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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Dank wissen, wie es sich die Hände reiben wird angesichts des angenommenen Antrages Kögel: das durch die Maigesetze eingeführte Staatsexamen der Theologen überall mit der ersten theologischen Prüfung zu verbinden und durch Mitglieder der theologischen Prüfungscommission abhalten zu lassen!

Nicht minder bedenklich müssen die Verhandlungen über die vorgeschlagene Trauordnung erscheinen. Es handelte sich um eine endgültige Ordnung der bisher nur vorläufig festgestellten kirchlichen Trauung nach Einführung der Civilehe. Die Vorlage des evangelischen Oberkirchenrathes sprach aus: die Trauung habe die rechtsgültig geschlossene Ehe zur Voraussetzung, solle aber derselben ohne Verzug folgen; kirchliche Pflicht sei, dieselbe nachzusuchen, keine Ehe zu schließen, der die Trauung versagt werden müsse, und vor der Trauung in die eheliche Lebensgemeinschaft nicht einzutreten. Die Traufragen, verschieden für eine dem Civilact sofort folgende und für eine erst später nachgeholte Trauung, sollten sich lediglich auf die christliche Führung der Ehe richten, und durch Parallelformulare sollte sowohl das alte „Zusammensprechen“ wie das seither gültige „Segnen“ freigegeben werden. Die Mehrheit der Synode hat diese Bestimmungen verschärft, mit der unverhohlensten Freude darüber, die verhängnißvollen Erschwerungen der Eheschließung aus der Reactionsperiode der fünfziger Jahre, welche die Civilstandsgesetzgebung beseitigt hatte, auf dem rein kirchlichen Gebiete wieder herstellen zu können. Ueberall zeigte sich das Bestreben, die Bedeutung der Eheschließung vor dem Standesamte möglichst abzuschwächen; man verwandelte die „rechtsgültig geschlossen“ Ehe in eine „nach bürgerlichem Recht erfolgte“; man sprach geflissentlich von einer „bürgerlichen Eheschließung“, als ob es daneben noch eine „kirchliche Eheschließung“ gäbe. Dem Oberkirchenrath ward für sein Entgegenkommen in Bezug auf die Trauformulare übel gelohnt: mit knapper Mühe rettete er neben dem stürmisch begehrten „so spreche ich euch hiermit zusammen“ das anspruchslosere „so segne ich hiermit euren ehelichen Bund“, welches Professor Cremer für eine „bloße Phrase“ erklärte. Heißt das dem Staatsgesetz die gebührende Achtung erweisen? Heißt das der beklagenswerthen Verwirrung der Gemüther, die in Ehesachen unleugbar vorhanden ist, erfolgreich entgegenwirken?

Dem Staate zu geben, was des Staates ist, war auch sonst keine lebhafte Neigung vorhanden. Das Verhältniß der Kirche zur Volksschule soll nach dem Willen der Synode in Zukunft in der Weise geregelt werden, daß der evangelischen Volksschule und, soweit möglich, auch den höheren Schulen der confessionelle Charakter gewahrt und deshalb die Zahl der Simultanschulen auf das unabweisliche Bedürfniß beschränkt werde; daß die Kreis- und Bezirksschulinspection möglichst nach der Confession der unterstellten Schulen geschieden werde; daß den evangelischen Geistlichen die Schulinspection in jedem einzelnen Falle nur mit Genehmigung ihrer geistlichen Behörde vom Staate übertragen und nur nach Anhörung derselben abgenommen werden dürfe; daß da, wo besondere Kreis- und Localschulinspectoren angestellt sind, das Recht der Kirche zur Geltung komme, durch ihre Behörden und Organe den Religionsunterricht zu leiten u. s. f. Die Grundsätze und Erfolge der Falk'schen Schulverwaltung fanden so wenig Gnade, daß der erste Correferent den traurigen Muth hatte, die rühmliche Unterrichtsverwaltung dieses Mannes mit dem Verdict „die sieben mageren Jahre“ abzuthun. Das war denn doch sogar dem anwesenden Cultusminister von Puttkamer zu stark, und er erklärte, keine Veranlassung zu haben, an den Grundsätzen zu rütteln, welche die Allgemeinen Bestimmungen vom October 1872 aufgestellt haben. Man weiß freilich vom Elbinger Simultanschulstreit her, was das im Munde des Herrn von Puttkamer zu bedeuten hat.

