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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Träumerei; in der Thür stand die Hünengestalt des Försters B., sechs Fuß hoch, halb so breit.

„Wollen Sie mit nach Ribnitz?“ fragte er.

„Gewiß, gern!“

„Dann machen Sie sich bald fertig! Ich lasse inzwischen anspannen.“

Daß der Alte etwas vorhatte, konnte ich schon aus dem gestern erfolgten scharfen Beschlagen der Pferde entnehmen.

„Soll es auf dem Eise nach Ribnitz gehen?“ fragte ich zehn Minuten später, nicht ohne heimliche Beklemmung, als wir lustig der „Hundebeck“, einer tiefen Einbuchtung der Binnensee, zutrabten.

„Na, gewiß!“ lachte der Förster, „Sie haben doch nicht Bange?“

„Unter Ihrer Obhut wohl nicht; Sie wollen freilich bedenken, daß mir dieses Leben und Treiben gänzlich neu ist. Den Kukuk auch, das Wasser hat keine Balken.“

„Aber das Eis! Nur keine Sorge – es hält.“

Die Pferde scheuten schnaubend mit zurückgelegten Ohren vor der spiegelblanken Fläche und waren erst nach vieler Mühe und begütigendem Zureden hinauf zu bringen, und ängstlich und widerstrebend trippelten sie vorwärts; als sie der Förster aber kurz in die Leinen nahm und mit der Peitsche energisch bedrohte, faßten sie Muth, und kaum hatten sie sich von der durch die scharfen Eisen bewirkten Sicherheit ihres Trittes überzeugt, als sie selbst Freude über die spiegelblanke Bahn empfanden und munter lostrabten. Freilich zuckten sie zusammen, und, offen gestanden, ich zuckte auch zusammen, als das Eis wie einzelne Kanonenschläge knallte, aber die Pferde beruhigten sich bald wieder, und mein Führer belehrte mich, daß gerade in diesem Krachen der Eisdecke die sicherste Bürgschaft für ihre Haltbarkeit läge.

Wir waren eine gute Strecke gefahren, wobei der von unserm Ziele her uns entgegen wehende Wind, geschärft durch die schnelle Fahrt, wie mit Messern uns in's Gesicht schnitt, als ich in der Ferne Segel gewahrte, welche sich uns mit reißender Schnelligkeit näherten. Ich sah und sah – aber es war richtig und blieb dabei; ich dachte an eine Fata Morgana, eine Vision, an den fliegenden Holländer – überall Eis und dazu ein Segelboot?!

„Herr Förster, um Alles in der Welt, erklären Sie mir jenes Phänomen! Ich sehe doch keine Wasserstraße. Wer oder was treibt mit so rasender Schnelligkeit jenes Segelfahrzeug uns entgegen?“

Er sah mich mit fast mitleidigen Augen an.

„Mein Gott, Herr Forstcandidat, das ist ein Segelschlitten, und zwar der Postschlitten – doch nachher davon! Jetzt heißt es, scharf aufpassen, damit er uns nicht überfährt.“

Wie ein Sturmwind brauste es heran.

„Goden Morgen ok, Herr Förster!“ grüßte der Steuermann.

„Goden Morgen, Niemann!“ dankte der Förster, „bringt mi doch –

Eitles Unternehmen, diese Bestellung! Niemann war auf dem Fahrzeuge nur noch als Punkt zu erkennen.

„Haben Sie denn noch nie von einem Segelschlitten gehört?“ fragte verwundert der Förster, „sie sind doch allgemein im Gebrauch.“

„Hier und in ähnlichen Gegenden mag das wohl sein, im Binnenlande aber – und Sie müssen bedenken, daß ich schnurstracks vom Thüringerwalde komme – kennt kaum Jemand diese herrliche Erfindung auch nur dem Namen nach; bitte, erklären Sie mir die Construction dieses Segelschlittens!“

