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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

beide Theile vorläufig von Heil; auch daß der eine Theil so rasch und vollständig unterlag, brachte nach allen Seiten klare Stellungen und ermöglichte wenige Jahre darauf den großen deutschen Siegeszug, in dessen Jubel wir ehrlich einstimmten. Hätten, wie man an der Seine gehofft, wir uns damals gegenseitig geschwächt und aufgerieben, so wären beide Theile der Schmach napoleonischer Dictatur abermals verfallen; wir aber waren, sind und fühlen deutsch genug, um ein solches Loos für das allerschimpflichste zu halten. Im geistigen Streben verbunden, gehen wir friedlich neben einander den großen Zielen entgegen, wir Deutsch-Oesterreicher im Fortschritte mitunter gehemmt durch fremdartige Elemente, die sich wie Bleigewichte an unsere Füße hängen. Aber auch diese werden naturgemäß mit der Zeit abgeschüttelt werden, und früher oder später wird die alte tausendjährige Vereinigung, so oder so, gewiß wieder erfolgen.“

Halb und halb ist die Vereinigung durch den großen Reichskanzler schon bewirkt worden, so weit sie eben jetzt schon möglich ist, wo wir noch überall in den Anfängen stehen.

Neuerdings hat Ernst Scherenberg sämmtliche Dichtungen, wie sie nach und nach erschienen sind, in einem Bande vereinigt unter dem einfachen Titel „Gedichte“ im Verlage von Ernst Keil in Leipzig herausgegeben, und es erscheint davon bereits die zweite Auflage. Was unsere Herzen bewegt, die ganze Tonreihe unserer Empfindungen vom vernichtenden Schmerze und düsterer Trauer bis zum überquellenden Gefühle höchsten Glückes, findet darin Wort und Sprache und läßt in jeder empfänglichen Brust die verwandten Saiten widerklingen.

In den politischen Gedichten tritt uns ein Dichter entgegen, dessen ganze Seele dem Vaterlande gehört. Was wir in den letzten zwanzig Jahren, von dem ersten Wieder-Erwachen unseres Nationalgefühles an bis auf den heutigen Tag, wechselnd erlebt: unser Hoffen, unser Verzagen, der kriegerische Zorn, der Siegesjubel, es ist in diesen Versen niedergelegt, in denen die Schönheit der Form die Gluth nicht erkältet, sondern erhöht. Was die Dichtung „Verbannt“ betrifft, so möchten wir mit den Worten von Anastasius Grün schließen: „Sind schon die früheren Stücke fesselnd und reizend, so ist der Liedercyklus, mit welchem das Buch endet, wohl dessen Perle. Mit ihm klingt das Ganze in einem prächtigen Schlußaccord aus, der noch lange wohlthuend nachhallt.“

Friedrich Roeber.




Verheirathet.

Novelle von H. Wild.

(Schluß.)

War das wirklich die gestern noch so blühend rosige junge Frau? Wie bleich, wie zaghaft, wie verweint sah sie aus! Was mußte sie in diesen wenigen Stunden durchlitten haben! Walter vermochte kein Wort hervorzubringen. Er, der so sehr geprahlt, welche siegende Beredsamkeit er vor der Geliebten entfalten würde, fand, nun er sie vor sich sah, auch nicht den armseligsten Ausdruck für das, was er empfand. Stumm ging er ihr entgegen, nahm ihre beiden Hände in die seinigen und sank schweigend auf die Kniee. Mit einem traurigen, aber unendlich sanften Lächeln sah sie einen Augenblick auf ihn nieder.

„Stehen Sie auf, mein Freund!“ sagte sie dann mit ihrer weichen Stimme, in welcher der verhaltene Schmerz leise zitterte. „Stehen Sie auf! Eine solche Stellung ziemt sich nicht für Sie.“ Und während Walter sich nun erhob, fuhr sie erröthend fort: „Ich habe Ihr Gespräch mit meiner Schwester gehört, verzeihen Sie mir diese Indiscretion –“

Walter wollte sie freudig unterbrechen, doch sie ließ es nicht zu.

„Mißverstehen Sie mich nicht,“ sagte sie dann. „Ich bin Ihnen dankbar für Ihren Glauben an mich; dieser Glaube und die Art, wie Sie ihm Ausdruck gegeben, hat mir unaussprechlich wohlgethan – allein ich weiß, daß ein Schatten auf meiner Ehre ruht –“

Als Walter hier heftig protestiren wollte, hob sie flehend die Hand, und er fügte sich in verzweifelter Resignation.

