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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Unter großstädtischen – Sie haben Recht. Es ist eine ganz andere Welt, die ihren unwiderstehlichen Reiz hat. Man geht in ihr unter; man löst sich in ihr auf; man fühlt sich hinweggetragen, mitgerissen, betäubt und kommt in dem Brausen des Katarakts nicht zur Besinnung.“

„Ganz, was ich immer sage, Baronin. Ein Traum, ein Rausch, ein Wirbel! Eine ganz andere Luft umgiebt einen hier; es geht in alle Nerven; das Blut fließt lebhafter. Man ist so heiter, so unternehmend, so aufgelegt zu allen Tollheiten, als ob man moussirenden Nektar getrunken hätte. Man lebt nur hier!“

Das war es nun freilich nicht, was sie gemeint. Ob sie ihn aber aus seinem Irrthum reißen sollte, in welchem er so freudig ihr zugestimmt? Verlohnte es der Mühe? Sie war des Sprechens müde – einzig und allein aus dem Grunde, wie sie meinte, weil sie ja doch Beide von so verschiedener, unvereinbarer Auffassung ausgingen.

„Sie haben allerdings da manches versäumte Jahr nachzuholen. Und das muß in Wochen nun geschehen,“ äußerte sie matt.

„Um so rascher muß ich darangehen,“ lachte er.

„Sie haben sich eine günstige Zeit dazu gewählt. Die Gallerien bieten jetzt die hübschesten Ausstellungen; die Saison der Concerte rückt heran; die Theater –“

„Um Bilder kümmere ich mich nicht; ich verstehe nichts davon,“ erklärte er offen. „Von Theater und Musik auch nicht viel. Ein lustiges Stück ist mir am liebsten, und über Tanzmusik geht mir nichts. Aber dafür giebt's Bälle im Carneval.“

„Richtig, Sie tanzen gern.“

„Und Sie, Baronin, nicht mehr?“

„O ja – ja doch!“

Noch versicherte er, wie schade es wäre, wenn sie es aufgäbe. Sie wäre eine so ausgezeichnete Tänzerin gewesen. Ihre Antworten wurden immer einsilbiger; das Gespräch schlief allmählich ein. Sie war in Gedanken schon lange nicht mehr dabei. Kein Wunder, daß sie den Faden verlor. Ihr Sinnen hatte eine ganz andere Richtung angenommen.

Wie seltsam! War denn das derselbe Held und Halbgott, für den sie einst so schwärmerische Leidenschaft empfunden? Noch waren es dieselben hübschen, ansprechenden Züge, die weißen zierlichen Zähne zwischen den frischlachenden Lippen; noch war es dieselbe elegante Gestalt in der goldglänzenden, ihm so wohl zu Gesicht stehenden knappen Uniform, dasselbe tadellos gescheitelte Haar, der wohlgepflegte Schnurrbart, mit dem sich die Hand so gern zu schaffen machte. Noch war er derselbe kühne Reiter und passionirte Tänzer mit denselben Lebensanschauungen, und doch dünkte er ihr wieder ein ganz Anderer. Oder was war es sonst, das ihr so kühle, gleichgültige Worte soufflirte gegen ihn, den sie in stürmisch auflebender Empfindung – noch war es keine Stunde her – mit den hochklingenden, inbrünstigen Geständnissen ihres wiedergelesenen Tagebuchs „ihre Seele, ihren Gedanken, ihren Geliebten“ genannt? Wo waren all die glühenden Worte geblieben, die sie ihm zugerufen? Selbst das rührende Bild von der rothen und weißen Rose, die der Mond bescheint, das ihr bei aller Uebertreibung doch nicht so ganz poesielos erschienen, zerfloß jetzt, sechszig Minuten später, in recht reale Alltäglichkeit. Die rothe und weiße Rose lagen nicht auf einem Schlachtfelde; sie saßen in wohldurchwärmtem, behaglichem Plauderwinkel auf modernen Sammtpolstern in gesellschaftsüblicher Visite einander stets und wortarm gegenüber. Ach, die Welt ist eine große Lüge!

Auch bei ihm waren neben der fließenden Rede Gedanken anderer Art hergelaufen und hatten, seit das Gespräch stockte, noch mehr an Bestimmtheit gewonnen, nur in entgegengesetzter Richtung zu den ihrigen.

Sein Blick hing an den Schönheitslinien dieses blassen Angesichtes, und als die Lider sich endlich wieder hoben und ihr Auge dem seinen begegnete, da schwand das blitzgleich um seinen Mund zuckende siegesmuthige Lächeln.

