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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Worte üben, und Jeder, welcher im Laufe der Zeit eine Besserung seines Zustandes zu bemerken glaubt, ist es sich selbst schuldig, durch eigene Anstrengung der Natur zu Hülfe zu kommen. Es ist eine sehr zu tadelnde Angewohnheit Gehörleidender, daß sie sich aus völliger Apathie gar nicht mehr die Mühe geben, dem Gespräche mit Aufmerksamkeit zu folgen. Der Gedanke: „Davon verstehe ich doch nichts, also will ich mich nicht noch mit dem Zuhören plagen,“ sollte gänzlich verbannt werden, da diese verkehrte Anschauung den Betreffenden nicht selten verleitet, seinerseits auch leise und undeutlich zu sprechen, wodurch die Theilnahme der Außenwelt gewiß nicht vergrößert wird. Umgekehrt ist lautes und deutliches Sprechen eins der besten Mittel, sich selbst zu helfen, da der Angeredete unwillkürlich zur Nachahmung des Beispiels veranlaßt wird.

Vor einiger Zeit ging die Rede, daß in Anregung der Erfindung des Mikrophons ein Apparat für Schwerhörige erfunden worden sei, welcher für das Ohr dasselbe wäre, wie die Brille für das Auge. Seither ist es wieder still davon geworden. Indeß ist die Annahme keine abenteuerliche, daß es über kurz oder lang, wie schon im Mittelalter der Optik für Schwachsichtige, so endlich auch der Akustik gelingen werde, für Schwerhörige ein Linderungsmittel aufzufinden, dessen Einführung Millionen als die größte Wohlthat ihres Lebens empfinden würden.

H. K.




Blätter und Blüthen.


Um Nichts!
(Mit Abbildung Seite 872 und 873.)


Ein Schuß – und noch ein Schuß! Mit heiserm Krächzen
Hebt sich ein Rabe vom beschneiten Ast;
Zu Boden weht die winterliche Last –
Lebendig wird der Wald: ein schneidend Aechzen,
Das rasch erstirbt – ein Fluchwort: klagend bricht’s
Von Männerlippen – nun ein Murmeln, Laufen – –
Nur ein Duell! Ein ritterliches Raufen
     Um Nichts!

Da liegt das Opfer mit der Kugelwunde;
Starr jeder Muskel, der von Leben schwoll!
Ein Bild von Kraft, so jung, so zukunftsvoll – –
Der alte Diener kauert auf dem Grunde
In leisem Beten, und des armen Wichts
Eisgraues Haupt schwankt, und die Augen weinen –
Den Eltern bringt er todt ihn – todt den Einen –
     Um Nichts!

’S ging Alles richtig zu, nach guter Sitte:
Die Secundanten da, die Zeugen auch,
Dabei der Arzt. Vergeblich, wie es Brauch,
War die Vermittlung, und man maß die Schritte –
Es war kein Mord – bewahre! Des Gerichts,
Wohl auch des Fürsten Macht läßt Milde walten;
Die Ehre zwang, der Kugel stillzuhalten –
     Um Nichts!

Um Nichts? O nein! Es fiel ein Wörtchen eben –
Ein scheeler Blick, in Ungeduld, im Rausch.
Ein Menschenleben nur verlangt der Tausch,
Nichts als ein armes Fünkchen Menschenleben.
Und doch: warum so fahlen Angesichts
Die Männer dort, die unruhvoll-verstörten?
Ist’s, weil ein Geisterwort sie seufzen hörten:
     „Um Nichts!“?

Und du, den’s fürder nicht im Lande duldet,
Du Kain – nun? Die Kugel traf nicht schlecht –
Weshalb so traurig? Sieh, du bist gerächt!
Das Gottesurtheil sühnte, was verschuldet! –
Ein Gottesurteil Ew’ger Geist des Lichts,
Dein Urtheil das ein Mensch vom Blei erschlagen,
Gebrochne Herzen, Jammer, nicht zu sagen –
     Um Nichts!?

Wer nimmt die Schmach von kommenden Geschlechtern?
Wer schlägt den Unsinn, daß er heulend flieht?
Er bleibt, wie viel sich auch Vernunft bemüht –
Der Wahnwitz beugt sich keinen Weisheitswächtern!
Ein Moloch, freut er fort sich des Gerichts
Von Menschenopfern, blutig-thränenvollen,
Die sich ihm weih’n – trotz Wollen und trotz Sollen! –
     Um Nichts!

B.




Kleiner Briefkasten.

