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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Ich bin die Schönheit, die Dich versöhnen will!“

Betroffen zog ich ihre Hände von meinen Augen herab und blickte in ihr Gesicht, das jetzt einen stolzen Ausdruck hatte.

„Suhra, Du bist göttlich!“ rief ich und küßte den Saum ihres Gewandes. „Du lässest Dich lieben von mir, dem Häßlichsten aller Sterblichen? O! Ich will Dich lieben mit der Größe und der Gluth vergangener Zeiten, wo die Menschen sich noch erinnerten, daß ein Titane das Feuer aus dem Himmel für sie stahl! In meiner Seele wirst Du Träume lesen, stolz und strahlend wie Dein Auge, und mein Herz wird Dir Hymnen singen, brausend wie das Meer im Sturme und süß, Suhra, süß wie in der Mainacht das Lied der Nachtigall!“

Sie ließ ihre Finger durch mein Haar gleiten und sagte leise: „Maurus, Du bist ein wunderbarer Mensch!“ Und in ihrem Blicke schimmerte wieder jene unbeschreibliche Verführung. Beinahe wehmüthig mußte ich fragen: „Suhra, kamst Du aus einem schwarzen Abgrund oder kamst Du von den Sternen? Denn wie ein irdisches Wesen erscheinst Du mir kaum –“

Mit einer raschen Bewegung zog sie den Pfeil aus ihren Haaren, die wie Schlangen ihr auf Brust und Arme niederfielen: „Komm, laß Dich binden, gefährlicher Sclave!“ flüsterte sie und umwand mir damit die Handgelenke. Es beschlich mich dabei ein unheimliches Gefühl, und ich fragte: „Suhra, wirst Du einen Sclaven lieben können?“

„Ja, mehr, weit mehr als einen Gebieter.“

„Und wird mein Gesicht Dein Auge nie beleidigen?“

Sie lächelte und sagte: „Der Mann, mit dem man mich vermählte, war schön, so schön wie ich. Unsere Vereinigung war kein Mißklang, aber auch keine Harmonie, sondern ein einziger verstärkter Ton, langweilig, einschläfernd, erdrückend. Ich suchte oft sehnsüchtig in seinen Zügen nach einer unregelmäßigen, einer excentrischen Linie, aber ich fand keine. Und so war auch sein inneres Wesen; es hatte keine Höhen und keine Tiefen, es war eine Ebene, eine untadelhafte Ebene, langweilig, einschläfernd, erdrückend. Da fing ich an, von hohen Bergen und tiefen Abgründen zu träumen, und zeichnete mit meinen ungeübten Fingern häßliche, seltsame Physiognomien, und ich wünschte heimlich, die Natur möchte ein solches Menschengesicht geschaffen haben und mir begegnen lassen.“

Eine wonnige Gluth bemächtigte sich meiner und ich rief: „Sei Du mein Heil oder mein Verderben, ich bin Dein, Suhra! Führe mich, wohin Du willst, in das Leben oder den Tod – mein Wille ist ausgelöscht!“

Ich vergrub mein Gesicht in den Falten ihres Kleides; ich hatte das Gefühl einer süßen Vernichtung. So blieb ich eine Weile. Als Suhra dann leise sagte: „Gehe jetzt, Maurus!“ erhob ich mich. Auch sie stand auf und reichte mir ihre Hand; sie stand vor mir wie eine Göttin und – wie das Schicksal.

Als ich in die Nacht hinaustrat und zu den Sternen hinaufblickte, kamen sie mir ganz seelenlos vor, und mir war, als sei ich ein anderer Mensch geworden.

Nun war ich Suhra rettungslos verfallen, und mein Stolz, von ihr bevorzugt zu sein, wuchs mit meiner Leidenschaft. Ich sah das Lächeln und hörte die höhnenden Bemerkungen der Menschen. Wenn ich mit Suhra ausging, blieben die Leute auf der Straße stehen, und es entschlüpften ihnen laute Ausrufe der Verwunderung über den entsetzlichen Gegensatz unserer Erscheinungen. In den Kunstsälen, in den Concerten und Theatern zogen wir die Aufmerksamkeit ausschließlich auf uns.

Einige tiefere Menschen empfanden vielleicht eine Art unheimlichen Interesses, das Schönste und Häßlichste in der Schöpfung neben einander zu sehen; aber die Menge belustigte sich an dem außerordentlichen Anblicke. Einige empörte die maßlose Dreistigkeit, mit der ich meine Häßlichkeit neben dieser Schönheit zeigte, und es ward mir offenbar, daß ich mich bis zum Verluste der Achtung lächerlich machte. Und je mehr meine Häßlichkeit auffiel, desto mehr fiel natürlich auch Suhra’s Schönheit auf. Man sprach überall von der Schönheit der Tscherkessin und von der Häßlichkeit ihres Begleiters. Suhra wurde die gefeiertste Frau, und ich der lächerlichste Mann. Ich wußte es, aber die Stärke meiner Leidenschaft hatte die Scham in mir erstickt.

Und was errang ich von ihr, die mich an sich gebunden mit allen Zaubern der Schönheit und der Verführung? Nichts!

