Seite:Die Gartenlaube (1880) 006.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Charakteristische der äußeren Erscheinung gezeigt. In einer Bronzestatue des ersten Kurfürsten von Brandenburg für die Façade des Berliner Rathhauses hat er bewiesen, daß er sogar den Ausdruck männlicher Energie und Entschlossenheit zu erreichen im Stande ist.

Am 22. März 1877, dem achtzigsten Geburtstage Kaiser Wilhelm's, hatte Encke sein Werk bereits so weit gefördert, daß das Hülfsmodell der Statue in der alten Capelle des Königsschlosses aufgestellt werden konnte. Als Kaiser Wilhelm am Festvormittag den Rittersaal verließ, in welchem ihm der König von Sachsen im Namen der deutschen Fürsten A. von Werner's Kolossalbild „Die Kaiserproclamation in Versailles“ überreicht hatte, fiel der Blick des greisen Herrschers auf das Ebenbild seiner verklärten Mutter, welches ihm aus einem Gebüsch dunkelgrüner Blattpflanzen entgegenleuchtete.

Encke ging alsbald an die Ausführung in Marmor, und heute ist seine Arbeit so weit gediehen, daß, nach dem Wunsche des Kaisers, die Enthüllung des Denkmals am 10. März dieses Jahres, dem Geburtstage der Königin, erfolgen kann. Der Aufbau desselben schließt sich eng an den des Drake'schen an. Um den cylindrischen Sockel schlingt sich ein Hochrelief, welches in lebensvollen Gestalten an der Vorderseite den Auszug in den Befreiungskampf und an der Rückseite die glückliche Heimkehr der Sieger schildert, während dazwischen einerseits die Mildthätigkeit gegen die Zurückgebliebenen, andererseits die Barmherzigkeit, welche Verwundete und Kranke pflegt, durch realistisch aufgefaßte Gruppen verkörpert werden.

Auf Grund der diesem Artikel beigegebenen wohlgelungenen Abbildung, der ersten künstlerisch ausgeführten, welche in die Oeffentlichkeit gelangt, mögen die Leser sich ein Urtheil über den unbeschreiblichen Formenreiz der edlen Gestalt bilden, der durch den majestätischen Fluß der in breite, ruhige Falten angeordneten Gewandung noch gehoben wird. Die Auffassung der Gesichtszüge wird freilich auf den ersten Blick manchen befremden. Der Künstler hat nicht die jugendliche, von holdem Liebreiz umflossene Fürstin dargestellt, wie sie in den Schilderungen ihrer begeisterten Zeitgenossen lebt, sondern die von der Last des Unglücks gebeugte Dulderin, deren Züge von tiefer Schwermuth erfüllt sind. Es ist die Gattin, welche um die gekränkte Ehre ihres Gemahls trauert, die Mutter, welche um die Zukunft ihrer Kinder sorgt, die deutsche Frau, an deren Herzen das Leiden und die Schmach ihres Vaterlandes nagen. Aber aus diesen gramerfüllten Zügen leuchtet noch siegreich der Abglanz jener seltenen Schönheit hervor, die auf alle, welche das Glück hatten, mit der Königin in Berührung zu kommen, einen so tief ergreifenden Eindruck machte.

Wenn wir uns das Bild der Königin vor die Seele rufen wollen, sind wir in erster Linie auf ihre eigenen Aeußerungen angewiesen, denn die Künstler ihrer Zeit haben uns so gut wie ganz im Stich gelassen. Wohl existiren zahlreiche Bildnisse der hohen Frau, Gemälde, Stiche, Zeichnungen und Büsten, aber dieselben widersprechen einander so sehr in den wesentlichsten Zügen, daß man keinem von ihnen ein Autoritätsrecht beimessen kann. Die deutsche Kunst befand sich in dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts und in dem ersten des unsrigen bekanntlich in einem Uebergangsstadium, in jener Umwandlung aus dem kleinlichen Dosenstil des Rococozeitalters in die ernste, großartige Formensprache der Antike, durch welche sie ihre endliche Wiedergeburt feierte. Während die eine Hälfte der Künstler noch von dem Geist der Rococozeit beseelt war, berauschte sich die andere bereits an den erhabenen Vorbildern griechisch-römischer Kunst. Den Ersteren fehlte das Verständniß für das Große und Erhabene, den Anderen der Sinn für das individuelle Leben der Persönlichkeit. So kam es, daß die Kunst des Portraitmalers in jener Zeit gerade am wenigsten den Idealen der Bildnißmalerei entsprach, welche Holbein, van Dyck und Rembrandt durch ihre Schöpfungen für die Nachwelt gebildet haben. Während die Maler des Rococos alles Große in's Kleine zogen, den geistigen Gesammteindruck über der gewissenhaften Aufzählung der äußeren Eigenthümlichkeiten vernachlässigten, schufen die Vertreter des neuen Stils statt der Individuen Typen von allgemeiner Schönheit, denen es an individuellem Reize gebrach. Unter diesen Gesichtspunkten sind die meisten Bildnisse der Königin Luise zu beurtheilen, und aus ihnen heraus ist ihre große Verschiedenheit zu erklären. Nur die Büste Gottfried Schadow's macht eine Ausnahme davon. Der Altmeister der Berliner Bildhauerkunst war trotz seiner Neigung für die Antike doch zu sehr Realist, um nicht den Spuren der Natur so getreu zu folgen wie es ihm seine Kräfte erlaubten und der damalige Zeitgeschmack gestattete, welcher der Sucht, Alles zu idealisiren, entgegen kam. Im Jahre 1794, also kurz nach dem festlichen Einzuge der Kronprinzessin Luise in Berlin, modellirte sie Schadow, zugleich mit ihrem jungen Gatten, im kronprinzlichen Palast. Während die Büste des Letzteren später in Marmor ausgeführt wurde, ist uns die erstere nur in Gips erhalten. Nach fünf Jahren fertigte Schadow noch eine zweite Büste von der nunmehrigen Königin, welche von der früheren nur durch die Wendung des Kopfes, durch vollere Rundung der Wangen und freieren Gesichtsausdruck verschieden ist.

