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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Befriedigt öffnete er das Füllungsthürchen und ließ durch dasselbe eine Menge Fichtenharz gleiten, wie er es mit seinen Werkzeugen, dem Schaber und Scharrer, das Frühjahr und den Sommer hindurch von den Stämmen und Rinden in Vorrath gesammelt hatte.

„So,“ brummte er in sich hinein und griff nach der Brust, wo es so ungewohnt lastete und drückte, wie noch nie, „jetzt brennt es wohl fort bis in die Früh'; jetzt löscht der Brand nicht mehr aus – gerade so wenig wie der Brand auslöscht, der in mir da drinn' angezündet ist.“

Er trat in die Hütte und setzte sich unweit einer Wandöffnung nieder, durch welche er auf den Ofen sah und dessen Wärme einströmen lassen konnte, um sich daran zu trocknen und zugleich die kleine Stube zu erhellen.

Es war ein höchst einfacher Sitz, roh aus Tannenholz zusammengenagelt und nichts weniger als bequem; dennoch sank er bald wie auf dem weichsten Ruhebette in tiefes Nachdenken, aus welchem ihn auch die Stimmen der Hausgenossen nicht erweckten, die den Hausherrn nach ihrer Weise begrüßten.

Der alte Pechler hatte es verstanden, die Einsamkeit seines Wohnsitzes zu beleben, und weil Menschengäste für ihn eine Seltenheit waren, hatte er den Wald und seine Bevölkerung zu sich geladen. Die Einrichtung des Gemaches war die denkbar schlichteste; über dem Boden waren leichte Bretterlagen befestigt; eine armselige Bettstelle mit Stroh und einer Decke darüber, ein unscheinbarer Tisch und ein paar schlechte Geschirre über dem dürftigen Herde bildeten das ganze Inventar.

Dafür waren die Wände mit allem Schmucke ausgestattet, den der Wald zu bieten vermag. An denselben waren allerlei wunderlich gestaltete Wurzeln aufgehangen, die wie Schlangen oder Ungeheuer an der Decke hinaufzukriechen schienen; große, zierlich geformte Baumschwämme waren angebracht, um allerlei Spielwerk zu tragen, das die Einsamkeit erdichtet und geschnitzt hatte. Kleine Sennhütten aus dicker Eichenrinde, aus Tannenzapfen geposselte Männlein mit mächtigen Moosbärten, allerlei ausgeblasene und an Schnüren gereihte Vogeleier, Stöcke mit wunderlichen Griffen zeugten von der geschickten Hand wie von der lebhaften Einbildungskraft und dem klugen Sinn des einsamen Waldbewohners.

Aber auch an lebenden Genossen fehlte es nicht in der Stube. In der Nähe des Ofens lag ein Igel zusammengeballt, an dessen Stacheln noch einige aufgespießte Holzäpfel verriethen, daß das Thier erst von einer Futterstreife heimgekommen war. Ueber demselben hüpfte ein rothes Eichhörnchen auf einem Stängelchen hin und wieder; ein zahmer Kolkrabe mit gestutzten Flügeln kam herbei und setzte sich krächzend auf die Kniee des Pechlers, die gewohnten Liebkosungen erwartend. Aus einem Käfige krähte ein Nußhäher, mit den weißblauen Fittigen schlagend; aus einem anderen schmetterte ein Fink, und über dem Thürgesimse saß ein mächtiger Auf (Eule), der ebenfalls die Flügel regte und den dicken Kopf mit den runden Glotzaugen wie ungeduldig drehte, weil er nicht loszukommen vermochte.

„Gebt Ruh', Cameraden!“ sagte der Alte. „Ich hör' Euch schon, aber ich habe jetzt keine Zeit, mich mit Euch abzugeben; mir gehen ganz andere Dinge im Kopf' herum.“

Er setzte den unwillig krächzenden Raben auf das Fensterbrett neben sich, warf seine Jacke über den ruhelosen Finken und drohte der Eule mit einem kleinen Stocke, und die Thiere schienen den Willen ihres Herrn zu verstehen und fügten sich in sein Gebot; sie wurden allmählich still, und bald regte sich nichts mehr in dem nächtlichen, nur von dem äußeren Feuerscheine kümmerlich erhellten Gemach, als der schwer beklommene Athemzug des Greises und der Schlag der alten Hänge-Uhr, die bedächtig diese Athemzüge zu zählen schien.

So waren einige Stunden vergangen; längst war das Gewitter verhallt; der Regen hatte aufgehört, und durch die Fichten ging nur noch das Rauschen erfrischender und beruhigender Kühlung, wie sie auf solchen Aufruhr in der Natur zu folgen pflegt. Auch über den Alten war die Ruhe gekommen; unmerklich hatte ihn der Schlummer umfangen und ihm das greise Haupt auf die Brust herabgesenkt.

