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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Aehnlichkeit mit dem Vater keineswegs besonders gefördert ward. Gleichwohl wäre ihre Erscheinung nicht gerade unangenehm gewesen, weil das Gesicht mit den wasserblauen Augen das unverkennbare Gepräge der Gutmütigkeit trug, wäre nicht der gute Eindruck des Gesichts durch den Körper wieder verwischt; denn die eine Seite war so stark gegen den Hals hinaufgeschoben, daß es unrecht gewesen wäre, blos von einer hohen Schulter zu reden, und daß der Begriff „Höcker“ dafür wohl der einzig richtige war.

Das andere Fuhrwerk trug einen noch bedeutsameren Insassen. Schon der Bauerknecht, der als Kutscher amtirte, zeigte durch die bordirte Schirmmütze und eine Art Livréerock, den er über die langen Lederhosen trug, daß sein Herr zu den eigentlichen Honoratioren der Gegend gehörte. Die Erscheinung desselben entsprach allerdings nicht ganz den Erwartungen, die sich mit dieser Stellung zu verbinden pflegen. Er sah etwas verkümmert und herabgekommen aus. Lang, schlank und von außerordentlicher Magerkeit, hatte er das Ansehen eines Menschen, der entweder kränkelt, oder der nöthigen Nahrung entbehrt. Zwar trug er einen Schnurrbart unter der spitzigen gebogenen Nase, der nach ungarischer Sitte herausfordernd gewichst und gesteift war, aber auch das reichte nicht hin, einen gewissen Ausdruck von Verschüchtertheit und Furcht zu verscheuchen, der an der ganzen Erscheinung haftete. Ein paar Knechte waren behülflich, die Pferde auszuspannen und die Wagen hinter das Haus zu schieben, zugleich aber das Gepäck des erstbeschriebenen Paares abzuladen, das durch seine Menge auf die Absicht eines längeren Verweilens schließen ließ.

In der Nähe hatten sich einige Bauersleute zusammengefunden, welche die Gäste betrachteten und nach gewohntem Bauernbrauch nicht unterließen, ihre Bemerkungen über dieselben zu machen.

„Da kriegt ja der Kogelhofer gar Einquartierung,“ sagte eine stattliche Bauersfrau, aus deren Haltung und Benehmen der Beweis des Wohlstandes und der Behäbigkeit noch mehr als aus dem goldenen Schmuck hervorleuchtete, den sie in Gestalt von Ringen und Ketten an Hand, Hals und Mieder trug. „Wer sind denn die Leute?“

„Wirst doch den dicken Krämer von Tölz kennen, bei dem Du schon hundertmal eingekauft hast?“ entgegnete lachend ihr Mann, bei dem die in's Knopfloch eingebundene Goldmünze den Vorsteher der Gemeinde erkennen ließ, in welche der Kogelhof eingepfarrt war. Im Gefühl seiner Würde hielt er sich für verpflichtet, da nicht zu fehlen, wo sein Landesherr das Bereich seiner Amtsgewalt betrat.

„Ist ja wahr,“ sagte die Bäuerin, „wo hab' ich denn nur meine Augen gehabt! Hätt' ihn ja gleich an seiner Tochter erkennen sollen, welche die Geldcasse überall mit herumschleppt, damit sich Einer über sie erbarmen und sie heirathen soll! Ich hab' sie zuletzt auf dem Fastenmarkt in Tölz gesehen; schöner ist sie nicht geworden seitdem.“

„Laß sie gehen!“ erwiderte der Vorsteher, „mußt Du überall Deinen Senf dazu geben? Sei froh, daß sie nit Deine Tochter ist, und sag' lieber, ob Du den anderen Herrn nit kennst!“

„Mit dem geht's mir wie Dir; ich mein' auch, ich hätt' ihn schon gesehen, weiß aber nicht, wo ich damit hin soll,“ war die Antwort der Frau.

„Da kann ich aushelfen,“ sagte lachend ein danebenstehender Bauerbursche. „Ich kenn' den Herrn, weil ich schon bei ihm im Dienst war. Das ist der Herr von Steinerling von Stein. Die Leute nennen ihn den Herrn Baron. Wenn er wirklich ein Baron ist, dann ist er jedenfalls einer von den nothigen; ich hab's bei ihm nicht länger ausgehalten als acht Tage.“

„Mir scheint, Du wirst jetzt auch liederlich, Hansgirgel,“ sagte der Vorstand mit einer Amtsmiene, „Du bleibst nirgends mehr länger als acht Tage.“

