Knownothing-Politik sind folgende hervorzuheben:

„In Amerika sollen nur Amerikaner regieren; eingeborene Bürger müssen den Vorzug haben bei der Besetzung aller Aemter der Bundesregierung, der Einzelstaaten, der Counties und der Städte; Niemand soll, mag er ein eingeborener oder ein naturalisirter Bürger sein, zu irgend einer politischen Stellung erhoben werden, wenn er die Oberherrlichkeit irgend einer fremden Macht anerkennt, und dem nicht die nationalen Behörden Amerikas innerhalb ihres gesetzlichen Wirkungskreises als alleinige Richtschnur in allen staatlichen Angelegenheiten gelten.“

Die politischen Grundsätze der Knownothings kehrten ihre Spitze zunächst und hauptsächlich gegen die römischen Katholiken, welche die päpstliche Macht über jede andere Regierung, über alle staatlichen Gesetze stellen. Im Juni des Jahres 1855 sprachen sich die Knownothings in einer zahlreich besuchten Versammlung zu Philadelphia ganz offen in folgender Weise aus:

„Dem römischen Papstthum mit allen seinen Anmaßungen muß der Krieg erklärt werden, da dasselbe gefährlich ist für jedes protestantische Gemeinwesen, für jede Freiheit und nationale Selbstständigkeit. Wenn nicht als Führer, so erscheint doch das Papstthum allenthalben im Gefolge des Despotismus und schwächt mit den von ihm ausgehenden Lehren vom unbedingten Gehorsam die Kraft der Völker. Schon jetzt hat es nicht an Versuchen gefehlt, hier in Amerika einen Staat im Staate zu begründen. Die römische Geistlichkeit und einige von ihr verführte Gemeinden waren kühn genug zu verlangen, man solle ihnen einen Theil der Schuldotationen einzelner Unionsstaaten und Städte hergeben, damit sie mit diesen Mitteln besondere confessionelle Schulen gründen könnten. Ihre Dreistigkeit ging so weit, zu erklären, die öffentlichen Schulen Amerikas untergrüben alle Religion und Sittlichkeit, sie gingen darauf aus, ungläubige und liederliche Menschen heranzubilden. Daß dem nicht so ist, weiß jeder Kundige. Nur Aberglaube,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_799.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)