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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

vom Monarchen angeredet ward und gleich darauf im Laufschritt dem Lieutenant nahte:

„Majestät befiehlt, Sie vorzustellen.“

„Mich?“ stutzte Antonio.

„Rasch, rasch!“

Der junge Officier folgte, ohne sich erklären zu können, was das bedeute, und salutirte vor dem Kriegsherrn. Dieser faßte ihn mit sichtlichem Wohlgefallen in’s Auge, prüfte sein Aeußeres vom Wirbel bis zur Sohle und sagte mit ernster Freundlichkeit: „Lieutenant di Fabbris, Sie haben ein militärisches Werk unter der Feder?“

Antonio erschrak, daß ihm der Säbel fast entfiel.

„Majestät!“

Auch der Oberst machte große Augen.

„Ist es nicht so?“ fuhr der König fort.

Fabbris faßte sich: „Ich kann allerdings den Versuch nicht leugnen, nur weiß ich nicht, wer Eurer Majestät Kenntniß von einem Unterfangen zu geben vermocht, das ich –“

„Ja, der Verräther schläft nicht,“ unterbrach ihn der hohe Herr scherzend.

„Majestät, ich habe Niemand die geringste Mittheilung gemacht,“ versicherte der Officier.

„Ist es ein Unrecht, das Sie begangen? Was behandelt Ihr Werk?“

„Die Truppenaufstellung in der Schlacht, um jeden Augenblick Verstärkungen an gefährdete Punkte führen zu können und dem Feinde das numerische Uebergewicht zu entziehen.“

„Sieh, sieh! Steckt ein junger Feldherr in Ihnen? Wie sind Sie mit der Arbeit?“

„In der letzten Nacht, Majestät, habe ich sie beendet.“

„Das ist gut,“ sagte der König lebhaft, „ich will sie sehen.“

„Majestät –“ zögerte der Autor.

„Schreiben Sie deutlich?“

„Ich glaube, meine Hand ist lesbar, indeß mein Concept –“

„Thut nichts, thut nichts! Die erste Eingebung ist oft die beste. Ich will keine Copie. Bringen Sie mir Ihr Manuscript in’s Schloß! Ich werde Zeit dafür finden. Haben Sie bei Nacht geschrieben, so kann ich auch bei Nacht lesen.“

„Zu Befehl, Majestät! Aber mein gnädiger Herr und König wird die unterthänige Frage vergeben –“

„Ah!“ fiel ihm der Souverain von Neuem in’s Wort, „Sie wollen wissen, wer mir von Ihrem Unternehmen erzählt? Eine Dame! Auf Wiedersehen!“ Ein entlassender Wink – Antonio mußte abtreten, Victor Emanuel schritt weiter.

„Eine Dame, eine Dame!“ klang es in dem wirbelnden Hirn des Lieutenants nach. Wodurch war eine Dame von seinem Thun und Treiben unterrichtet? „Erminia!“ blitzte es in ihm auf. Aber wie war Erminia hinter sein Geheimniß gekommen? Hochroth nahm er seinen Platz in der Colonne wieder ein.

Als der Monarch das Regiment verabschiedete, drängten sich alle Cameraden um Antonio und wollten hören, was Seine Majestät mit ihm gesprochen. Er lehnte jede Auskunft ab, bis der Oberst kam und ihm die Hand reichte: „Ich gratulire und wünsche Ihnen ferner Glück.“

„Wozu, wozu?“ rief es in der Runde.

„Wenn Lieutenant di Fabbris nicht selbst spricht,“ wies der Commandant die Neugier ab, „fühle auch ich mich nicht befugt.“

So blieb Jedermann unbefriedigt, Antonio aber eilte nach Hause, seine losen Blätter zu ordnen. Bangen ergriff ihn, wie der König den Inhalt beurtheilen werde. Aendern ließ sich nichts mehr daran; der Verfasser hätte auch keine Ruhe dazu in seinem Innern gefunden. Zagend begab er sich in’s Schloß. Dort war schon Befehl ertheilt, ihn ungesäumt vorzulassen.

Der König empfing den befangen Eintretenden mit ermuthigender Güte: „An ein Erstlingswerk darf man keinen zu hohen Maßstab anlegen. Sie sollen meine Ansicht hören, bevor ich abreise.“

Ein gut Theil erleichtert, warf Fabbris sich in die nächste Gondel, die er auftrieb, schweigend, als könne der Fährmann sein Ziel errathen.

„Wohin, Herr Lieutenant?“ hörte er sich gefragt.

„Palast Bevilacqua!“ stieß er heraus, riß den Czako ab und stützte die Stirn, in der es heftig hämmerte, mit beiden Händen. Der Gondolier schüttelte den Kopf; er hielt seinen Fahrgast für sehr unglücklich.

