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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Strecken angrenzende Neckarvorland dient zu Lagerplätzen, und ist durch Schienengeleise mit dem Centralgüterbahnhof verbunden.

Der Rheinhafen, die vierte Abtheilung, umfaßt die rechtsseitige Stromhälfte von der Rheinbrücke bis zur Ausmündung des großen Hafencanals. Die der Brücke zunächst gelegene Strecke, etwa ein Drittel des Ganzen, dient den Dampfern, welche in regelmäßigen Fahrten den Eilgutdienst zwischen hier und Rotterdam vermitteln. Jede Dampfschifffahrtsgesellschaft hat dort ihre besondere Güterhalle, sodaß jederzeit Ein- und Ausladung ermöglicht ist. Nacht- und Sonntagsarbeit ist nicht ausgeschlossen. Die übrige Strecke dieser Hafenabtheilung ist für Flöße bestimmt, welche vom Oberrhein kommen und, wenn ein Umbau nicht erforderlich, dort anlegen müssen, um nach den Bestimmungen der Rheinschifffahrtspolizei und Flußordnung bezüglich der Festigkeit ihres Baues untersucht zu werden.

Der Floßhafen bildet die fünfte Abtheilung, ein Stück Altrhein, welches in Folge der Neckarcorrection speciell für den Floßholzverkehr abgegrenzt werden konnte. Der Hafen ist circa fünf Kilometer lang, an seiner Einmündung gegen den Neckar mit einer massiven Schleuße versehen und durch seine Ausmündung mit dem Rhein in Verbindung gesetzt. Dort, und zwar in der Holzmarktstrecke, finden zunächst jene Flöße aus dem Neckar und obern Rheinthal Aufnahme, welche hier verkauft, im übrigen Theile des Hafens jene, welche zu sogenannten Holländerflößen umgebaut werden oder aber hier überwintern sollen.

Längs der Holzmarktstrecke wird gegenwärtig auf dem linken Ufer dieses Hafens ein Bahngeleis der hessischen Ludwigsbahn – Linie von Mannheim nach Frankfurt – hergestellt, und wird sehr bald die Verladung der Hölzer ermöglicht sein, welche per Bahn weiter gehen sollen. Zwischen der Bahn und der Holzmarktstrecke ist ein größeres Gelände vorhanden, das sich namentlich für Herstellung von Dampfsägemühlen eignen würde, welche durch Seitengeleise mit der Bahn verbunden werden könnten.

Die Zahl der im Jahre 1878 in Mannheim angekommenen Flöße beträgt 673, jene der umgebauten 150; überwintert haben 46,942 Stämme, und das Gesammtgewicht des Floßholzverkehrs pro 1878 ist zu 2,877,607 Centner berechnet. Die Benutzung des Floßhafens ist dabei eine vollständig gebührenfreie.

Der Verbindungscanal, die sechste Abtheilung, ist im Jahre 1876 begonnen und hat erst im vorigen Jahre als Abschluß der Mannheimer Hafenbauten seine Vollendung gefunden. Derselbe ist 950 Meter lang und 60 Meter breit. Um ihn herzustellen, mußten 470,000 Cubikmeter Material ausgehoben werden, womit der frühere Zufahrtscanal nach dem alten Zollhafen ausgefüllt wurde. Das so gewonnene Gelände ist zur Stadterweiterung bestimmt.

Der Verbindungscanal dient in erster Linie zum Uebergang der Schiffe vom Rhein in den Neckar und umgekehrt, sodann als Winterhafen. Es war ein glücklicher Gedanke der badischen Finanzverwaltung, dieses Werk herstellen zu lassen, denn abgesehen davon, daß die gewonnenen Bauplätze den Kostenaufwand voraussichtlich decken werden, ist der Canal von ganz hervorragendem Nutzen für den Speditionshandel sowie für verschiedene Branchen des Großhandels und der Industrie von Mannheim. Derselbe hat nämlich seiner ganzen Länge nach beiderseits Vorländereien, welche 40 Meter breit, mit je zwei Bahngeleisen versehen und mit dem Centralgüterbahnhofe in Verbindung gesetzt sind. Dieses Gelände wird 20 bis 25 Jahre an solche Unternehmungen als Lagerplätze abgegeben, welche mit dem Bahn- und Hafenverkehr in näherer Verbindung stehen; auch wird gestattet, dort Waarenmagazine, Bureaux und selbst gewerbliche Etablissements herzustellen. Wasserweg und Schienenstrang auf der einen Seite, gute Zufahrtsstraßen auf der andern ermöglichen Bezüge und Versendungen mit geringstem Kostenaufwand und lassen die Lage der in Frage stehenden Lager- beziehungsweise Bauplätze so günstig erscheinen, wie sie kaum irgendwo geboten sein dürfte: das Flächenmaß dieser Vorländereien beträgt circa 50,000 Quadratmeter, wovon bis jetzt ungefähr ein Viertel vergeben ist. Ueber den Canal führen drei Brücken, wovon zwei für den Land- und die dritte für den Bahnverkehr bestimmt sind. Der Kostenaufwand für das ganze Werk beträgt 1,200,000 Mark.

