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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 7.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Der Weg zum Herzen.
Erzählung von Robert Byr.
1.

Unter dem Porticus des Opernhauses war die Equipage vorgefahren. Der Diener, dessen laut in die Winternacht hinausschallender Ruf: „Baron Lomeda!“ sie herbei beordert, wendete sich rasch wieder um und schlüpfte zwischen den zahlreichen wartenden Gruppen in der Vorhalle und dem strahlend beleuchteten Treppenhause hindurch, um seine Herrschaft wieder aufzusuchen. Vor einem jungen Paare, das, dicht in Pelze gehüllt, eben die Stufen von den Garderoben herabkam, blieb er stehen, indem er den Tressenhut zu seiner stummen Meldung lüftete.

Das vom weißen Capuchon fast ganz verborgene Köpfchen sanft nach dem Tacte wiegend, lauschte die Baronin in träumerischem Nachgenusse den leise aus dem Saale herübertönenden Weisen eines Walzers und stand eben im Begriffe, sich entschlossen von den schmeichelnden Sirenenlockungen loszureißen und am Arme ihres Gatten rascher dem Ausgange zuzuschreiten, als ein junger hübscher Husarenofficier die Haupttreppe herabgeeilt kam. Rasch hatte er zwischen all den tropischen Gewächsen, Kandelabern, Marmorpfeilern und Menschen die Gesuchten ausgeforscht und trat hastigen Schrittes von der Seite her an die Baronin heran. Sie schrak beim Tone seiner Stimme leicht zusammen und wendete ihm ihr Antlitz zu: zwei dunkle, große Augen sahen fast scheu unter den tief über die Stirn fallenden Spitzen des Capuchons hervor, die so weiß waren, wie die plötzlich blutlos gewordenen Wangen.

„Sie haben Ihr Bouquet vergessen, Baronin,“ sagte kurz der junge Officier. Er trat sofort mit einer tiefen, ehrfurchtsvollen Verbeugung wieder zurück, nachdem die Baronin den großen Strauß von veilchenumringten weißen Camelien an sich genommen; es war das mit einem so leisen Worte des Dankes geschehen, daß man es nur von den fast unmerkbar bewegten feinen Lippen ablesen konnte. Nicht das kleinste freundliche Lächeln begleitete es, auch die Augen hatten sich gesenkt, und kühl und vornehm neigte sich das Haupt um eines Daumens Breite. Dennoch zuckte ihre Hand und sie drückte die Blumen fester an die Brust, als sich ihr Gatte erbot, sie ihr zu tragen. Sein schönes tiefernstes Auge glitt über die Gestalt des Ueberbringers und unterzog ihn einer ruhigen, kurzen, aber scharfen Musterung.

„Ich danke, Herr Rittmeister,“ sagte er dann mit gemessener Höflichkeit im Vorüberschreiten. „Mein Schwager tanzt wohl viel zu eifrig und ist ein zu großer Egoist, um die Vergeßlichkeit seiner Schwester selbst gut zu machen, doch waren die halb verwelkten Blumen wirklich kaum werth, daß Sie sich dafür bemühten.“

Ein rascher Aufblick seiner Frau schien sich versichern zu wollen, ob hinter der leichten Rede nicht ein Hintergedanke sich berge, aber die edlen, schön und geistreich geformten Züge ließen davon nichts erkennen; abgesehen von einer leisen Ermüdung verriethen sie durchaus nichts Ungewöhnliches. Artig, wenn auch mit einiger Zurückhaltung, grüßte der Baron den zurückbleibenden Officier und geleitete dann seine Frau bis zum Wagen, in den sie sich rasch und leicht hineinschwang, ohne daß sie mehr als eine scheinbare Hülfe von seiner Hand annahm. Dennoch ordnete er die Pelzdecke sorgsam um sie, ehe er seinen Platz in der anderen Ecke einnahm. Der Schlag flog zu, und so blitzschnell rollte der Wagen davon, daß die Lichter der Laternen an den vom Froste halb undurchsichtig behauchten Fenstern mit jähem Scheine vorüberhuschten.

Bei dem donnernden Geräusche war nicht wohl ein Gespräch zu führen, auch schien den beiden Insassen nicht das Mindeste daran zu liegen. Nur einmal unterbrach Baron Lomeda das Schweigen.

„Ein Bekannter von Dir?“ fragte er kurz nach dem Einsteigen. Die Beziehung auf den jungen Officier verstand sich von selbst.

„Ja!“ antwortete die Baronin, ohne sich zu regen.

„Von früher her?“

Auf diese zweite Frage kam die Erwiderung nicht sofort. Als das kurze Zaudern aber überwunden war, lautete das abermalige „Ja“ vielleicht noch kürzer und kälter als das erste, wie wenn damit jede weitere Erklärung als eine unberechtigte, langweilende Forderung entschieden abgeschnitten werden sollte.

Von da ab blieben Beide in ihre Gedanken versunken.

Der kurze Weg war bald zurückgelegt, und die Equipage hielt vor einem jener palastartigen Gebäude, welche in den letzten Jahrzehnten zwischen der prachtvollen Ringstraße und den bescheideneren alten Stadttheilen zu ganzen Quartieren des Reichthums und der Behaglichkeit aus dem unterminirten Boden der alten Befestigungswerke emporgewachsen sind.

Noch warteten Beide eine Minute, und erst als das Thor aufgeschlossen war, öffnete sich auch der Wagenschlag. Der Baron stieg aus. Seiner kräftigen Gestalt wäre es wohl ein Leichtes gewesen, die in ihren Pelzen zusammengekauerte schlanke Frau auf seinen Armen herauszuheben und über das feuchte Pflaster hinweg durch die Einfahrtshalle die Treppe hinauf zu tragen, er begnügte sich aber damit, ihr, wie beim Einsteigen, nur mit der Hand zu Hülfe zu kommen, die er sacht unter ihren Ellbogen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_105.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)