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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Einen für diese Art von Erziehung ganz besonders befähigten Lehrer fand Fellenberg in Jakob Wehrli, nach welchem denn auch sowohl die von Fellenberg selbst, wie die nach dessen Vorgang anderwärts errichteten Arbeitsschulen „Wehrli-Schulen“ benannt wurden. Aehnliche Einrichtungen entstanden in Frankreich, in England, in Belgien. Besonders gut organisirt und von den besten Erfolgen begleitet waren nach zuverlässigen Berichten die in Mettray in Frankreich (1840) und in Ruyffelede in Belgien (1849) begründeten. In Deutschland machten sich um Errichtung von „Wehrli-Schulen“ verdient die zu Pestalozzi's hundertjährigem Geburtstage entstandenen „Pestalozzi-Vereine“ und der um dieselbe Zeit in Wirksamkeit getretene „Verein für das Wohl der arbeitenden Classen“ in Preußen.

Alle diese Anstalten verfolgten vorzugsweise den Zweck, arme, besonders auch verwahrloste Kinder durch das sittlich bildende Mittel geregelter Arbeit an Ordnung, Thätigkeit und Betriebsamkeit zu gewöhnen, und sie erwiesen sich für Erreichung dieses Zweckes als sehr fruchtbar.

Wieder in anderer Weise machte Pestalozzi's Schüler und Nachfolger auf dem Gebiete der Pädagogik, Friedrich Fröbel, das Princip der „Erziehung zur Arbeit“ nutzbar. Zunächst ward in der von ihm gegründeten Erziehungsanstalt zu Keilhau bei Rudolstadt die Verbindung von Arbeit und Unterricht in ganz ähnlicher Weise in's Werk gesetzt, wie in Schnepfenthal. Außerdem aber ist Fröbel bekannt als der Vater der „Kindergärten“, die eine so große Ausbreitung erlangten und in mancher Hinsicht ganz günstig wirkten. Ihnen liegt die Idee zu Grunde, den dem Kinde angeborenen Spieltrieb zu planmäßigen Beschäftigungen zu entwickeln und zu verwerthen, durch welche Hand, Auge, Form- und Schönheitsinn der Kleinen in leichter und geregelter Weise geübt und ausgebildet werden sollen. Dergleichen Beschäftigungen sind das Stäbchenlegen, die Herstellung von allerhand Gegenständen aus verbundenen Stäbchen und Erbsen, das Flechten aus Papier und anderen Stoffen, das Bauen mit Bausteinen u. dergl. m. Bisweilen ist man dabei wohl zu systematisch für dieses Kindesalter verfahren und so theilweise in Künstelei verfallen, allein der Grundgedanke ist jedenfalls ein gesunder: den Thätigkeitstrieb des Kindes, der, sich selbst überlassen, sich leicht zerstörend äußert, in den richtigeren Weg des Schaffens überzuleiten und so unbemerkt ihm eine ernstere Richtung zu geben.

Eine sehr zweckmäßige Erweiterung der Fröbel'schen Spiele bietet die „Arbeitsschule“ von Schmidt und Seydel in Weimar (Verlag von H. Böhlau daselbst), eine planmäßig vom Leichten zum Schwereren fortschreitende Reihenfolge von Aufgaben zu Arbeiten für etwas ältere Kinder.

Auch in einzelnen Privaterziehungsanstalten, z. B. der des Dr. Barth in Leipzig, ward das Princip der Arbeit mehrfach zur Anwendung gebracht. Ebenso werden in der Realschule zu Leipzig von Schülern allerhand kleine mathematische, physikalische, astronomische und andere Lehrapparate gefertigt, gewiß ebenfalls eine sehr gute Uebung.

Neben diesen praktischen Versuchen zur Einführung geregelter mechanischer Beschäftigungen in das System der Erziehung entstand nun auch in den vierziger und fünfziger Jahren in Deutschland eine reiche pädagogische Literatur, welche indirect oder direct auf das gleiche Ziel hinarbeitete, auf die, wie es damals hieß, Versöhnung der Schule mit dem Leben. Indirect geschah dies durch Aufdeckung von allerhand Mängeln der sogenannten Lernschule. Man klagte darüber, daß diese für die Charakterbildung und die Vorbereitung der Jugend für's praktische Leben zu wenig leiste, daß sie zu einseitig blos das Gedächtniß in Anspruch nehme, daß ihre Ergebnisse unzureichende, insbesondere aber nicht genug nachhaltige seien u. dergl. m. Und zwar wurden solche Klagen – merkwürdiger Weise! – gerade von Schulmännern, Schul- und Seminardirectoren erhoben, also solchen denen man einerseits genaueste Kenntniß des Gegenstandes zutrauen konnte, und von denen andererseits nicht anzunehmen war, daß sie von einem Vorurtheil gegen die bestehenden Schulanstalten geleitet würden. Zu ihnen gehörten Männer wie Vogel, Scherr, Curtmann, Kirchmann, Kellner, Diesterweg. In allen jenen Klagen klang zugleich mehr oder weniger direct der Gedanke an, daß eine wirksame Abhülfe der wahrgenommenen Uebelstände nur in einer größeren Berücksichtigung der körperlichen Kraft und Fähigkeit, der Sinne und Gliedmaßen zu finden sei.

