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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Blick war heute geschärfter als je für das kleinste Versehen seiner Mannschaft. Weder in den Pausen beim Exerciren, noch an der Mittagstafel der unverheiratheten Officiere, die gemeinschaftlich im Arsenal zu speisen pflegten, fiel eine Silbe von der blonden Polin; die höchsten Herrschaften beschäftigten alle Gemüther ausschließlich.

Am Abend bestieg Fabbris eine Gondel zur Fahrt in den großen Canal. Er hätte den Palast des Herzogs Bevilacqua schneller erreicht, wenn er die engen Wasserstraßen mitten durch die Stadt gewählt, er zog es aber vor, sich längs der Riva an sein Ziel rudern zu lassen. Weshalb? Was konnte es schaden, wenn er das „Hôtel Danieli“ in’s Auge faßte? Glaubte er doch vor neuen Fieberanfechtungen sicher zu sein, falls er die Gräfin von ungefähr wiedersah. So forderte er das Schicksal heraus und – sollte es büßen. Unten vor dem Hôtel stand ein Blinder, der zur Guitarre sang. Die Stimme des greisen Tenoristen hatte vielleicht einst in großen Opern Furore gemacht; sie klang noch in Trümmern süß und ergreifend. Aus einem weitgeöffneten Balconfenster neigte sich lauschend eine herrliche Frauengestalt zu dem gefallenen Bühnenstern nieder; ihre Hand streckte sich vor; des Blinden Führer fing ihr Almosen im Hute auf.

Antonio unterschied zwar ihre Züge nicht, aber Gasstrahlen vom Kronleuchter im Zimmer hinter ihr streiften das üppige Haar und übergossen es mit röthlichem Schimmer, der die Gestalt eines Heiligenscheines annahm. Und einer Heiligen gleich erbarmte sie sich der irdischen Noth zu ihren Füßen. Wehe dem Zeugen in der dunklen Gondel! Ein Stich durchfuhr sein Herz – alle Vorsätze waren dahin.

Verwirrt, fast taumelnd betrat er den Palast Bevilacqua. Ein Kreis von Gästen umringte im großen Salon den Hausherrn. Natürlich war auch hier nur vom König die Rede, von den Empfangsfeierlichkeiten, welche der Gemeinderath vorbereitete, und den Huldigungen, die der Adel darbringen werde. Antonio’s Erscheinen wäre unbeachtet geblieben, hätte Erminia nicht der Damastportière, durch die sein Weg führte, gegenüber gestanden. Daß sie die Stellung absichtlich eingenommen, wer merkte es? Freundlich ging sie dem Ankömmling entgegen, er jedoch begrüßte sie so förmlich und gemessen, daß sie stutzte. Der übrigen Gesellschaft zugeführt, verhielt Antonio sich schweigsam, theilnahmlos. Erminia beobachtete ihn fortgesetzt, bis sich ihr Gelegenheit bot, ihn ohne Aufsehen in eine Nische zu ziehen.

„Signor Antonio, was fehlt Ihnen?“ fragte sie leise.

„Mir, Hoheit?“

„Sie sind zerstreut, niedergeschlagen.“

„O, nicht doch!“

„Wollen Sie mich täuschen? Ihr Herz ist nicht frei.“ Er zuckte leicht zusammen. Sie hatte einfach gemeint, sein Herz sei bedrückt; jetzt erst ward ihr klar, welch anderer Sinn sich in ihr Wort legen ließ. Doch sie bereute die Doppeldeutigkeit nicht, im Gegentheil, sein Erschrecken machte sie kühner: „Ihre Bewegung verräth, daß ich auf der rechten Fährte bin. – Sie schweigen noch? Sie haben ein Geheimniß? Ei, ei, was soll ich davon denken?“

Er versuchte zu lächeln: „Ihr Scharfblick, Hoheit, ist merkwürdig.“

„Lassen Sie die Hoheit weg, sehen Sie nur das neugierige Mädchen und – Ihre Freundin in mir!“

„Nun denn,“ versetzte er, „ich will es nicht leugnen, ich unterliege einer Bezauberung, gegen die ich vergebens ankämpfe.“

„Warum ankämpfen?“

„Ich muß mich selbst einen Thoren schelten.“

„Gewiß, wenn Sie als Soldat muthlos sind! Was ist einem Manne, der den Degen trägt, unerreichbar?“

