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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Flüsse, der Hühnerhöfe und Taubenschläge bis zu der unserer Vogelstuben und Heckkäfige.

Derartige Betrachtungen treten uns unwillkürlich nahe, wenn wir ein Thierbild, wie das diese Zeilen begleitende, vor uns sehen, welches uns das Leben und Treiben der Flamingos auf einem ihrer heimathlichen Sammelplätze in lebendiger Wahrheit malt.

Der Flamingo nimmt unser Interesse zunächst in Hinsicht seiner ornithologischen Bestimmung in Anspruch. Erst in der neuesten Zeit nämlich haben Vogelkundige durch eingehende Untersuchungen nachgewiesen, daß dieser Vogel nicht, wie häufig angenommen und nur von wenigen Forschern, z. B. von Leunis, bestritten, zu den Schwimm-, sondern zu den Sumpfvögeln gehört und den Störchen und Ibisen nahe steht, wenn auch sein Schnabel- und Fußbau, sowie die Ernährung dagegen zu sprechen scheinen.

Dem Laien dünkt der Flamingo auf den ersten Blick überhaupt als ein wunderliches Geschöpf. Der Rumpf und die Schwimmfüße gleichen denen einer Gans, die langen Beine und der Hals denen eines Storches oder Reihers, nur daß der Flamingohals noch länger und gelenkiger ist. Der Schnabel ähnelt dem einer Ente, und gleich letzterer grundelt der Flamingo auch im Schlamm umher, doch mit dem Unterschiede, daß er, den Kopf umwendend, die obere Schnabelhälfte auf den Grund hinablegt und so schnatternd allerlei kleines Wassergethier, Würmer, Mollusken, Krebsthiere, sowie auch Fischfleisch und Pflanzenstoffe frißt. Sein Gefieder ist weiß, mehr oder minder rosenroth überhaucht, mit rothen Oberflügeln und schwarzen Schwingen. So erscheint er als ein stattlicher und zugleich schöner Vogel, und wo, wie am Neptunsteich im zoologischen Garten von Berlin, eine ganze Heerde Flamingos beisammen ist, bilden sie einen gar herrlichen Schmuck. Man kennt ihrer fünf Arten, welche in Afrika, Asien, Amerika und im wärmeren Europa heimisch sind und von denen einige Exemplare sich zuweilen auch bis nach Mitteleuropa, also zu uns nach Deutschland, verfliegen.

Ueber den Aufenthalt und die Lebensweise berichtet der leider zu früh verstorbene Afrikareisende Th. von Heuglin: „Man sieht sie vornehmlich in seichtem Meer- und Brackwasser, auf Sandbänken, flachen Korallenriffen, an Lagunen, verschlammten Flußmündungen und in den Sümpfen der Natron- und Salzseen; wenn irgend möglich, an Stellen, die ihnen eine weite Rundsicht gestatten, welche also entblößt sind von hohem Schilf- und Buschwerk. Trotz ihres schüchternen Wesens findet man sie dort, wo sie sich sicher fühlen, doch oft unweit von den Fischerbarken, in Alexandrien sogar ganz nahe an der eine weite Strecke zwischen den Lagunen hinführenden Eisenbahn. Sobald sie aber Nachstellungen erlitten haben, ziehen sie sich auf unzugängliche Stellen in den Morästen zurück. Sie übernachten auf seichten Stellen inmitten der Gewässer oder Sümpfe, wo sie sich dann zu vielen Hunderten ansammeln und von wo sie früh morgens in reihenweise geordneten Flügen nach den Futterplätzen abstreichen.“

Der Reisende behauptet, daß arabische Fischer sie sehr leicht fangen, denn nach Bestellung könne man auf dem Markt von Damiette in wenigen Tagen eine große Anzahl erhalten.[1] Das Fleisch sei zart, saftig und wohlschmeckend und habe nur zuweilen einen unangenehmen Thrangeruch. Von den Schleckern des Alterthums wurden bekanntlich die Zungen und das Gehirn von manchen Vögeln, vorzugsweise von den kostbarsten, als besondere Leckerbissen erachtet, und so wurde denn von Apicius, Vitellius und Heliogabal auch der Flamingo in dieser Weise benutzt.

Ueber die Fortpflanzung des Flamingo war man bis zur neuesten Zeit noch im Unklaren, und in Betreff desselben ist viel gefabelt worden. Der Reisende Dr. Gundlach, welcher die amerikanischen Arten beobachtet hat, bestätigt, daß das Nest aus Schlamm und Pflanzenresten kegelförmig aufgeschichtet sei und oben eine flache Vertiefung habe, in welcher der Vogel brütend sitze, während seine Beine, denen eines Reiters ähnlich, zu beiden Seiten herunterreichen.

