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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


die meisten auf Schlittschuhen; Lasten wurden gepeekt, auf Segelschlitten transportirt; Frauen ließen sich auf Stuhlschlitten an ihr Ziel schieben; mit Pferden bespannte Schlitten brachten größere Vorräthe von Brod, Mehl, Salz u. dergl. m. in die Stranddörfer – kurz: Alles hastete auf eisernem Schuh bunt durch einander. Daneben gehörten Schlittenscenen wie die vom Maler auf der beigegebenen Illustration dargestellte Begegnung, nicht zu den Seltenheiten.

Daß dieses rege Leben und Treiben auf dem Eise mein ganzes Interesse gewann, war selbstverständlich; deshalb lugte ich umher, so viel ich Muße hatte, und so fielen mir eines Nachmittags zwei mit Säcken bepackte, in rapider Hast daher stürmende Schlittschuhläufer auf, welche ein Segelschlitten in voller Fahrt offenbar verfolgte. Die Männer leisteten unter ihrer schweren Last das Aeußerste; es waren, wie ich nicht mit Unrecht vermuthete, Salzschmuggler, auf welche das durch die Regierungsflagge als Zollschlitten gekennzeichnete Fahrzeug scharfe Jagd machte; mehr und mehr näherte es sich ihnen; schon schienen sie dem Arm der Zöllner verfallen, als sie nach verschiedenen Seiten aus einander stoben, und der Schlitten zwischen ihnen durchbrauste; schnell wurden dessen Segel gestellt, und die Hatze begann von Neuem; wieder war der Schlitten dicht hinter ihnen; wiederum retteten sie sich durch dieselbe Finte. Da fiel der Eine – ob von der Last niedergedrückt, ob von lose gewordenem Schlittschuh gefällt, konnte ich nicht sehen; im Nu waren die Beamten hinter ihm drein, natürlich auch auf Schlittschuhen, plötzlich aber raffte er sich wieder auf und rannte, seinen Sack zurücklassend, spornstreichs davon. Der Andere hatte den Strand erreicht, die Schlittschuhe abgeknüpft und verschwand in der Dunkelheit – ebenso, in der Richtung nach seiner Station, der Zollschlitten mit dem erbeuteten Sack.

In dieser Zeit hatten, wie ich erfuhr, die Zollbeamten einen harten Dienst, denn es wurde viel das in Preußen so theure Salz von Mecklenburg eingeschmuggelt, wo es erheblich billiger war. Nicht minder aber fanden holzbedürftige Bewohner entfernter Dörfer, daß gestohlenes Holz sich ebenso leicht, ja noch leichter, weil billiger, als gekauftes peeken ließ, und so glitt denn unter dem Deckmantel der Nacht manches Stößchen trockener Reiser, trotz der Wachsamkeit der Forstbeamten, schleunigem Verbrennungsproceß entgegen.

Der Winter hatte sein überaus hartes Regiment Mensch und Thier zur übervollen Genüge empfinden lassen, und obgleich der März schon in's Land gekommen war, schienen alle Frühlingshoffnungen eitel Illusionen bleiben zu sollen. – Deshalb war auch die von der Försterfamilie längst geplante Reise zu Segelschlitten nach Ribnitz von Woche zu Woche verschoben worden; bald kam die Wäsche dazwischen, bald Schweine- und Gänseschlachten, und wenn die nächste Woche auch ganz bestimmt zu der Reise ausersehen war, da gewisse Einkäufe sich immer dringender nothwendig machten – stets kam Etwas in die Quere.

Da stieg auf einmal das Thermometer; der Wind schlug um, und sein hohles, „ahnungsvolles Brausen“ kündigte dem Eisthyrannen ernste Fehde an; ein warmer Regen fiel; Schnee und Eis überzogen sich mit grauer Farbe, dem sicheren Vorboten ihres baldigen Endes, und wer noch die Eisbahn benutzen wollte, hatte sich zu beeilen. Nun war wieder ein Stein des Anstoßes da: die Frau Försterin fürchtete sich vor dem morschen Eise, und es wäre vor allen „Wenn“ und „Aber“ sicherlich nicht zur Fahrt gekommen, wenn nicht eine dringende, kaum abzulehnende Einladung nach Ribnitz, die sich auch auf mich erstreckte, allem Zaudern ein glückliches Ende gemacht hätte. Klaassen, der sicherste aller Segelschlittenlenker, wurde zur Berathung bestellt, und nachdem er wohl zehnmal der Frau Försterin eidlich versichert hatte, das Eis hielte noch, wurde die Fahrt unabänderlich festgesetzt.

