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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

auf den übrigen Küstenstrecken, wo Strandvögte, Lehrer und entsprechende andere Persönlichkeiten herangezogen werden.

Die Localitäten, welche unser Bild darstellt, sind die von Cuxhaven-Duhnen. Diese zu den wichtigsten zählende Rettungsstation der ganzen deutschen Küste ist zugleich sehr instructiv für unsern Zweck, da hier alle verschiedenen Formen des Rettungswesens vertreten sind. Das Bild links oben zeigt den, wie überall, mit dem rothen Kreuz geschmückten Bootsschuppen, daneben den Krahn, der soeben in Thätigkeit ist, das Rettungssegelboot „Esther“, eines der besten Boote an der Küste, auszuschwingen. Außerdem besitzt die Station Cuxhaven das eiserne Segelboot „Kölln“ und ein Francyboot. In Duhnen steht das Ruderboot „Ernst Merck“; außerdem sind auf Neuwerk und auf dem Feuerschiffe „Neptun“ Rettungsstationen gebildet, welche, zum Theil durch den Telegraphen verbunden, ein kräftiges Zusammenwirken ermöglichen. Im Ortsausschuß hat die eigentliche technische Leitung der Hafenmeister Polack, welcher es sich nicht nehmen läßt, bei jeder Rettungsfahrt mit in See zu gehen und persönlich das Commamdo zu führen, ein Mann, so recht eigentlich der Typus des deutschen Capitains, dieser seeerfahrenen, gebildeten, kühnen und entschlossenen Männer, welche eine Zierde unserer Nation bilden. Als charakteristisch für den eben Genannten mag hier erwähnt sein, daß er den einen lebhaften Wunsch hegt: noch drei Menschen retten zu können – dann würde gerade das Hundert derer voll sein, die er sowohl im Rettungsdienst, wie auf der Fahrt dem Tode entriß.

Von den im Obigen geschilderten Stationen, größeren und kleineren, zieht sich nun ein planvolles System längs der gesammten deutschen Küste hin, und wer die Gelegenheit hat, auf einer weiteren Strandtour eine Reihe solcher Stationen zu passiren, der wird den Eindruck empfangen, als habe er es hier mir einer wohlorganisirten Vorpostenkette zu thun, welche einem jeder Zeit kampfbereiten, gefährlichen Feind gegenüber aufgestellt ist – ein in Wirklichkeit durchaus zutreffendes Bild.

Der Kern des Rettungsmaterials nun ist das Rettungsboot, welches, nebenbei gesagt, seine eigene, der Entwickelung des Rettungswesens parallel laufende Geschichte hat. Bei seiner Gestaltung mußte es sich um zwei Gesichtspunkte handeln: erstens das Vollschlagen, zweitens das Kentern zu verhüten, und die Schwierigkeit der Construction lag zum Theil in der zu erreichenden Vereinigung beider Eigenschaften. Der Entwickelungsgang zeigt daher auch ein Vorwiegen bald der einen, bald der anderen Rücksicht, und so gelangte man in England schließlich durch unermüdliches Umgestalten und Erproben zu einer Construction, welche den Böten die Selbstentleerung beim Vollschlagen und die Selbstaufrichtung beim Kentern möglich machte. Die bei aller Einfachheit höchst sinnreiche Einrichtung für Selbstentleerung besteht darin, daß man einen wasserdichten Unterraum über der Wasserlinie des besetzten Fahrzeuges anlegte, welcher von einer von oben nach unten gerichteten Röhre durchschnitten wird, die ihrerseits nach unten durch ein Ventil geschlossen ist und somit das oben hereinschlagende Wasser abläßt, gegen das von unten andringende aber abgeschlossen bleibt. Das Selbstaufrichten beim Kentern wird dadurch erreicht, daß man gegen fünf Centner schwere, eiserne Kiele anbringt und das Boot nach oben durch Korkeinlagen oder Luftkästen erleichert. Aber abgesehen davon, daß diese Construction neben der Selbstaufrichtung auch entsprechend ein Umschlagen begünstigt, war dieses für die steile englische Küste construirte Boot seiner Schwere wegen für die flachen deutschen Küsten nicht verwendbar. Hier handelte es sich darum, das Boot, ehe es flott gemacht werden kann, auf ungünstigem, nachgebendem Terrain oft weit hinaus zu fahren, und so hat man, zum Theil zu älteren Constructionen zurückkehrend, gemischte Arten an unseren Küsten eingeführt.

Die Rettungsböte zerfallen außerdem in Ruder- und Segelböte, von denen die ersteren gute Brandungsfahrer, die letzteren geübte Sturmfahrer sein müssen. Ein wichtiger Bundesgenosse der Menschheit – der Dampf – versagt noch seine Dienste; gelingt eine Construction, welche die Verwendung dieser Kraft gestattet, so tritt das Rettungswesen in eine neue Phase.

Betrachten wir nun das Boot in Thätigkeit. Wir können von derselben vier Abschnitte unterscheiden, von denen jeder seine eignen Schwierigkeiten und Gefahren darbietet.