Das sind Mannheims Hafenanstalten; sie sind nicht allein schön, sondern auch zweckmäßig, und ihre Benutzung ist – was man wohl von keinem anderen Hafen sagen kann – vollständig gebührenfrei. In welchem Maße sie zur Vermehrung des Verkehrs beitragen, ist aus dem Umstande zu erkennen, daß der Mannheimer Gesammthafenverkehr, welcher während der Schwindelperiode die Ziffer von 15 Millionen kaum erreichte und 1874 sogar nur wenig über 13 Millionen Centner betrug, trotz der Ungunst der Zeiten im Jahre 1878 auf 17,817,962 Centner und die Zahl der beladen in Mannheim angekommenen oder von dort abgegangenen Schiffe auf 2882 gestiegen ist.

Möge ein günstiger Stern über dem Mannheimer Hafen walten!




Blätter und Blüthen.


Die Insel Juist. (Mit Abbildungen S. 132 und 133.) Der Reisende, welcher vom Fährhaus am Norddeich (im ostfriesischen Amte Norden) kommend, nach etwa anderthalbstündiger Ueberfahrt die Insel Juist vor sich sieht, glaubt eine der schönsten Gebirgsketten zu erblicken.

Es ist dies die zehn bis zwanzig Meter hohe Dünenreihe, welche sich vom Osten nach dem Norden der Insel hinzieht und derselben gegen die Sturmfluthen der Nordsee reichlichen Schutz gewährt. Die Juister Dünen zeichnen sich vor allen anderen der Nordsee durch ein Ueberwiegen scharfer, zackiger und felsgratähnlicher Contouren aus, deren malerischer Reiz zur vollsten Wirkung kommt, wenn die Sonne ihre grellen Strahlen auf die großen weißen Sandflächen wirft und die interessantesten Beleuchtungen hervorzaubert. Lagert sich nach solchen Lichtwirkungen eine dichte schwarze Wolkenschicht vor die Sonne, so werden die noch eben grell beschienenen weißen Sandflächen in ein sammetartiges Dunkel gehüllt.

Zur Erhaltung der Dünen wird auf denselben von Seiten der Regierung Sandhaargras gepflanzt, welches allein im Stande ist, dem angehäuften Flugsande Halt zu gewähren. Das sogenannte „Wandern“ der Dünen kann man genau beobachten; setzt man sich z. B., wie ich that, auf eine Düne, um zu zeichnen, und legt Zeichenkasten oder sonstige Utensilien neben sich in den Sand, so wird man bei auch nur geringem Winde nach ganz kurzer Zeit bemerken, wie die Sachen allmählich von dem Sande begraben werden. Bei genauerer Betrachtung der Sandfläche sieht man Millionen Sandkörner, vom Winde getrieben, in steter Bewegung nach dem Innern der Insel rieseln oder sich über einander ansetzen. Lange jedoch kann man eine solche Beobachtung nicht aushalten, denn das grelle Licht und das fortwährende Bewegen des Sandes greifen das Auge an. Sprach ich mit der Unkenntniß eines Festlandbewohners die Befürchtung aus, es werden die Dünen allmählich verweht oder weggespült werden, so erhielt ich von den Insulanern die beruhigende Antwort: was das Meer auf der einen Seite wegspüle, setze es auf der andern wieder an.