Erschrocken fuhr er nach einer Weile empor, denn der Rabe am Fenster begann zu flattern, als wenn er ihn wecken und etwas melden wollte; auch war ihm gerade, als hätte sich an der Thür der Hütte ein leises Klopfen vernehmen lassen. Er hatte sich auch nicht getäuscht; das Pochen wiederholte sich, und auf sein verwundertes „Herein!“ öffnete sich die Thür. Eine Mädchengestalt erschien auf der Schwelle, die er trotz des schwach einfallenden Feuerscheines zu erkennen glaubte – gleichwohl eilte er derselben nicht entgegen, sondern trat einen Schritt zurück, als habe er Scheu vor ihr, wie vor einer gespenstigen Erscheinung.

„Du bist es, Nannei?!“ rief er dann unsicher. „Bist es denn wirklich oder ist es Dein Geist?“

„Ich bin's schon,“ erwiderte sie, indeß über ihr bleiches Angesicht etwas wie ein demüthiges Lächeln glitt, das den Zorn des Alten entwaffnet hätte, wäre dies nicht schon durch den ersten Laut der bekannten, jetzt so schüchtern gedämpften Stimme bewirkt gewesen.

„Ich bin's schon,“ wiederholte sie, „wirst Dich wundern, warum ich so daher komm', wie der Dieb in der Nacht – ich will mir nur was holen und will Dich auch bitten, Du sollst's mir nicht nachtragen, daß ich so ungut gewesen bin mit Dir. Du sollst nicht harb sein auf mich und sollst mir erlauben, daß ich wieder Vater zu Dir sagen darf.“

Sie machte eine Bewegung, als ob sie vor dem Alten sich niederbeugen wollte, und haschte nach der Hand desselben, um ihre Lippen darauf zu drücken, aber ehe sie den Vorsatz ausführen konnte, lag sie schon an seiner Brust, mit dem Kopfe auf der Schulter und ließ ihre Thränen reichlich auf den groben Zwillich niederströmen.

Der Alte lachte und weinte durch einander.

„Ist schon gut, Nannei, ist schon gut,“ stotterte er, „ist alles vergeben und vergessen. Ich hab's alleweil' denkt, daß Dir's nicht Ernst sein kann mit Deinem Reden – sag' Du nur wieder Vater zu mir wie von eh! Ich bin's gewesen, seit Du auf der Welt bist, und will's bleiben, so lang' ich noch einen Schnaufer thun kann. Aber setz' Dich nieder,“ fuhr er fort, „setz' Dich auf das Bett her und raste aus und erzähl' mir nachher, wie's weiter gegangen ist auf dem Kogelhof und wie Du jetzt so auf einmal daher kommst bei der nachtschlafenden Zeit!“

„Das siehst ja, Vater,“ sagte sie, indem sie seiner Anweisung folgte und ein starkes Bündel, das sie in der Hand trug, neben sich auf das Bett niederlegte. „Du siehst ja, daß ich auf der Wanderschaft bin.“

Der Pechler klopfte wieder mit den Händen auf die Kniee.

„Was?“ sagte er. „Du willst davon bei Nacht und Nebel?“

„Ja,“ entgegnete sie, „das kannst Dir wohl denken, Vater, daß nach dem, was sie mir heut' angethan haben, auf dem Kogelhofe meines Bleibens nicht mehr ist. Da hab' ich meine sieben Zwetschgen zusammengepackt, hab' meine Arbeit vollends fertig gemacht und bin wie ein Mäusel zum Hausthor hinausgeschlichen. Ich geh' in eine andere Gegend, wo mich Niemand kennt und Niemand d'rum anschaut, daß –“

Sie stockte; das harte Wort wollte nicht über ihre Lippen.

„Morgen in aller Früh muß ich schon weit weg sein, daß sie mich nicht finden, wenn sie mich etwa suchen thäten, weil ich unter der Zeit aus dem Dienst gelaufen bin. Aber ich habe nicht so fort gekonnt; ich hab' Dir zuerst 'B'hüt Gott!' sagen müssen, Vater, und nachher –“ setzte sie etwas zögernd hinzu, „nachher hab' ich halt noch zwei schwere Sachen auf dem Herzen.“

„Was sind denn das für schwere Sachen?“ fragte der Alte. „Gewiß noch ein Gruß an den übermüthigen Buben, den Lenz?“

„Vater,“ sagte sie, und sah ihn ernst an, „so 'was wirst doch nicht glauben von Deiner Nannei? Ich wünsch' dem Lenz alles Glück auf der Welt, aber für mich ist er so gut, wie wenn er gestorben und begraben wär'. Die eine schwere Sach' ist schon abgemacht, weil wir wieder gut sind mit einander und Du wieder mein Vater sein willst – die zweite schwere Sach' aber ist die, daß ich gar nichts weiß von den Leuten, denen ich eigentlich angehört hab'. Ich seh' wohl ein, warum Du mir bis auf den heutigen Tag nichts davon gesagt hast, aber jetzt ist es nicht mehr nothwendig, daß Du mich verschonen willst – das Aergste weiß ich ja doch schon, und ehe ich mein Glück unter fremden Leuten probir', möcht' ich, daß Du mir erzählst, was Du weißt – Du mußt ja alles wissen; sonst hättest Du Dich wohl nicht um mich angenommen und mich aufgezogen wie Dein eigenes Kind.“

Der Alte hatte sich wieder auf seinem Stuhl am Guckloch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_043.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)