Sobald das Signal von einer Strandung eintrifft, werden die zum Vorspann verpflichteten Strandbewohner benachrichtigt, und bald rollt der schwere Bootswagen der schäumenden See zu. Dieser Wagen, von mächtig starkem Bau, ist so eingerichtet, daß ein Zapfen, welcher die Vorderräder mit dem übrigen Wagengerüst verbindet, herausgezogen werden kann, wodurch das Gerüst in die Höhe steigt und eine schiefe Ebene nach rückwärts bildet, um so das Boot sanft in die herankommenden Wogen gleiten zu lassen. Im Ganzen geht dieses „Abprotzen“ ohne ungewöhnliche Schwierigkeiten von Statten, manchmal aber wird es von der stärker heranrollenden See gestört, was bei schwerem Unwetter geradezu gefahrdrohende Situationen herbeiführen kann, ja die Mannschaft hat schon Pferde und Wagen nebst Boot ihrem Schicksal überlassen müssen, um durch schleunige Flucht das eigene Leben zu retten.

Ist das Boot flott, so wird das Steuerruder eingehängt, und nun beginnt der zweite, schwierigere Theil der Aufgabe, das Auslaufen. Es gilt die Brandungslinie zu durchbrechen. An unseren flachen Küsten ist oft, so weit das Auge reicht, nur eine schäumende brodelnde Masse zu erblicken, in welche hineinzutauchen der Laie für rein unmöglich hält – der gefährlichste Augenblick aber kommt weit draußen, da wo die mächtigste Brandung steht, das heißt da, wo die heranrollende Sturmwelle sich zuerst in größerer Tiefe bricht, und zwar ist das Boot hier einer doppelten Gefahr ausgesetzt. Erstens nämlich: es gelangt nicht auf die Brandungswelle hinauf und überschlägt sich, ähnlich wie ein Pferd, nach rückwärts, oder es wird quer gefaßt und überrollt. Zweitens: das Boot gelangt glücklich über die Brandungswelle, schlägt aber in der jenseitigen Thalsenkung der Welle auf den Grund. Es kommt dabei alles auf die Geistesgegenwart und schnelle Berechnung des Bootsführers an, indem er, ähnlich wie der Reiter dem Pferde die Zügel, dem Boote bald mehr, bald weniger Fahrt giebt.

Einmal im Bereiche der regulären See, hat das Boot weniger zu befürchten, bis die Gefahr bei der Annäherung an das Wrack wieder zuzunehmen beginnt. Schon in einiger Entfernung vor demselben sieht sich das Boot durch treibende Spieren und dergleichen bedroht; am Wrack selbst aber tritt wiederum ein höchst gefährlicher Moment ein, um so gefährlicher, wenn die Annäherung von der Luvseite geschieht. Es gehört keine große Phantasie dazu, sich die Schwierigkeiten zu vergegenwärtigen, welche sich dem Anlegen an ein von der Brandung überspültes Wrack darbieten, auch ungerechnet die von stürzenden Masten drohende Gefahr. Steht eine derart heftige Brandung am Wrack, daß eine Annäherung unmöglich ist, so wird mit der Cortes’schen Büchse eine Leine hinübergeschossen und die Verbindung auf diese Weise hergestellt – eine Situation, wie sie unser Mittelbild zeigt.

Ist die zu rettende Mannschaft geborgen, so geht es auf den Rückweg und damit der im Grunde allergrößten Gefahr in die Arme: dem Einlaufen durch die Brandung, welches ähnliche Schwierigkeiten wie das Auslaufen bietet, nur daß dieselben durch die nachfolgenden Wassermassen gesteigert werden. Es handelt sich für das Boot darum, immer da auf dem Rücken der Welle zu bleiben, wo ihr Durchmesser am stärksten ist, ein Manöver, das auf verschiedene Weise durchgeführt wird; unser Bild rechts oben zeigt ein solches, wo zwei Ruderer rückwärts gesetzt werden, um das Boot immer auf die Woge hinaufzurudern. Zu gleichem Zwecke benutzt man den hinter dem Steuer sichtbar werdenden sogenannten Schlepper, einen leinenen Beutel in Form eines Kaffeesackes, der, durch einen Reifen offen gehalten, das Wasser einschluckt und so zurückhaltend wirkt. In Ermangelung eines solchen Schleppers werden auch beliebig andere Gegenstände, die gerade zur Hand sind, verwendet. Endlich ist auch das Ausgießen von Oel ein die Brandung beruhigendes Mittel, dessen Wirkung eine geradezu zauberhafte ist, und dies um so mehr, je weniger der Zusammenhang der Erscheinungen vor Augen liegt.

Da nun aber das Umschlagen des Bootes trotz aller Verbesserungen dennoch als eine Gefahr immer bestehen bleibt, so mußte für den über Bord gehenden Mann ein letztes Rettungsmittel geschaffen werden, und als ein solches bewährte sich vorzüglich die Korkjacke, ein aus gegliederten Korkstücken zusammengesetzter Küraß, der einen Menschen 24 Stunden über Wasser zu halten vermag.

Für den Fall, daß das Boot das Wrack nicht erreichen kann, tritt, sobald dasselbe nicht weiter als 500 Schritt vom Strande abliegt, die Rakete in Thätigkeit. Dieselbe hat im Allgemeinen die Construction der Kriegsraketen, für den speciellen Zweck

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_063.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)