„In meinem Falle ist der Degen stumpf.“

„Sie machen mich ungeduldig. Wer hat Sie bezaubert?“

„Ein Weib!“

Sie trat ganz dicht an ihn heran: „Der Name?“

„Ich weiß ihn nicht.“

„Wie?“

Er senkte den halb aufgeschlagenen Blick: „Hören Sie denn, was mir geschehen!“

Und er erzählte. Schon bei seinen ersten Worten lehnte Erminia sich in die Nische zurück, hastig den Fächer vor dem Gesicht bewegend. Ihr Athem flog, aber sie unterbrach den jungen Mann durch keinen Laut, bis sie Alles vernommen. Arglos beichtete er, ohne Ahnung, wie er enttäuschte, welche Empfindungen er weckte. Die weibliche Natur verliert in kritischen Lagen entweder plötzlich jeden Halt oder gewinnt eine Selbstbeherrschung, die den stärksten Mann beschämt. Das Zweite trat bei Erminia ein; Antonio sollte nicht gewahren, daß er ihr weh gethan. „Er weiß ja nichts von meiner Liebe,“ sagte sie sich im Stillen, „sonst würde er mir dieses Geständniß nicht ablegen.“ Sie grollte ihm nicht, vielmehr beschlich sie ein Bedauern, daß ihm der Blick fehlte, zu erkennen, wo ihm Neigung blühte, und daß er seine Schwärmerei einer Unbekannten zugewendet, deren Wesen, wie glänzend es Antonio auch geschildert, ihr einen instinctiven Argwohn einflößte.

„Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen,“ hob sie an, als der Officier schwieg, „und da ich mich Ihre Freundin genannt, zählen Sie auf meinen Beistand!“

„Beistand?“ Er hob die Augen.

„Nun, es muß Ihnen doch wünschenswerth sein, Genaueres über die schöne Gräfin zu erfahren?“ Und ihn schnell verlassend, trat sie an die Gruppe der Cavaliere, die ihren Vater umgab, und brach mit lauter Stimme keck die Frage vom Zaun, ob die Herren von der strahlenden Polin im „Hôtel Danieli“ gehört oder sie gar schon gesehen? Sofort bejahten Mehrere der Anwesenden, und Fürst Giovanelli erklärte, er habe in der Mittagsstunde das Vergnügen gehabt, die Gräfin Ludovica Bariatinska in nächster Nähe zu bewundern, da sie die Einrichtung seines Palastes in Augenschein zu nehmen gewünscht. Erminia kehrte sich nach Antonio um und winkte ihm, aufzupassen. Der Fürst schwelgte ebenfalls noch in der Erinnerung an das beispiellos üppige Prachthaar. Ludovica hatte ihm offenbart, sie sei sehr jung Wittwe geworden und suche seit dem Verlust ihres Gemahls auf Reisen Trost. „Venedig ist ihr neu,“ fuhr Giovanelli fort, „mein Haus gefiel ihr außerordentlich; ich rieth ihr, sich auch bei Ihnen umzusehen, lieber Herzog, und glaubte, sie einer freundlichen Aufnahme versichern zu dürfen.“

Bevilacqua nickte zustimmend, Erminia fragte schnell: „Wann will sie kommen?“

„O, sie wird nicht lange auf sich warten lassen,“ meinte der Fürst; „denn sie erkundigte sich sofort nach der Zeit, in der Ihr Palast Fremden zur Ansicht geöffnet ist. Sie spricht kein sonderliches Italienisch, desto besser aber Französisch.“

Bevilacqua beklagte, daß ihm selbst der angekündigte Besuch vielleicht verloren gehe, da er den Berathungen des Adels über die Ovationen bei der Ankunft des Königs präsidiren müsse, doch werde jedenfalls seine Tochter bereit sein, die Gräfin zu empfangen. Erminia versprach lebhaft, den Vater würdig zu vertreten; dann näherte sie sich wieder dem Lieutenant Fabbris und flüsterte ihm zu: „Ich werde die Dame auffordern, uns einen Abend zu schenken, dann sollen Sie hier sein. Sind Sie zufrieden?“

Antonio wollte ihr dankbaren Blickes die Hand küssen; sie schlug ihm abwehrend mit dem Fächer auf die Finger und richtete kein Wort mehr an ihn, auch nicht, als er mit den übrigen Gästen aufbrach.




2.

Fürst Giovanelli hatte Recht gehabt: Ludovica Bariatinska ließ nicht lange auf sich warten, schon am nächsten Mittag brachte Erminia’s alte Kammerfrau, die als Erbstück von der Mutter her im Hause geblieben, ihrer jungen Herrin die Visitenkarte der Polin. Eine Minute später stand die Gräfin vor dem Herzogskinde. Im ersten Eindruck liegt immer etwas Entscheidendes. Hatte Erminia sich nach den erhaltenen Beschreibungen zu hohe Begriffe von Ludovica’s Reizen gemacht, oder war das junge Mädchen eine zu strenge Kritikerin, genug, trotz der elegantesten Toilette und des graziösesten Lächelns wirkte die Bariatinska eher abstoßend, als anziehend auf sie. Im Auge der Ausländerin lag keine Güte, auch um den Mund spielte ein Zug, der auf wenig Herzenswärme deutete. Der Wuchs allerdings war untadelig, und das goldene Haar mußte Erminien wie Jeden, der es sah, zur Anerkennung seiner Wunderfülle hinreißen. In einer wahren Lockenfluth ringelte es sich unter dem koketten kleinen Hut, einem unverkennbaren Pariser Modell, hervor und floß den Nacken hinab bis tief auf den Rücken.

Erminia verbarg ihr Erstaunen, verbarg auch, daß sie vorbereitet

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