K. in Zinna. Sie fragen uns, ob es richtiger sei, zu sagen, die Stangenbohne winde sich links herum, wie es Ihnen erscheint, oder ob man sagen müsse, sie winde sich rechts herum, wie Ihre Techniker sagen. Die Unterscheidung von Rechts und Links wurde schon von dem großen Gräcologen Buttmann, als er mit Schleiermacher in den Freiheitskriegen der freiwilligen Bürgerwehr beigetreten war, für eines der schwierigsten Probleme der Wissenschaft erklärt, und oft, wenn beim Exerciren Rechtsum oder Linksum commandirt wurde, starrten sich die beiden Nachbarn im Gliede plötzlich an und wendeten dann voll Schrecken ebenso plötzlich wieder um, so daß sie sich den Rücken zukehrten oder wieder ansahen. Doch Scherz bei Seite, die Unterscheidung, was in der Natur rechts oder links ist, hat vielen Streit gegeben, und noch heute erklären die Botaniker meist das für rechts, was die Zoologen links nennen, und umgekehrt. Der Botaniker betrachtet die Pflanze als sein Object und sagt, vor die Bohnenstange tretend, die Bohnenpflanze (und mit ihr die meisten Schlinggewächse) winde sich links um die Stange, nur der Hopfen und wenig andere rechts herum. Der Zoologe findet das höchst unwissenschaftlich. Mit demselben Rechte, sagt er, müßte ich, von mir selbst ausgehend, den rechten Fuß eines mir entgegenkommenden Menschen für den linken erklären; ich muß mich also, um Rechts und Links eines Naturdinges richtig zu bezeichnen, in dasselbe hineindenken, und mithin eine Schnecke, die ebenso gewunden ist wie die Bohnenranke des Botanikers, als rechts herum gewunden bezeichnen. Sie sehen, es kommt, wie bei so vielen Fragen im Leben, einzig auf den Standpunkt an, den man ihnen gegenüber einnimmt, und ob man sich nach den Dingen oder die Dinge nach sich orientirt. Den Wenigsten freilich ist es gegeben, sich in eine fremde Lage hineinzudenken. Man muß das in Betracht ziehen und z. B. in einer fremden Stadt niemals entgegengesetzt herkommende Leute fragen, ob man nach rechts oder links gehen müsse, um nach einem gesuchten Orte zu kommen. Man frage immer dieselbe Richtung Verfolgende, da wird man seltener angeführt! Bei der Beurtheilung der Richtung von Spiralwindungen, die immer einiges Vorstellungsvermögen voraussetzen, würde man am besten sagen, mit dem Sonnenlauf oder gegen den Sonnenlauf gewunden.

S. H. A. Fehlgeschossen! Der Name des Autors ist übrigens Redactionsgeheimniß.

Ein alter Abonnent. Der Genannte ist allerdings ein Curpfuscher.




An unsere Leser.

Wieder schließt die „Gartenlaube“ einen Jahrgang ab, den siebenundzwanzigsten, und wieder können wir mit Freude und Genugthuung constatiren, daß in all der schweren Noth der Zeit die Schaar der Freunde unseres Volks- und Familienblattes in fester Treue zu ihm gestanden hat. Wir stellen dieser Thatsache dankbar das Versprechen gegenüber, auch in dem kommenden achtundzwanzigsten Jahrgange das Mögliche zu thun, um für die warmherzige Pflege deutschen Volks- und Familienlebens wirksame Impulse zu geben, um dem gesunden Kern unserer Nation in Belehrung und Aufklärung ein zuverlässiger Wegweiser, in Durchbildung und Kräftigung des Charakters ein unentwegter Beistand, in Unterhaltung und Gemüthserhebung ein anregender Hausfreund zu sein.

Wir sind in der glücklichen Lage, wiederum sehr Werthvolles auf dem Gebiete der Erzählung versprechen zu können, darunter:

„Frühlingsboten“ von E. Werner, „Ledige Kinder“ von Herman Schmid, „Der Weg zum Herzen“ von Robert Byr, sowie weiteres Novellistisches von Hieronymus Lorm, A. Godin, Ernst Ziel, C. Lionheart und Anderen.

Auch für die übrigen Gebiete der Lectüre, welche die „ Gartenlaube“ pflegt, weisen unsere Vorräthe des Bedeutsamen genug auf, und so dürfen wir auch diesmal vertrauensvoll unsern Lesern ein „Auf Wiedersehen im neuen Jahre!“ zurufen.



Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Neujahr aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_878.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)