„Das ist bald geschehen; auch werden Sie noch Gelegenheit genug haben, ihn selbst zu betrachten und zu benutzen. – Der Segelschlitten ist fast wie ein Boot gebaut, nur etwas rundlicher, mit niedrigeren, weniger ausgeschweiften Wänden, und dieser Bau, fast einer 'Waschbütte' ähnlich, steht auf zwei starken eisernen Schlittenkufen. Die Takelage besteht, wie bei einem Segelboot, aus einem, manchmal sogar aus zwei Masten nebst den nothwendigen Segeln; der merkwürdigste und unentbehrlichste Theil desselben ist aber das Steuer, welches aus einem drei bis vier Fuß langen, etwa handbreiten und fingerdicken, mit scharfen Zähnen versehenen, in einem Charnier laufenden Eisen besteht und durch Eindrücken in das Eis theils zum Anhalten, theils zu Wendungen dient; denn Sie müssen wissen, daß man mit einem solchen Schlitten sogar windan kreuzen kann, wie mit einem Segelboot; liefe er nur vor dem Winde, so wäre seine Benutzung natürlich eine sehr bedingte. So einfach die ganze Vorrichtung aussieht, so viel Umsicht und Erfahrung erfordert ihre Bedienung; namentlich während des Kreuzens, beim Wenden der Segel ist die größte Vorsicht nöthig, ebenso in geradem Lauf bei unruhigem Winde, denn gar leicht schlägt der Schlitten um, und wehe dann den Insassen! Herr Candidat, in meinem Leben vergesse ich eine Fahrt auf solchem Schlitten nicht, den ein noch junger, unerfahrener Steuermann führte. Sehen Sie dort den Vorsprung des Strandes? Da war es. Wir kamen vor dem Winde dahergesaust und mußten dort aufkreuzen, um nach Ahrenshoop zu kommen; 'Steffen,' sage ich, 'nehmt Euch auf der Ecke in Acht und hemmt rechtzeitig den Schlitten!' Aber er wollte es besser wissen und blieb in voller Fahrt; nur noch wenige Minuten – da lag die Bescheerung um, und, ich sage Ihnen, hundert Schritt und weiter glitschten wir sitzlings dahin; mir waren alle Glieder lahm, und doch – Thränen habe ich geweint – nein – gelacht. Im Schlitten hatten vier Matrosenweiber mit ihrem Marktkauf gesessen: hätten Sie die Fahrt dieser Weiber über das Eis und ihre Posituren gesehen, das Geschrei angehört und hinterher das Schimpfen – es war zum Todtlachen. Jede behauptete einen Arm oder Fuß gebrochen oder wenigstens verstaucht zu haben, und Jede mußte an den wieder aufgerichteten Schlitten wie ein eigensinniges Kind gegängelt werden. Zum Glück hatte sich Keine ernstlich Schaden gethan. Als wir glücklich die Weibsleute geborgen, lag noch hier ein Beutel mit Salz, dort ein Stück Fleisch; eine Büchse mit Kaffee war mindestens fünfhundert Schritt dahingerollt und wurde nach langer Umschau in dieser Entfernung nur zufällig entdeckt.“

„Ich dachte mir das Eis aber belebter; bei mir zu Hause würden Hunderte von Schlittschuhläufern die herrliche Bahn benutzen.“

„Sie müssen bedenken, daß man hier zu Lande das Schlittschuhlaufen nicht als Vergnügen, sondern zur Arbeit betreibt, zum Erwerbe; in der Woche werden Sie daher mehr Leben hier finden, als heut, am Tage des Herrn, wo Jeder gern nach schwerer Wochenarbeit ruht; allerdings macht man auch am Sonntage Vergnügungsreisen über das Eis, wenngleich die kleinen Gesellschaften auf der großen Fläche weniger in's Auge fallen – irre ich nicht, so kommt dort gleich eine Gruppe uns entgegen, die sich nicht arbeitshalber auf's Eis gewagt hat.“

Vorn auf einem kleinen länglichen Schlitten saßen nach rückwärts gewendet zwei Personen, so eingemummt, daß man einen Mann und eine Frau nur vermuthen konnte, auf dem hintern Ende des Schlittens aber stand, der Fahrt zugewendet, ein langer Mensch, der mit einer noch längeren Stange, die er zwischen den Beinen durchgesteckt hatte, ihn sehr schnell vorwärts trieb.

„Das nennt man 'Peeken',“ erläuterte der Förster, „es ist eine sehr beliebte Art Schlittenfahrt.“

„Und eine jedenfalls sehr einfache und leichte?“

„Ja und nein. Wer es ordentlich versteht, dem ist das Abstoßen der langen Peekstange freilich nicht schwer; wer es nicht versteht, mag sich seine Rückseite verstählen lassen; denn glauben Sie mir – man fällt eben nicht sanft, wenn man mit der Stange abgleitet, und das passirt Anfängern öfter, als ihnen lieb ist. Ein Uebelstand, ja eine lebensgefährliche Sache ist das schwierige Anhalten des Schlittens bei voller Fahrt, besonders wenn das Eis nicht überall mehr dicht ist und der Peeker gefährliche Stellen zu spät gewahr wird. Im vorigen Jahre fuhr ein armer Teufel auf dem Peekschlitten einen Hammel nach der Stadt, um ihn zu verkaufen; das Eis war schon von offenen Stellen durchbrochen; hatte der Mann nun nicht ordentlich aufgepaßt – kurz, plötzlich sieht er kaum fünfzig Schritt vor sich das offene Wasser; er hatte noch die Geistesgegenwart, sich schnell vom Schlitten herabzuwerfen, doch über diesen mitsammt dem armen Hammel schlug einen Augenblick später die Fluth auf Nimmerwiedersehen zusammen.“

Noch wenige Minuten, und wir waren an Ort und Stelle, wo ein heißer Grog unsere etwas starr gewordenen Lebensgeister wohlthätig erwärmte.

Förster B. hatte Recht: an den Wochentagen war das Eis stets belebt, freilich nicht Kopf an Kopf wie auf der Eisbahn einer großen Stadt, aber geschäftige Menschen sah man stets,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)