Der Beschließer des Palastes eröffnete dem Eindringlinge, Erminia sei nicht zu Hause. Was nun thun? Antonio forderte Papier und Feder und schrieb mit fliegender Hand:

„Freundin, da Eure Hoheit Ihren Rang verschmähen!

Der König weiß, daß ich ein Manuscript verfertigt. Es ist in seiner Hand. Er weiß es durch eine Dame, die keine Andere sein kann, als Sie. Woher aber Sie es wissen, weiß der Allmächtige besser, als das Menschenkind mit brennendem Kopf, das sich zu nennen wagt

Ihren tiefergebenen
A. di F.“

Der Schreiber schloß das Billet in ein Couvert und entfernte sich. Ob Erminia ihm schriftlich antworten werde? Das blieb die Frage. Er ging heute mit Absicht nicht in’s Arsenal zur Officierstafel; man sollte ihn nicht nochmals über die Worte des Königs ausforschen, auch spürte er in seiner Verfassung wenig das Bedürfniß nach irdischer Speise; nur einen leichten Imbiß nahm er im ersten besten Restaurant und ging dann in sein Quartier. Ein kleiner Brief auf dem Tische? Er kannte Erminia’s Hand nicht, aber das waren unverkennbar Federzüge einer zarten Frauenhand. Bebend vor Begier öffnete er das Couvert und las:

„Ich war zu Hause, nur nicht für Sie. Haben Sie Ihre Freundin so lange vernachlässigt, kann ich nun auch warten, bis die königliche Recension erfolgt ist, ehe ich Sie wiedersehe.

E.“

Die Vernachlässigung, die sie ihm vorwarf, war offenbar nicht der wahre Anlaß, aus dem sie ihn fernhielt. Da sie nicht in Abrede stellte, daß sie den König aufmerksam auf ihn gemacht, gab sie es zu, Antonio merkte aber, sie wolle ihm den Zusammenhang erst entschleiern, nachdem ihre Bemühungen ein Resultat erzielt. Die Absicht, ihn in seiner Laufbahn zu fördern, war der untrüglichste Beweis, wie sehr sie ihn liebte; so ließ er denn auch seine Bedenken fallen, legte sich keine Entsagung mehr auf, sondern gab seine Seele rückhaltlos dem Verlangen nach Erminia’s Besitz hin. Doch sein Zartgefühl verbot ihm, irgend einen Schritt zur Annäherung zu thun. Lang war die Geduldprobe überdies nicht; der König verweilte höchstens noch fünf Tage in Venedig.

Antonio’s Geschick sollte sich früher erfüllen, als er erwartete. Schon am folgenden Morgen klopfte ein Hoflakai an seine Thür und beschied ihn sofort zu Seiner Majestät. Dieses „Sofort“ schien kein ungünstiges Zeichen; dennoch trat der Fuß des jungen Mannes im Schloß nicht eben fest auf. Der König stand in der Mitte des Empfangsaals an einem kleinen Mosaiktisch, auf dem die losen Blätter des Manuscripts in mehrere Schichten abgetheilt lagen. Die Miene des Monarchen war ernst; zwischen den Brauen dunkelte sogar eine Falte.

„Lieutenant di Fabbris,“ klang die Anrede, „ich habe gelesen.“ Eine kurze Pause folgte. Antonio’s Athem stockte. „Ist dies wirklich Ihre erste derartige Arbeit?“

„Zu Befehl, Majestät!“ sagte der Officier beklommen.

„Dafür ist sie sehr bedeutend,“ erklärte langsam der hohe Kritiker. „Ich werde sie dem Kriegsminister und dem Generalstab vorlegen. Ich habe mir hier und da Notizen am Rande gemacht. Ich wünschte einen Kopf wie Sie in meiner unmittelbaren Nähe placirt. Ich habe Sie unter der entsprechenden Rangerhöhung zu meinem persönlichen Adjutanten ausersehen.“ Dem Ueberraschten zitterten die Kniee. „Ma – je – stät!“ stammelte er.

Jetzt blickte ihn der Herrscher wohlwollend an.

„Oder würden Sie nicht gern nach Rom kommen? Fesselt Sie Etwas in Venedig? Es könnte ja sein.“

„Die Gnade meines Monarchen,“ versetzte Fabbris leise, „ist so groß, daß ich ihrer völlig unwerth wäre, empfände ich in diesem Augenblicke etwas Anderes, als tiefste Dankbarkeit.“

Der König unterdrückte ein Lächeln.

„Ihre Dankbarkeit gebührt vor Allem dem Fürsprecher, der mein Augenmerk auf Sie gelenkt. Errathen Sie ihn?“

„Majestät erklärten gestern, es sei eine Dame.“

„Die Sie lieben?“

Antonio schlug den Blick nieder.

„Die ich wohl kaum lieben darf!“

„Doch danken dürfen Sie ihr. Thun Sie das unverzüglich; halten Sie sich aber nicht zu lange auf! Denn ich befehle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_863.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)