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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Dämonen.
Von E. Werber.


Nicht schaumgeboren, nicht dem Meere unter Donner und Blitz entstiegen war die Schönheit, an der ich zu Grunde ging; sie war zur Welt gekommen wie die Menschen; dennoch war sie göttlich schön. Mir aber hatte die Natur eine besondere, eine furchtbare Häßlichkeit verliehen, und der Haß gegen die Schönheit verheerte mir das Gemüth. Ja, ich haßte die Schönheit, und ich beleidigte sie. Aber Venus rächte sich an mir. Sie rächte sich weiblich fein und göttlich furchtbar.

Ich ward am Meeresstrande geboren, in einem alten, epheu-umsponnenen Hause, das mit seinen zwei spitzigen Thürmen einsam vor einem Tannenwäldchen steht. Meine Mutter hatte blonde, weiche Haare und weiße, weiche Hände, und ihre Küsse waren unendlich sanft; sie sang mir schöne Schlummerlieder und spielte mit mir in den Gängen des Hauses und im Garten.

Mein Vater hatte schwarze Haare und braune Hände und seine Küsse waren rauhe Gluth; er hatte zwei große Hunde und ging viel auf die Jagd. Eines Abends brachte man ihn todt nach Hause, ganz mit Blut bedeckt. Meine Mutter schrie und verlor das Bewußtsein und als sie wieder zu sich kam, war sie von Sinnen.

Am folgenden Tage kam ihr Bruder Alphons de Conihoult. Er hatte mich seit meiner Geburt nicht wieder gesehen; als ich ihm entgegen eilte, sah er mich erschrocken an.

„Ich bin Maurus,“ sagte ich.

„Wirklich? Du bist Maurus? Du siehst weder Deinem Vater noch Deiner Mutter ähnlich.“ Er schloß mich zögernd in seine Arme und sagte: „Ich bin gekommen, Dich zu holen, Maurus. Du wirst nun mit Deiner Großmutter und mir leben, bis Deine Mutter wieder gesund ist.“

Aber meine Mutter wurde nicht mehr gesund. Als die Februarstürme die Meereswogen in’s Land herein warfen, da starb sie. –

Vom siebenten bis zum zwanzigsten Jahre lebte ich im Hause meiner Großmutter, eine Meile von Rouen, zwischen sanften, einzeln aufsteigenden Bergen und dem silberblauen Seine-Fluß. Die Conihoult’s sind ein altes normannisches Geschlecht, welches die Muschel der Kreuzfahrer und die zwei englischen Rosen im Wappen führt. Meine Großmutter lebt in meinem Herzen, obgleich sie schon lange todt ist. O, sie hatte alle Zauber, alle: Schönheit, Güte, Sanftmuth, Feuer, Geduld und Liebe.

Als ich sie zuerst sah, dachte ich: Kann man eine so junge Großmutter haben? Aber gleich meinem Onkel erschrak sie, als sie mich sah, und sie blickte ihn fragend an.

„Es ist Maurus,“ sagte er.

Da nahm sie mich in ihre Arme und streichelte mir die Wangen und flüsterte: „Armes, armes Kind!“

Und ich dachte in meinem kindlichen Gemüth: Was habe ich nur an mir, daß Beide so erschraken? –

Der Wahlspruch der Conihoult heißt: „Ich laufe.“ Und wahrlich, sie liefen Alle. Sie liefen mit Leidenschaft. Nur warf sich die Beweglichkeit und Unruhe dieses Geschlechtes auf verschiedene Organe: bei den Einen war sie in den Füßen, bei den Anderen im Geiste oder auch im Herzen.

Mein Großvater lief mit dem Herzen; er lief so weit, daß er den Rückweg nicht mehr fand, und meine Großmutter, welche nicht aufgehört hatte, ihn zu lieben, sich von ihm trennte, um ihn lieben zu können, ohne sich verachten zu müssen. Nie sprach sie seinen Namen aus, und war ich so ungeschickt, nach dem Großvater zu fragen, dann sagte sie traurig: „Er ist verreist.“

Als ich wieder einmal nach ihm fragte, antwortete sie mir: „Frage mich nie mehr nach ihm – er ist todt.“

„Wirst Du nun auch sterben?“ rief ich; da blickte sie mit ihren dunklen, tiefen Augen in’s verglühende Abendroth hinaus und sagte: „Noch nicht!“

Mein Onkel Conihoult hatte die Beweglichkeit in der Einbildungskraft und in den Füßen. Er war nie lange daheim; meistens in Paris, wo er wie ein Irrlicht unter den Künstlern und Dichtern sich bewegte, oder er machte Fußreisen in nahen und entlegenen Provinzen, in der Schweiz und in Italien.

„Wirst Du denn niemals müde?“ fragte ich ihn einmal.

