Seite:Die Gartenlaube (1879) 829.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 50. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig• – In Heften à 50 Pfennig.


Ein Seebad.
Von Otto Girndt.


1.

Vor dem Café Quadri in Venedig saß unter den alten Procuratien mit Cameraden seiner Waffengattung der Lieutenant Antonio di Fabbris am Abend bei der Mokkatasse und wiegte das jugendliche Haupt nach dem Tact der Musik, die in der Mitte des Marcus-Platzes von der Stadtcapelle auf tragbarem Orchester ausgeführt ward. Ein Theil des zahlreichen Publicums, das sich zum Concert eingefunden, umgab dichtgedrängt wie eine lebendige Mauer die Musikbühne; ein anderer Theil wogte unter dem glänzenden Licht der hohen Gascandelaber auf und ab; ein dritter sah, gleich dem Kreis der Officiere, um kleine Kaffee- und Eistische gruppirt, dem Treiben zu, musterte die Fremden, die aus allen Nationen hier zusammenströmen, oder ergab sich der Unterhaltung mit seiner nächsten Umgebung.

Antonio di Fabbris war als Musikenthusiast bekannt; seine Freunde brachen daher ihm zu Gefallen jedes Mal das Gespräch ab, wenn eine neue Melodie begann. Die Cameraden hielten viel auf den jungen Gesellen; er war als militärische Erscheinung ihr Stolz; denn auf sein Aeußeres paßte, was die Tochter des Regiments in Donizetti’s Oper von dem Schweizer Tonio singt: „Er war der Allerschönste im zweiten Regiment.“ Sein dunkler Teint verlieh ihm ein über seine Jahre männliches Aussehen; sein Wuchs war schlank; er hatte breite Schultern, schmale Hüften, und in seiner Gliederbewegung trat eine Grazie zu Tage, wie sie sonst nur den Frauen eigen zu sein pflegt.

Fabbris entstammte einer alten florentinischen Familie, deren Wappen aber verblichen war, bis Antonio’s Vater es mit neuem Firniß überzog, indem er eine reiche Kaufherrntochter heirathete. Dem einzigen Sohn überließ er es, auch in anderer Hinsicht den Glanz seines Adels wieder zu heben; der junge Lieutenant, der sich schon als Kind für die Kriegerlaufbahn entschieden, mußte, wenn er die väterliche Meinung nicht täuschen wollte, einmal den Generalsrang erreichen.

Bekanntlich wohnt in einem schönen Körper nicht immer eine schöne Seele, indeß Antonio’s Charakter ließ so wenig zu wünschen übrig wie seine Gestalt. Für seine Standesgenossen hatte er eine stets offene Helferhand, wenn Dieser oder Jener sich leichtsinnig in Schulden gestürzt, und er fragte nie, ob oder wann er ein Darlehn wiederbekäme. Seine Mittel erlaubten ihm, großmüthig zu sein. Für seine eigenen Bedürfnisse brauchte er wenig; kostspieligen Leidenschaften huldigte er nicht, nur auf eine ausgezeichnete fachwissenschaftliche Bibliothek legte er Werth und benutzte sie in dienstfreien Stunden eifrig. Die Abende verbrachte er entweder mit seines Gleichen im Freien oder in Familien, wo er eingeführt war. Die vornehmsten Häuser standen ihm durch Empfehlungen offen; auch beim Herzog Bevilacqua hatte er Zutritt gefunden. Der Herzog besaß einen der berühmtesten Paläste am großen Canal und von seiner frühgestorbenen Gemahlin nur ein Kind, eine Tochter.

Erminia hätte schon als kaum erblühte fünfzehnjährige Jungfrau einem Fürsten die Hand reichen können, wenn der Herzog es vermocht hätte, sich von seinem Augapfel zu trennen. Jetzt zählte sie achtzehn Sommer und mochte ihrerseits den Vater nicht verlassen. Sie wußte alle Verehrer, die ihr nahten, in Schranken zu halten, sodaß Keiner offen mit einer Bewerbung heranzutreten wagte und man ihr bereits den Beinamen „Penelope“ gab. Die Bezeichnung war ihr zu Ohren gedrungen – sie lachte darüber. Seit aber Antonio di Fabbris in ihr Haus kam, der ihr achtzehn Jahre im Alter voraus war, bewog sie nicht mehr die Kindesliebe allein, sich frei zu bewahren; sie wünschte heimlich, der Lieutenant möchte sich um sie bewerben.

Doch von Antonio’s Seite blieb es bei harmlosem Verkehr, er merkte nicht einmal, daß Erminia tieferen Antheil an ihm nahm. Wäre sie seiner Gegenliebe gewiß gewesen, von ihrem Vater durfte sie keinen Einwand gegen eine Verbindung unter ihrem Stande fürchten, wenigstens traute sie sich zu, derartige Scrupel des Herzogs leicht zu beseitigen; der gute Herr konnte ihr ja Nichts auf der Welt abschlagen – dazu war er selbst viel zu sehr verliebt in die Tochter. Und konnten die Connexionen Bevilacqua’s am Königshofe, wo er jeden Winter einige Monate mit Erminia verweilte, dem jungen Officier nicht zu ausnahmweise rascher Beförderung verhelfen? Aber, wie gesagt, Fabbris bemerkte die Zuneigung nicht, die man am großen Canal für ihn hegte. Er redete das Herzogskind fortgesetzt „Altezza“ (Hoheit) an, obschon er nach kurzer Bekanntschaft schlechtweg als „Signor Antonio“ begrüßt ward, da der Italiener im traulichen Umgang gern den Familiennamen fallen läßt und sich nur des Vornamens bedient.

Jedesmal, wenn Antonio seine Abenderholung auf dem Marcus-Platz suchte, konnte er auf den zierlichen Knicks eines Blumenmädchens gefaßt sein, das ihm nie das schönste ihrer kleinen Sträußchen vergeblich bot. Regelmäßig empfing die wandernde Händlerin das Fünffache des üblichen Preises für ihre duftende Gabe, die der Abnehmer später meistens liegen ließ oder zerpflückte. Kein Wunder, daß die Fioraja – so heißt in der Landessprache ein Blumenmädchen – sich so gewissenhaft mit ihrem Körbchen am Café Quadri einstellte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_829.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)