Nicht Eine Gunst! Aber viele heiße Versprechungen. – Wochen, Monate, Jahre vergingen, ich folgte ihr und ihrem kränkelnden Bruder von Land zu Land und half ihr, die Triumphe der Schönheit feiern. Ich durchschaute in meinem Fieber nicht die Grausamkeit, mit der sie mich ausgesucht hatte zum Opfer ihrer Triumphe. In ihr lebte nichts als das Bewußtsein ihrer Schönheit und der Hunger nach Huldigung. Wahrlich, sie hatte Glück! Nicht jeder Schönheit ist vergönnt einem solch schreienden Gegensatze zu begegnen, wie sie ihn in mir fand. Und ich, dessen Stolz und Stärke mit dem Meere hatte wetteifern und ein heiliges Glück in der Einsamkeit hinter geschlossenen Pforten genießen wollen, ich zog einem herzlosen Weibe nach von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, und ließ mich von der Menge begaffen, wie auf Jahrmärkten merkwürdige Mißgeburten begafft werden! – Und in Rouen saß einsam ein edles Mädchen und weinte um mich oder – verachtete mich! Meine Briefe an Theresa waren kühler und seltener geworden, und zuletzt, als ich den Zwang nicht mehr ertragen konnte, hatte ich ihr geschrieben:

„Vergiß mich, ich bin Deiner nicht mehr würdig.“

Ihr Andenken trug ich im Herzen wie den Verlust des Göttlichen, wie einen Gewissensbiß; und wie der Kranke heftige Schmerzen mit Mohnsaft betäubt, so betäubte ich meine Gewissensbisse mit Suhra’s Schönheit.

Suhra besaß eine Gewalt über mich, die alle meine Kräfte niederhielt, nur die eine nicht: die Leidenschaft. Wenn sie in Huldigungen geschwelgt und Lächeln und Blicke mit göttlicher Anmuth gespendet hatte und ich dann in Ausbrüche der Eifersucht gerieth, dann sagte sie ruhig:

„Maurus, das ist ja nichts, was ich Jenen gebe! Du aber hast mein Herz!“

Ihr Herz! Ich glaubte damals noch, daß sie eines habe! Aber, wenn ich ganz aufrichtig sein will, so muß ich gestehen, daß ich nicht ihr Herz, sondern ganz allein ihre Schönheit liebte.

Zuweilen beklagte ich mich über ihre Launenhaftigkeit, über ihre Kälte, und bat sie, Mitleid mit mir zu haben; dann sah sie mich mit einem räthselhaften Lächeln an, und die Kühlheit ihrer strahlenden Augen machte mich verstummen.

Einmal sagte ich:

„Suhra, Du bist unbegreiflich! Nichts scheint Dich zu bewegen; kein Unwille und keine Traurigkeit umwölken je die Ruhe Deines Angesichtes – Du bist schön wie ein steinernes Bild. O! Wenn ich Dich einmal weinen sähe!“

„Weinen? Ich weinen?“

„Ja, Suhra! Du wärst dann menschlich schön!“

„Ich will nicht menschlich schön sein,“ rief sie.

„Suhra, wenn einmal Deiner Brust ein Schluchzen sich entränge und ein heißer Tropfen aus Deinem Auge fiele, ein Tropfen des Mitleids oder des Schmerzes – wenn Deines Mundes Siegeslächeln unterginge in einem Weh – ich warte immer darauf.“

„Du bist thöricht, Du bin klein, Maurus,“ erwiderte sie. „Du willst, daß meine Züge im Schmerze sich verzerren? Du willst, daß meine Augenlider roth werden und der Thränen beißendes Salz mir die Haut verderbe? Würdest Du mich dann vielleicht mehr lieben? Die Schönheit ist ein göttliches Geschenk; soll ich sie durch menschliche Schwäche verlieren, verderben, beschädigen? Wenn Du Durst nach Thränen hast, so steige zu Jenen herab, die weinen. Ich weine nicht.“

Und dann sah sie mich mit verführerischem Blicke an, der mir jedesmal die Seele lähmte.

Wir waren in Rom; Suhra hatte mir seit einiger Zeit Zeichen des Ueberdrusses gegeben, die ich mit feiger Geduld hinnahm. Eines Nachts träumte mir, die marmorne Göttin, welcher ich mein Gesicht auf den Busen gezeichnet hatte, käme zu mir. Sie hatte die Zeichnung noch auf der Brust, aber die Züge waren nicht schwarz, sondern feurig, und die Göttin hatte Suhra’s Gesicht. Sie beugte sich über mich, ihre Augen bohrten sich wie Dolche in mein Herz – und ich erwachte mit einem Schrei. Es war finster in meinem Zimmer, und den Traum noch vor Augen, sah ich die weiße Gestalt sich auflösen und wie Dunst verschwinden.

Ich erhob mich und blickte in die Nacht hinaus: der Himmel war gewitternd, die Luft schwül und vom heißen Dufte der Orangeblüthen erfüllt. Die Wasser des Springbrunnens plätscherten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 869. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_869.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)