„Ich hatte das früher doch nicht so gewußt,“ fuhr sie mit etwas unsicherer Stimme fort; „ich hätte es freilich wissen können, aber ich war noch so unerfahren damals – und so habe ich gerade daran weniger gedacht, vielleicht eben, weil es, Gott sei Dank! nur ein Schatten und so gar keine Wirklichkeit ist. Allein die Welt sieht nur diesen Schatten, und, mein Freund, wer weiß, wie bald die Stimme der Welt Sie selbst irre machen würde –“

„Nie!“ rief Walter, der sich nicht mehr zurückhalten ließ, „nie wird der Hauch eines Argwohns meine Lippen oder mein Herz beflecken. Ebenso gut könnte ich meine Mutter lästern! Hier schwöre ich bei dem Namen dieser Theuren, daß ich Sie achte, liebe und verehre, Lucia, wie nur je ein Weib geachtet, geehrt und geliebt wurde.“

Die junge Frau antwortete nicht gleich. Sie zitterte sichtlich und rang in stillem Kampfe ihre Hände heimlich in einander.

„Sie sehen mich jetzt durch die Augen der Leidenschaft,“ hauchte sie endlich mühsam. „Wie bald werden meine Fehler, meine Mängel diesen falschen Schimmer von mir abstreifen!“

„Sei still und laß jetzt mich reden –“ schnitt die Baronin energisch alles Weitere ab. „Mir scheint, Ihr vergeßt Beide den allerwichtigsten Punkt. Lucia’s Mann, meine ich, hat denn doch auch ein Wort mit drein zu reden, und da fällt mir eben ein, daß er sich wahrscheinlich sehr entschieden gegen die Auflösung seiner Ehe aufbäumen wird.“

„Aber ist denn der Mensch verrückt?“ fuhr Walter zornig auf.

Die Baronin lächelte fein. „Manchmal sieht es fast so aus,“ sagte sie, „aber glücklicher Weise ist sein Wahnsinn selten gefährlicher Art – dann scheint mir aber auch, bester Professor, daß Sie erst die Frau sollten kennen lernen, von der Sie – versuchen wollen, sich scheiden zu lassen.“

„Kann ich die Erde aufwühlen, um sie zu finden?“ versetzte er heftig.

„Das nicht, aber wenn wir Alle uns ehrlich bemühen wollen, finden wir vielleicht doch einen Weg. – Vor Allem aber habe ich hier Lucia’s Contract –“

„O Rosa! noch nicht!“ bat die junge Frau erbleichend und streckte abwehrend beide Hände nach der Schwester aus.

„Rosa hin, Rosa her!“ entgegnete diese ungeduldig, indem sie zum Schreibtische ging. „Mit all Euren schönen Redensarten kommt Ihr doch keinen Schritt weiter.“

Sie zog aus einer Lade ein kostbar gearbeitetes Kästchen, das sie dann ruhig öffnete, um ihm ein großes zusammengefaltetes Papier und noch einen anderen kleineren Gegenstand zu entnehmen. Die junge Frau verhüllte schluchzend ihr Gesicht.

„Hier,“ sagte die Baronin mit großer Gemüthsruhe, „ist das famose Document – und hier dieses kleine Kunstwerk dürfte Ihnen vielleicht nicht ganz unbekannt sein.“ Lächelnd legte sie einen Ring in Walter’s Hand.

Der junge Mann starrte erbleichend darauf nieder – denn das war ja das Ebenbild des Ringes, den er daheim in einem Fache seines Schreibtisches sicher verwahrt hielt. Er hatte sie zu oft betrachtet, diese zarten, winzigen, in einander verschlungenen Rosen und Arabesken, um sie jemals vergessen zu können. Und fast entsetzt starrte er die Baronin an, welche unbarmherzig lachte. Rasch hatte sie das Papier entfaltet und hielt es ihm vor das Gesicht.

„Und nun auch das!“ sagte sie.

Walter zuckte zusammen, als schlüge der Blitz vor ihm ein, denn in unsicheren Linien, riesig und kaum leserlich standen wieder jene Schriftzüge vor ihm, die einst sein Schicksal besiegelt, und da war, dicht neben den Unterschriften, jener, wie er sich erinnerte, von Melazzo’s Finger hastig ausgewischte Tintenklecks.

Er hielt das Document in beiden zitternden Händen, seine Augen wurzelten darauf, und noch immer glaubte er, ihn täusche ein Traum.

„Aber so lesen Sie doch, Sie blöder Schäfer! Gott, wie schwer ist es doch, einem Manne den Staar zu stechen, wenn er nun einmal die Augen zuhalten will!“ rief die Baronin ungeduldig und zugleich mit plötzlich aufsteigender Aengstlichkeit, denn sie sah, daß ihre Schwester einer Ohnmacht nahe war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_824.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)