Auch in den Versammlungen deutscher Lehrer ward zu Anfang der fünfziger Jahre die Frage der sogenannten „Erziehung zur Arbeit“ mehrfach discutiert, ohne daß es indeß zu einem greifbaren Resultat gekommen wäre.

Der Verfasser gegenwärtigen Aufsatzes hat damals in einer Schrift unter dem Titel „Die Erziehung zur Arbeit, eine Forderung des Lebeus an die Schule“ von Karl Friedrich (1852, Leipzig, Avenarius und Mendelssohn) das ganze bis dahin angesammelte Material sowohl von theoretischen Ausführungen wie von praktischen Versuchen zur Lösung der so hochwichtige Frage in möglichster Vollständigkeit zusammengestellt.

Diese scheinbar so lebhafte Reformbewegung wurde indeß damals, wie das zu gehen pflegt, von anderen Fragen und anderen Interessen in den Hintergrund gedrängt.

Neuerlich nun, das heißt seit Anfang der siebenziger Jahre, ist die Frage der „Erziehung zur Arbeit“ wiederum angeregt, ja sind auch schon zum Theil recht vielversprechende Anfänge zur praktische Lösung des Problems gemacht worden. Leider auch jetzt, wie schon im vorigen Jahrhundert, nicht von Deutschland aus, sondern vom Auslande. Und zwar ist es diesmal der skandinavische Norden, der die Initiative ergriffen hat. Dort handelt es sich in erster Linie um Erreichung und Förderung des sogenannten „Hausfleißes“, mit anderen Worten, um Anregung und Anleitung zunächst der (dort bei Weitem überwiegenden) ländlichen Bevölkerung zur Benutzung namentlich der im Winter ihr aufgedrungenen Muße, überhaupt aber ihrer freien Zeit, z. B. an den Abenden, zu solchen häuslichen Arbeiten, die theils einen gewissen wirthschaftlichen Werth für sie haben, theils den großen moralischen Nutzen versprechen, daß dadurch die Männer vom Besuche öffentlicher Orte, von Spiel und Trunk abgelenkt und zu größerer Häuslichkeit gewöhnt werden.

Den ersten Anstoß dazu gab ein Privatmann, der Rittmeister a. D. Clauson Kaas zu Kopenhagen. Als Officier in einem kleinen Garnisonsorte stehend, wo es an guten Schulen fehlte, kam der sehr praktisch angelegte Mann auf den Gedanken, seine Kinder selbst zu erziehen und hierbei neben den theoretischen Wissensgegenständen auch praktische, mechanische Beschäftigungen anzuwenden. Er that dies mit so viel Erfolg, daß bald auch andere Eltern ihn baten, ihre Kinder in seinen Unterricht mit aufzunehmen, und daß sich so eine förmliche Schule um ihn bildete. Das Gleiche geschah in Kopenhagen, wohin er später versetzt ward. Dies veranlaßte ihn, 1864 seinen Abschied zu nehmen, um sich ganz dem Erziehungsfache zu widmen. Es gelang ihm, seiner Ansicht von der Nützlichkeit des „Arbeitsunterrichts“ in weiteren Kreisen Geltung zu verschaffen, wobei er von einem ihm geistesverwandten Lehrer, Rom, unterstützt ward. Seit 1871 giebt er eine Monatsschrift heraus, „Nordisk Husflids-Tidende“ („Nordische Hausfleiß-Zeitung“) mit Abbildungen, worin er für seine Idee Propaganda macht; in einer zweiten Monatsschrift, „Husflids-Meddelelser“ („Hausfleiß-Mittheilungen“), erstattet er Bericht über die Fortschritte der Hausfleißvereine.

Auf Clauson's Betrieb entstand nämlich schon 1873 in Kopenhagen eine „Hausfleißgesellschaft“, die überall im Lande zur Gründung von „Hausfleißvereinen“ anregt; 1877 bestanden deren schon 61 nebst 26 Hausfleißschulen. Die Hauptgesellschaft zählte 553 Mitglieder. Sie wird sowohl von der Regierung, wie von einer großen Anzahl von Gemeinden, Vereinen etc. mit Geldmitteln unterstützt. Die Regierung spendete 1875 4000, 1876 und 1877 je 6000 Kronen (etwa 6800 Mark). Das von Dänemark gegebene Beispiel hat im benachbarten Schweden Nachahmung gefunden – oder, vielleicht richtiger gesagt: der gesunde Volksinstinct in beiden Ländern hatte fast gleichzeitig das tiefe Bedürfniß einer sittlich-wirthschaftlichen und pädagogischen Reform in dieser Richtung empfunden, und die Anregung, die in Dänemark Clauson, in Schweden Graf Clas von Lewenhaupt, in Norwegen Dr. Greve gaben, fanden eben deshalb auch so rasche Verbreitung. Die Sache kam schon 1876 im schwedischen Reichstage zur Sprache, und es ward der Regierung ein Fonds zur Unterstützung der „Hausfleißgesellschaften“ bewilligt. So hat denn die schwedische Regierung 1876 16 solchen Gesellschaften

zusammen die Summe von 18,000 Kronen (etwa 20,000 Mark)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_065.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2021)