„Nein,“ sagte er, sich rasch erhebend. „Wir können nicht so weiter Komödie spielen, als hätten wir einander vergessen und müßten uns erst darauf besinnen, wo wir uns denn schon früher einmal gesehen. Wir täuschen uns gegenseitig nicht, Elise.“

Nun war sie doch erschrocken. Wie der Klang ihres Namens, von ihm gesprochen, sie durchzuckte! Ihre Füße glitten von der Chaiselongue auf den Teppich herab, eine flüchtige Blutwelle trat ihr in die Wangen, und die Hand führte in augenblicklicher Rathlosigkeit das Spitzentuch an die Lippen. Doch war sie sogleich wieder ihrer Bewegung Herr und fragte mit leiser Mißbilligung:

„Muß das sein?“

„Haben Sie denn erwartet, ich würde hier eine halbe Stunde mit dem gewöhnlichen Salongeplauder verbringen und, nachdem ich um den nächsten Cotillon gebeten, mich höflich empfehlen? Sie haben sich mir gestern auf dem Balle in so geschickter Weise entzogen, daß ich kein einziges Wort unbelauscht mit Ihnen sprechen konnte. Fast die ganze Zeit verblieben Sie in Ihrer Loge, und an einen Tanz war nicht zu denken. Aber in Ihren Augen hatte ich gelesen, als Sie mich so unvorbereitet vor sich stehen sahen. Absichtlich hatte ich es vermieden, selbst Richard früher zu begegnen, damit er meine Ankunft nicht verrathe, weil ich mir die Ueberraschung nicht nehmen lassen wollte. Ich mußte erfahren, ob die Vergangenheit bei Ihnen denn ganz ausgelöscht sei. – Sie ist es nicht.“

„Nein. Aber die Vergangenheit ist doch nicht die Gegenwart,“ versetzte sie mit sanftem Kopfschütteln. Warum vermochte sie jetzt nicht zu ihm aufzublicken, warum schlug ihr Herz so unruhig?

Er stand unmittelbar vor ihr; seine Hand lag auf der hohen Rücklehne der Chaiselongue. Leicht zu ihr niedergebeugt und in bewegtem Tone, den er nicht ganz zu beherrschen vermochte, sagte er:

„Sollte sie nicht wieder heraufzuzaubern sein? Was haben Sie für eine Antwort auf meine gestrige Frage?“

Sie neigte sich weiter auf Frip herab, um ihr Antlitz zu verbergen.

„Ihre Frage?“ wiederholte sie, nur um Zeit zu gewinnen.

Er aber vermeinte den Ton der Verwunderung zu hören, und seine Stimme, so zuversichtlich sie bisher bei aller Gedämpftheit geklungen, verrieth nun seine Bestürzung.

„Nun ja, das Bouquet,“ erklärte er hastig. „Das Billet vielmehr, das ich in Ihrem Bouquet verbarg. Mein Gott, Sie haben es doch gefunden?“

Ernst und tadelnd erhob Baronin Lisa jetzt ihr Auge, dennoch blitzte es beim Anblicke seiner verlegen besorgten Miene fast schelmisch in demselben auf.

„Wenn ich es nun nicht gefunden hätte?“ fragte sie strafend entgegen.

„Gottlob! Sie haben es. Es ist nicht in unrechte Hände gekommen.“ Er athmete hoch auf.

„Wie, wenn Sie zur Verantwortung gezogen worden wären?“

„Bah!“ warf er sich mit trotzigem Lächeln in die Brust. „Vor einem Rencontre erschrecke ich nicht. Mir war es einzig Ihretwegen.“

„Jedenfalls ist das leichtsinnige Heraufbeschwören der Gefahr eines Skandals eine sehr fragliche Art, mir Ihre Freundschaft zu erweisen. Was verdienen Sie dafür?“

„Ihre Verzeihung,“ antwortete er auf die ironisch klingende Frage, wobei jedoch die Reue des Bußfertigen nicht sonderlich tief ging, wie der übermüthige Beisatz zeigte. „Ja, wer immer an die Folgen denken wollte, käme nie zu einer frischen Attake.“

„Und für eine solche sehen Sie wohl die meisten Unternehmungen im Leben an?“

„Dafür bin ich Husar.“

Sie konnte sich einer bitteren Empfindung nicht erwehren. Die leichtfertige bramarbasirende Antwort auf ihre sarkastische Bemerkung hatte etwas tief Demüthigendes für sie, das er seinerseits nicht einmal bemerkte. Auch jene Brautwerbung war wohl nur „eine frische Attake“ gewesen, die, zufällig abgeschlagen, bei günstigerer Gelegenheit vielleicht wieder einmal erneuert werden konnte. Wie beschämend! Und dennoch war etwas in diesem jugendfrischen verwegenen Lebensmuthe, in dieser gutmüthig offenen Art, was der Dreistigkeit den Stachel benahm, bestechend wirkte und die Zürnende entwaffnete. Es geschah daher auch mehr im Tone wohlwollender Mahnung, als scharfer Zurechtweisung, da sie mißbilligend sagte:

„Sie vergessen, daß ich verheirathet bin.“

„Aber keineswegs!“ fiel er lebhaft ein. „Das ist es ja eben, was ich nicht vergessen kann, was mich wurmt und mich zeitweise zum Tollwerden hätte bringen können. 'Ich habe sie

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