Dann war es noch einmal Rauch, der eine Büste der Königin modelliren durfte, kurz nachdem er aus dem königlichen Dienst entlassen worden war, um nach Italien, dem Lande seiner Sehnsucht, zu ziehen und dort seine künstlerische Reife zu empfangen. Die Königin strahlte im Glanze höchster weiblicher Anmuth und innigsten Familienglücks – sie hatte eben das dreißigste Lebensjahr vollendet – als Rauch in den Tagen vom 27. Juni bis zum 23. Juli in Charlottenburg ihre Büste fertigte. Aber sein Geist war nicht mehr ganz bei der Sache; er war ihm bereits in das Land der Künste vorausgeeilt. Nach seinem eigenen Urtheile gerieth er bei der Arbeit in's Steife und Trockene, und als die Marmorausführung sechs Jahre später, nach dem Tode der Königin, an den König gelangte, hatte dieser besonders an der Aehnlichkeit Mancherlei auszusetzen. Die berühmte Grabstatue, die Rauch nachmals für das Mausoleum in Charlottenburg schuf, macht noch weniger Anspruch auf Portraitähnlichkeit: sie ist eine Idealfigur, welche die Züge der Königin nur im Allgemeinen festhält.

Aber vielleicht entspricht gerade eine solche Idealisirung am meisten dem Bilde, welches enthusiastische Zeitgenossen, Goethe und Jean Paul an der Spitze, von der holden Königin entworfen haben. Wenn Jean Paul sie eine „gekrönte Aphrodite“ nennt, deren Sprache und Umgang ebenso reizend ist, wie ihre Musengestalt, so wird man geneigt sein, dies für eine poetische Hyperbel des dankbaren Dichters zu halten, welcher bei seiner Anwesenheit in Berlin in der Königin eine warmherzige Beschützerin und Verehrerin seiner Muse fand. Aber der besonnenere und kühlere Goethe hatte acht Jahre früher, als er die Prinzessin Luise und ihre Schwester während der Belagerung von Mainz, kurz nach ihrer Verlobung mit den preußischen Prinzen, im Hauptquartier zu Bodenheim sah, unter dem 29. Mai 1793 nicht minder überschwänglich geschrieben: „Gegen Abend ward uns, mir aber besonders, ein liebenswürdiges Schauspiel bereitet. Die Prinzessinnen von Mecklenburg hatten im Hauptquartier zu Bodenheim bei Seiner Majestät dem König gespeist und besuchten nach der Tafel das Lager. Ich heftelte mich in mein Zelt ein und durfte so die hohen Herrschaften, welche unmittelbar davor ganz vertraulich auf- und abgingen, auf das Genaueste betrachten. Und wirklich konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals verlöschen wird.“

Noch größer war der Enthusiasmus der Berliner, nachdem die beiden Prinzessinnen ihren Einzug gehalten hatten. „Im Jahre 1794,“ so schrieb nachmals der alte Schadow, „hatte sich in Berlin ein Zauber verbreitet, welcher über alle Stände ausging, durch das Erscheinen der hohen Schwestern, Gemahlinnen der Söhne des Königs. Es entstanden Parteien, welcher von Beiden der Vorrang der Schönheit zukomme.“

Daß sich mit diesen äußeren Vorzügen der Königin Luise eine unwiderstehliche Liebenswürdigkeit paarte, geht ebenfalls aus allen Zeugnissen hervor, eine Liebenswürdigkeit, vor welcher selbst das Eis des preußischen Hofceremoniells schmolz. Die Memoiren der Oberhofmeisterin Gräfin von Voß, welche neunundsechszig Jahre am preußischen Hofe gelebt hat und genug Menschenkenntniß besaß, um den Kern unter der Schale zu erkennen, bieten uns zahlreiche Belege für die hohen Charaktervorzüge der Königin, die sich gleich vom Anbeginn in ihrer sieghaften Kraft zeigten und auch die Herzen der Widerstrebenden in ihrer Umgebung gewannen. „Die Prinzessin ist wirklich anbetungswürdig,“ schreibt die Gräfin am 31. December 1793 in ihr Tagebuch, „so gut

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)