In Amerika werden die Jungen oft in Höfen, Gärten, Parks u. s. w. aufgezogen; früher wurden sie sogar in kleinen Heerden gleich Gänsen zu Markte getrieben, was jetzt nur noch vereinzelt geschieht. In der Gefangenschaft werden sie mit Getreide, namentlich mit geschrotenem Mais, gekochtem Reis, gequelltem Weizen oder Gerste, eingeweichtem Brod, Fleisch, Fischen u. s. w. gefüttert; nur, wenn sie Fleisch als Zugabe bekommen, erhält sich die schöne rothe Farbe, während dieselbe andernfalls immer mehr ausbleicht.

Ueberaus prächtig muß der Anblick und großartig der Eindruck sein, wenn ein Reisender das Glück hat, einen Sammelplatz zu belauschen, auf welchem solche Vögel zu Hunderten, wohl gar zu Tausenden sich einfinden. Das sind natürlich nur Stellen, an denen sie sich vor jeder Verfolgung und Gefahr ganz sicher fühlen und die sie daher auch nur in solchen Gegenden ferner Welttheile finden können, welche der menschlichen Cultur noch durchaus verschlossen sind. Dort herrscht das freie Thierleben noch unbeschränkt, ungefährdet durch des Menschen Waffe. Aber nicht lange, da erscheint der Sohn Albions als gewaltiger Nimrod, dessen Jagdeifer sich über alle Welttheile erstreckt und dessen Waffen selbst bis in die fernsten Einöden reichen – ein erster Repräsentant jener Cultur, welche dem Thierleben scharfe Grenzen vorzeichnet. Da darf man wohl mit einer gewissen Berechtigung annehmen, daß es nicht mehr gar lange dauern werde, bis es gar keine freilebenden Thiere mehr giebt. Wie bei uns Hase, Fuchs, Reh und Wildschwein, streng genommen, nur noch existiren können, wenn der Mensch sich ihrer annimmt, sie schont und hegt, so wird auch in den fernen Tropen über kurz oder lang das Pulver und Blei des Jägers selbst die furchtbarsten, wie die scheuesten Thiere mehr und mehr unter seine Herrschaft zwingen.



Zur Geschichte der Socialdemokratie.[2]
Von Franz Mehring.

4. Friedrich Engels und Karl Marx. – Der internationale Arbeiterbund.

Mit dem Tode Lassalle’s schloß das erste große Capitel in der Geschichte der deutschen Socialdemokratie. Es hat kein Gegenbild in der gesammten modernen Arbeiterbewegung. Erst als jener ebenso geniale wie gefährliche Agitator ruhmlos verblichen war, bildete sich eine europäische Socialdemokratie. Deutsche Hände pflanzten ihre Wurzel in englischen Boden, von wo aus sie nach und nach ihr wucherndes Geflecht um alle Glieder unseres Erdtheils und selbst überseeischer Welten gesponnen hat.

Man hat den großen Arbeiterbund aller Völker, welcher die „internationale Arbeiterassociation“ oder gemeinhin die „Internationale“ genannt wird, wohl als die jüngste und zukunftsreichste Großmacht gekennzeichnet. Und so, wie er gedacht ist, als eine millionen- und aber millionenköpfige Phalanx der Handarbeiter, die, beseelt von einem Herzschlage, mit der erbarmungslosen Unwiderstehlichkeit einer Naturgewalt alle Höhen und Tiefen der modernen Cultur zu einer gleichmäßigen Fläche einebnen soll, würde er allerdings eine furchtbare Kraft darstellen, welcher dauernd keine irdische Gewalt zu widerstehen vermöchte.

Es ist viel gestritten worden, wer diesen unstreitig stärksten aller revolutionären Gedanken des neunzehnten Jahrhunderts

  1. In die kaiserl. Thiersammlung zu Schönbrunn waren kürzlich gegen 200 Köpfe zugleich gelangt.
  2. Die wider Erwarten langsam von statten gegangene Genesung unseres geschätzten Mitarbeiters Franz Mehring (vergl. „Zur Beachtung“ in „Blätter und Blüthen“ von Nr. 33, 1879) setzt uns erst heute in den Stand, den Faden der in Nr. 17, 21 und 25 vorigen Jahrgangs begonnenen Artikelreihe „Zur Geschichte der Socialdemokratie“ wieder aufzunehmen. Die unter dieser Ueberschrift gekennzeichneten Bewegungen gehören leider, wie verschiedene neuere Vorgänge zur Genüge herausgestellt haben noch immer in das Gebiet der brennenden tagesgeschichtlichen Fragen, und es bleibt auch ferner dringend geboten, die Augen offen zu halten und angesichts der Gefahr den Feind zu studiren. Es dürfte somit die Fortsetzung der vor einem halben Jahre mit so großem Interesse aufgenommenen Aufsätze auch heute noch unsere Leser lebhaft fesseln.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_110.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)