„O, ich blieb' wohl,“ lachte der Bursche, „aber der Herr von Steinerling hat jede Woche einen anderen Kutscher. Früher ist es ihm noch schlechter gegangen; da hat er nichts gehabt als ein kleines Haus — da, wo's der Kreuzstraße zugeht — das war jede Stunde zum Einfallen, wenn er's auch sein G'schloß genannt hat. Jetzt geht's ihm besser. Er hat die dicke Gabelbräuin, die reiche Wittib, geheirathet, die gern Frau Baronin geheißen hätt'.“

„So, der ist es?“ unterbrach ihn der Vorstand, „ich hab' schon davon gehört, daß sie so geizig sein soll.“

„Wie der helllichte Teufel,“ antwortete der Bursche. „Die zwiefelt den Herrn von Steinerling, daß er ausschaut, wie die theure Zeit.“

Der Bursche schien wohl geneigt, seine Kenntniß der Familie noch weitläufiger zum Besten zu geben, wurde aber durch die Annäherung des Herrn unterbrochen, der, um sich blickend und suchend, dem Hause zuschritt. Auch der kleine Dicke mit Tochter und Gepäck kam heran und trat Lenz entgegen, der eben auf die Fremdlinge und ihre Absicht aufmerksam geworden war und sie mit verwunderter und fragender Miene ansah.

„Wie ist es denn,“ fragte der Krämer, „kommt einem da Niemand entgegen, der Grüß Gott sagt? Wo steckt denn der Kogelbauer?“

„Müßt schon derweil mit mir vorlieb nehmen,“ sagte Lenz, „der Kogelbauer ist nicht daheim. Er hat mit dem König fort müssen auf die Gamsjagd, weil er die Steig' und Gäng' besser kennt, als die Jäger alle mit einander.“

„Ja, ja, das glaub' ich gern,“ rief der Dicke lachend, „das glaub' ich, daß der sich auskennt. Ist sein Lebtag ein alter Wildschütz gewesen.“

„Das thät' ich mir just schon ausbitten,“ entgegnete Lenz rasch, „möcht' schon wissen, wer meinem Vater was Unrechts nachsagen kann.“

„Was, Deinem Vater?“ rief der Mann erstaunt, indem er den Mantel, der ihm über die Schultern hing, abwarf und die Arme ausbreitete. „Also bist Du der Sohn, der Lenz?“

Ehe der Bursche sich dessen versehen und erwehren konnte, hatte der Dicke sein Vorhaben vollführt, hing ihm am Halse und drückte ihm einige derbschmatzende Küsse auf Mund und Wange und wo er eben damit zurecht kommen konnte.

„Da schau her, Philomena!“ fuhr er fort, als er endlich loslassen mußte, um Athem zu schöpfen, „das ist der Vetter Lenz. Weißt, mit dem Du so oft gespielt hast, wie Du noch ein kleines Dirndl warst. Geh, sag' ihm Grüß Gott! Gieb ihm auch einen Kuß! Unter so nahen Gefreundten braucht man sich nicht zu geniren.“

Lenz konnte sich nicht erwehren, mit halb unterdrücktem Lachen einen Schritt zurückzutreten. Er mußte unwillkürlich daran denken, wie er einige Augenblicke vorher in ähnlicher und doch so ganz anderer Lage gewesen war; er schien zu befürchten, daß Philomena nicht zögern werde, der väterlichen Aufforderung nachzukommen. Seine Besorgniß war aber grundlos. Das arme, verkümmerte Geschöpf hatte nicht den Muth, sich ihm zu nähern, wenn auch in den Augen etwas glänzte, was unverkennbares Wohlgefallen an dem schönen, geradegewachsenen Vetter verrieth.

(Fortsetzung folgt.)




Das Denkmal der Königin Luise für Berlin.

Am 10. März, dem hundertsten Geburtstage der Königin Luise, die nach der Prophezeiung des jugendlichen Freiheitssängers „zum Schutzgeist deutscher Sache“ geworden ist und deren hehres Bild auch zum zweiten Mal den über den Rhein ziehenden Heerschaaren Alldeutschlands als leuchtendes Panier voranschwebte, beschlossen die städtischen Behörden von Berlin, der edlen Frau, welche die Morgenröthe der Freiheit und den Tag der Erlösung nicht mehr schauen sollte, in einem der schönsten Theile des Thiergartens ein Denkmal zu errichten. Es ist eine Stätte, die schon durch Erinnerungen an die verewigte Königin geweiht ist. Als die königliche Familie nach fern von der Hauptstadt verlebten Jahren tiefster Trauer am 22. December 1809 wieder in ihre Residenz einzog, setzten Bewohner der Thiergartengegend „ihrer heimkehrenden Königin“ einen schlichten Denkstein auf einer kleinen Insel des Parkes, welche seitdem den Namen „Luisen-Insel“ trägt und alljährlich am 10. März von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_004.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2024)