Unsere Reisegesellschaft bestand aus acht Personen, außer Klaassen, dem Steuermanne, und seinen beiden Söhnen als Gehülfen; nicht ohne Hin- und Herreden, wo und wie man am geschütztesten säße, kam man endlich zum Sitzen, die Damen glücklich in die langen Fußsäcke, der Förster zu seinem vergessenen Tabaksbeutel, den Jochem, der Knecht, schleunigst holen mußte; endlich war der Schlitten zum Ablaufen „klar“; die Segel füllten sich und – dahin glitt das Fahrzeug.

Aber der Wind war nicht nur ziemlich flau, sondern wehte uns auch fast in's Gesicht, sodaß gekreuzt werden mußte; dazu fing der Regen an energisch zu sprühen – kurz die Fahrt war nicht sehr erbaulich; die jungen Damen, die Töchter vom Hause, saßen stumm und in sich gekehrt; Klaassen versah seine Kauwerkzeuge mit immer größeren Primen, ja, es entspann sich sogar zwischen Vater und Mutter ein sanftes Scharmützel, daß Letztere mit der Fahrt auch gar zu lange „getöwt“ (gezaudert) hätte u. dergl.

Doch auch diese Fahrt hatte ein Ende, und bald war in den behaglichen Räumen des gastlichen Hauses in Ribnitz alle Beschwerde vergessen. Die Frauen plauderten; die Männer stritten sich über Politik oder besprachen die Aussichten auf Frachten, da sie Alle „Schiffsparten“ hatten, und was sonst zu den kleinen Leiden und Freuden des menschlichen Lebens gehört. Ich hielt mich an den guten „Rothspohn“ und die importirten Cigarren und machte meine Betrachtungen über die offenbar heftige Steigerung des Windes, welche den in lebhaftester Unterhaltung Begriffenen gänzlich zu entgehen schien.

Da klopfte es an die Thür, und das verwitterte Gesicht Klaassen's wurde sichtbar. Er mahnte dringend zur Heimfahrt; der Wind blase beinahe schon zu grob, und das Eis hätte bei Nienhagen eine „Borst“ (Riß) bekommen.

Das schien nun freilich Allen bedenklich, und man rüstete sich eiligst zum Aufbruch.

Die Kunde von dem Riß im Eise hatte der Steuermann eines nach uns eingelaufenen Schlittens unserem Klaassen gebracht und natürlich die Lage desselben genau angegeben; es handelte sich nun darum, mit dem Schlitten die Richtung des Risses rechtwinkelig zu durchschneiden, weshalb Klaassen einen etwas anderen Curs steuern mußte. Obgleich wir nur wenig mehr als halben Wind hatten, flog der Schlitten dennoch wie mit Adlersfittigen dahin, und bald war die Stelle erreicht, wo der Curs geändert werden mußte.

Klaassen hatte mit Genugthuung meine aufmerksame Beobachtung seiner Geschicklichkeit und meine Freude über solche Sturmfahrt bemerkt. Lächelnd bedeutete er mich, es solle erst recht losgehen; wenn wir vor den Wind kämen, dann wolle er mir zeigen, was ein guter Segelschlitten könne.

Auf seinen Zuruf wurden die Segel gewendet; kreischend drückte sich das Steuereisen in das Eis ein.

„Setten Se sick rittlings, Herr!“ rieth mir Klaassen; ich that es widerstrebend; da faßte der Wind die Segel, und mit rasender Eile jagte der Schlitten dahin.

„Min Gott! – Klaassen!“ stöhnte die gute Frau Försterin, „de Borst – de Borst!“

„Ach wat – de het nich Tid tau bräken.“

„Klaassen, hollen S' vor de Borst an, un unersöken S' dat Ihs!“

Ein pfiffiges Lächeln war seine Antwort.

„De Borst in Sicht!“ rief einer seiner Jungen.

„Treckt de Segels fast an!“ schrie Klaassen.

Wie ein Pfeil schoß der Schlitten heran; hochauf spritzte die Fluth aus dem Riß – wahrlich, das Eis hatte keine Zeit zum Brechen.

Die Frau Försterin athmete erleichtert auf. Klaassen lachte; der Förster zündete sich die ausgegangene Pfeife wieder an, und ich bedauerte das nahe Ende der Fahrt. Bald fiel das Hauptsegel; das Eisen kreischte im Eise, und wir waren an Ort und Stelle.

Dampf oder Wind? – Ein Courierzug neben dem Segelschlitten vor dem Winde – welcher überjagt den anderen? Ich zweifle keinen Augenblick: der letztere thut es.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)