„Müde? Was ist müde sein? Ich kenne das nicht,“ erwiderte er. „Ich bin ein Conihoult – ich laufe.“

In meinem fünfzehnten Jahre sagte er zu mir: „Nenne mich nicht mehr Onkel, sonst komme ich mir vor wie ein alter Mann!“

Er hatte große blaue Augen und war hochgebaut, seine Stirn war gewölbt und blendend weiß. Ein brauner, gekräuselter Vollbart verbarg ein wenig den feinen, außerordentlich beweglichen Mund, der ein bestrickendes Lächeln hatte. –

Als ich zu meiner Großmutter kam, war Alphons noch nicht verheirathet, und ich glaube, er flog damals, wie ein durstiger Schmetterling, von Blume zu Blume.

Einige Jahre später, als die Unruhe seines Geistes und seiner Füße ihm schon einen großen Theil seines Vermögens gekostet hatte, kam die Liebe zu ihm und sagte: Ich feßle dich. – Aber an dieser Liebeskette, die ihn bald in die Bande der Ehe schlug, waren wenige Rosen und viele Dornen.

Eines Tages kehrte er zu seiner Mutter zurück, bleich und mit fieberhaften Augen. Sie errieth ihn sogleich und sagte:

„Du bist nicht glücklich, Alphons –“

Er senkte das Haupt.

„Deine Frau versteht Dich nicht –“

„Nein!“ rief er, heftig mit den Händen durch sein Haupthaar fahrend. „Als ich umsonst versucht hatte, durch Güte, Bitten und vernünftige Vorstellungen von meiner Frau eine Erleichterung meiner Gefangenschaft zu erlangen, da wuchs mir im Herzen die Erbitterung und der Groll und in den Füßen brannte mir das Conihoult’sche Fieber. O, ich war wie ein gefangener Falke, an dessen Käfig die süßen Luftströme vorbeirinnen. ‚Ich habe einen ganzen Himmel von Wünschen in Dich niedergelegt,’ sagte ich, ‚und Du hast mir nicht Einen erfüllt. Du bist nicht meine Frau, Du bist mein Kerkermeister. Aber Dein Gefangener ist ein Conihoult und – sieh’ meine großen Normannenhände an! – damit zerbreche ich meine Ketten.’

Das war gestern, und heute bin ich von ihr gegangen und kehre nie mehr zu ihr zurück.“

„Wir haben kein Glück in der Liebe, Alphons,“ sagte meine Großmutter und zog ihn in einen Laubgang des Gartens. Ich blieb zurück und schaute ihnen nach, wie sie langsam dahinschritten unter den hohen Bäumen.

Alphons liebte das Schöne; die Schönheit war seine Religion. Er bewohnte ein ganzes Stockwerk des Hauses allein; es wohnten viele Götter und Halbgötter mit ihm. Sie waren freilich nur von Gyps oder Marmor, aber er sprach zu ihnen, als ob sie lebten, als ob sie eine Seele hätten. Er sprach zu ihnen mit Begeisterung, mit Liebe, mit Anbetung. Ich bewunderte Alphons wegen dieses Seelenschwunges, aber ich liebte seine Götter und Göttinnen nicht. Sie standen so ruhig und siegesbewußt da und nahmen die maßloseste Bewunderung mit kaltem Hochmuth entgegen. Das empörte mich. Und doch war meine Abneigung gegen sie vielleicht nur eine instinctive – dies sollte ich in meinem sechszehnten Jahre erkennen.

Ich hatte die Bemerkung gemacht, daß alle Menschen, die mich zum ersten Male sahen, mich mit Schrecken oder doch mit Erstaunen betrachteten; später sahen sie mich mit Mitleid oder mit sarkastischem Lächeln an. Eine heimliche Angst zehrte an mir, und es ward mir von den Blicken der Menschen heiß. Dennoch hatte ich nicht den Muth zu fragen, warum man mich so ansah, und wenn ich in den Spiegel blickte, so fiel mir nichts in meinem Gesichte auf; es war ja, wie es immer gewesen war.

Alphons brachte nach seinen Ausflügen oftmals ihm befreundete Künstler zu längerem Besuche mit; dann erfüllte eine bewegte geistige Atmosphäre unser Haus, und meine schöne Großmutter schwebte und webte darin mit antiker Anmuth und Würde. Die Erregbarkeit von Alphons’ Geist war dann auf liebenswürdige Art gesteigert, aber ich, ich saß still und befangen in einem seltsam bangen Gefühle.

Es war im Frühling, in der süßesten Zeit, als der Dämon zu mir kam und mir die bittere Erkenntniß brachte.

Ich lag im Grase; Veilchen dufteten von den Beeten zu mir her, und eine Wand von Weißdorn schloß mein Plätzchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_836.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)