Da auch der übrige Boden der Insel fast nur aus lockerem Seesande besteht, so ist er im Ganzen höchst unfruchtbar. Hin und wieder findet man freilich etwas lehmigen Boden, auf welchem man sofort Culturversuche angestellt hat, indem man die betreffende Stelle mit einem vier bis fünf Fuß hohen Damm umzogen (um Wind oder Springfluth abzuhalten) und selbige noch mit etwas Dünger gefüllt hat. Darauf pflanzt man Kartoffeln, Bohnen und Kohl; im Uebrigen muß die Nahrung der Juister vom Festlande bezogen werden; es ist aber bei heftigem Sturm und Eisgang vorgekommen, daß die Juister zwölf Wochen von jeglichem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen waren. Die Insel besteht aus zwei Theilen, deren Verbindung von Regierungswegen künstlich erhalten wird. Der kleinere westliche Theil, „Bill“ genannt, ist der fruchtbarere und war auch früher der bewohntere. Jetzt steht nur ein Haus und ein Schuppen mit Material für Rettungszwecke dort, während die Einwohner sich auf der weniger gefährdeten Ostseite in zwei Häusergruppen, dem Loog (nur fünf Häuser) und dem Ostdorf, niedergelassen haben.

Das Dorf mit seinen einander ziemlich gleichenden Häusern macht einen freundlichen Eindruck und ist deshalb für die Ostfriesen ein beliebter Badeort, der jährlich etwa 150 Gäste auf der Insel versammelt; die Ankömmlinge werden zu Wagen vom Schiffe eingeholt. Juist ist Telegraphenstation; die Postverbindung besorgt das (Post-)Fährschiff. Die Zimmer sind gemüthlich eingerichtet und sauber und reinlich gehalten. Nach ostfriesischer Bauart ist die Zimmerdecke aus Brettern gefugt und dunkel angestrichen. Statt Bettstellen hat man die Schlafstellen in der Wand (wie auf dem Schiff) und nennt sie deshalb auch „Kojen“; am Tage sind sie mit Gardinen verhangen. Keller giebt es nicht. Zum Feuern wird nur Torf genommen, welcher auch vom Festlande herüber geschafft werden muß. Vor dem Hause hat man gewöhnlich einen sogenannten Garten, mehrere Quadratmeter groß und mit einigen Blumen, wie Malve, Georgine oder Reseda bepflanzt. Da man auch zwischen den einzelnen Häusern (von Straßen kann man kaum reden) bis an die Knöchel in den Sand einsinkt, so sind zur Erleichterung der Passage Ziegelsteine von einem Hause zum anderen gelegt.

Die Häuser findet man häufig mit Resten von gestrandeten Schiffen decorirt, über der Thür vielleicht das Namenbrett eines gestrandeten Schiffes, welches an’s Land gespült wurde, vor dem Hause einen verrosteten Böller oder aus Schiffsplanken und Rippen gezimmerte kleine Buden und Ställe. Am Strande sieht man, bei niedrigem Wasserstande, nicht wenig Ueberreste gestrandeter Schiffe; aber Strandräuber sind die Juister nicht mehr, wie die von Heinrich Kruse so hübsch dargestellte Anekdote (Jahrg. 1879, Nr. 13) sie zeichnet; sie begnügen sich bei Schiffsunfällen mit ihrem Bergelohn.

Die Kirche, welche unter dem Wandel des Terrains bereits zum vierten Mal (?) ihre Stelle hat wechseln müssen, entbehrt jeden Schmuckes. Den Glockenthurm muß ein hölzernes Gerüst (jedenfalls aus Schiffsrippen zusammengefügt) ersetzen. Rings um die Kirche liegt der Friedhof der Juister. An manchem Kreuz oder Pfahl liest man: „Unbekannter, wurde – dann und dann – angetrieben“. Die Bewohner sind echte Friesen mit rauhem Aeußeren, wettergebräuntem Gesicht und klarem Auge, gegen Fremde im Anfang etwas wortkarg, jedoch sobald sie wissen, mit wem sie es zu thun haben, desto zuvorkommender und freundlicher. Selten wird Nachts eine Hausthür verschlossen, da man Diebstahl und Betrug nicht kennt, ebenso wenig Betteln.

Die Männer, in der Jugend meist Matrosen und später Fischer und besonders gerühmte Robbenjäger, kehren, soweit sie im Sommer auswärts thätig waren, aus Liebe zur Heimath gern im Herbst heim, und den ersten Sonntag nach der Ankunft benutzt jeder, um zur Kirche zu gehen. Sämmtliche Juister sind evangelisch-lutherisch und halten streng am alten Glauben fest.

Die Insel hat auch ihre Geschichte. Unter Drusus waren die Römer dort; am Anfang dieses Jahrhunderts war die Kirche eine französische Befestigung, und die Gemeinde entbehrte des öffentlichen Gottesdienstes und verarmte, während sie früher für reich galt.

Fr. Schr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_135.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)