Unerquicklich und peinlich waren die Verhandlungen über die sogenannten Berlinischen Nothstände. Präsident Hegel legte ein langes Sündenregister des hauptstädtischen Magistrats vor, laut dessen derselbe sich der gröblichsten Unterlassungen und Vernachlässigungen der geistlichen Versorgung städtischer Krankenhäuser, Irrenhäuser und Correctionsanstalten schuldig gemacht hätte. Er verlangte nichts Geringeres, als daß die städtischen Behörden von Berlin im Wege der Staatsaufsicht „angehalten“ würden, die nöthigen Einrichtungen für eine Seelsorge im Einvernehmen mit der Kirchenbehörde zu treffen. Zwar führte der Vertreter des Cultusministers aus, daß die erhobenen Anklagen zum Theil auf unrichtigen Voraussetzungen, zum Theil auf Uebertreibungen beruhen; zwar fand der Präsident des Oberkirchenrathes selbst gerathen, eine motivirte Tagesordnung zu empfehlen; zwar wurde von amtlicher Seite darauf hingewiesen, daß zu dem begehrten „Anhalten“ die gesetzliche Unterlage fehle, umsonst: der Generalsuperintendent Büchsel intonirte einen erneuten Nothschrei, und mit großer Mehrheit wurde der Antrag Hegel angenommen, welcher auf den ungläubigen Berliner Magistrat die Censur und Execution des Ministers herabwünscht. Verwunderlich bleibt dabei nur eins. Gerade die orthodoxe Richtung ist auf das Eifrigste bemüht, die Kirche selbstständig und von der Bevormundung des Staates frei zu machen – ist das der Weg, der Kirche die Achtung des Volkes zu verschaffen, daß ihre obersten Beamten bei der ersten besten Verlegenheit nach polizeilicher Hülfe rufen? (Der Berliner Magistrat hat übrigens alsbald in einer gründlichen Widerlegung gegen die Anschuldigungen Hegel's öffentlich protestiert. D. Red.)

Es ist unmöglich, an dieser Stelle die Reden und Thaten der Generalsynode ausführlich und vollständig wiederzugeben. Auch ist zur Kennzeichnung des dieselbe beherrschenden Geistes die vorstehende flüchtige Skizze mehr als genügend. Das Bündniß der beiden strenggläubigen Parteien, der Positiv-Unirten und der Confessionellen, gab der Synode von Anfang bis zu Ende Ziel und Richtung. Die geringe Zahl der Liberalen, welche sämmtlich der Provinz Preußen angehörten, reichte zur Stellung selbstständiger Anträge nicht hin und kam für den Gang der Verhandlungen kaum in Betracht. Aber auch die äußerst gemäßigte und zahme Mittelpartei, welche noch auf der außerordentlichen Generalsynode von 1875 die ausschlaggebende gewesen war, mußte den Wechsel kirchlicher Strömungen und Stimmungen bitter genug erfahren.

Die „Confessionellen“, deren Dreistigkeit all ihr Gerechtigkeitsgefühl unterjocht hatte, würden am liebsten die Mittelpartei bei den Vorstandswahlen ganz unberücksichtigt gelassen, bei den Discussionen ganz mundtodt gemacht haben, aber der diplomatischen Klugheit einflußreicher Mitglieder der positiv-unirten Fraction gelang es, das Aeußerste abzuwenden und jener numerisch zweitgrößten Gruppe eine bescheidene Mitwirkung zu gewähren. Damit dieselbe nicht unbequem würde, einigte man sich zu der stillschweigend geübten Praxis, durch Schlußanträge den Rednern der Mittelpartei – das Wort abzuschneiden. So erging es dem Professor Beyschlag bei der Berathung über das Staatsexamen der Theologen, obgleich er der einzige noch auf der Liste stehende Redner war und gerade in dieser Sache allen Anspruch auf Gehör hatte, ebenso bei dem zweimaligen Angriffe auf das Pfarrwahlrecht der Gemeinde, bei dem ungeheuerlichen Antrag, die theologischen Facultätsberufungen vom Generalsynodalvorstand abhängig zu machen etc. Im politisch-parlamentarischen Leben würde ein solches Verfahren vor dem ganzen Lande als schreiende Ungerechtigkeit gebrandmarkt werden.

Den Führern der Mittelpartei kann das Zeugniß nicht versagt werden, daß sie auf diesem heißen Boden, wo sie die einzigen Vertheidiger humaner Cultur waren, wacker und mit Anstand gekämpft haben. Sie haben dem ungestümen Vordrängen einer massiven Gläubigkeit nach Kräften Widerstand geleistet, zum Schutze der Wissenschaft und der Gemeinderechte manches tapfere Wort gesprochen, Uebereilungen und Unbesonnenheiten der überfrommen Brüder möglichst hintertrieben.

Aber was die verbündeten Parteien fest und entschieden wollten, das setzten sie auch durch. Ihre Sprache wurde immer deutlicher; ihre Zwecke traten immer unverhüllter hervor. Dadurch geschah es, daß die Temperatur der Synode, anfangs sogar Männern der Mittelpartei behaglich, allmählich drückender und schwüler, zuletzt schier unerträglich wurde. Hatte man zu Anfang der Verhandlungen einander von Fraction zu Fraction Anträge zuvor mitgetheilt und Verständigung über dieselben gesucht, so unterließ man bald diese überflüssige Höflichkeit, und Ueberraschung, Ueberrumpelung, Niederwerfung wurden die taktischen Maßregeln der gläubigen Streiter.

Hierfür gilt das Zeugniß eines competenten Berichterstatters, des Professors Beyschlag, welcher in seinem in den „Deutsch-evangelischen Blättern“ erstatteten Referat nicht umhin kann, folgendes Geständniß zu machen: „Wenn Präsident Hermes (am Schlusse der Synode) von dem Geiste der Liebe sprach, der in der Synode gewaltet und vermöge dessen wir keine Triumphe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_098.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)