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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


gestellte Aufgabe. Jeder giebt eben, was er hat. Der Eine läßt seine geistreichen Worte fließen, der Andere sein Blut. Es thut mir leid, wenn Sie dieses geringer schätzen als jenes. Da werden Sie es freilich als kein beachtenswerthes Verdienst ansehen, daß ich bereit war, mein Leben für Sie hinzugeben. – Sie lieben also Herrn von Lomeda?“

Es blieb still im Gemach. Einer Lüge war die Baronin nicht fähig.

Die bei Steinweg eingetretene Erkältung machte einem wärmeren Tone Platz, als er wieder näher an die Schweigende herantrat.

„Nein nein! Ich lese es auf Ihren gesenkten Lidern, auf Ihren erblaßten Wangen. Sie wehren sich vergeblich gegen Ihr eigenes Herz – es ist noch immer mein, Elise.“

„Sie rechnen – auf eine 'frische Attake'?“ ... sagte sie, langsam und mit eindringlich prüfendem Blick ihr Auge zu ihm erhebend.

„Und wenn?“ rief er, wieder einen heiteren Ton anschlagend. „Warum mißfällt Ihnen denn Husarenart so sehr? Eine Attake!“

„Es giebt auch mißlungene, Herr – Rittmeister.“

„Weiß wohl,“ gestand er leicht nickend und mit komischem Mißmuth in seinem hübschen Gesichte. „Dann müssen wir eben die Arbeiten des Geniecorps übernehmen und in eine ordentliche Belagerung übergehen. Glauben Sie denn, meine Versetzung nach Moorstädtel sei ganz und gar Zufall gewesen? Nicht so ganz, meine Gnädige. Eine Versetzung war mit meiner Beförderung allerdings verbunden, daß sie mich aber gerade hierher führte, habe ich der rechtzeitigen Verwendung eines Freundes zu verdanken, der im Kriegsministerium sitzt, wenngleich nur in scheinbar einflußloser Stellung. Ich lag also schon länger im Hinterhalte und ritt nur, weil die Zeit mir beim Warten etwas lang wurde, auf Recognoscirung aus. Schlagen Sie mich zurück, so lege ich mich wieder ruhig in die Parallelen – eine kleine Meile von Riefling. Sie werden doch den Sommer über hinaus kommen?“

„Nein, das werde ich nicht,“ entgegnete sie leise, aber bestimmt. Diese leichtherzige Weise, eine ernste Sache zu behandeln, eine Angelegenheit, die über das ganze Leben entscheiden sollte, war nicht die ihre. Große, schwerwiegende, tiefeinschneidende Entschlüsse waren ihr mit einem Lächeln zugemuthet, als ob es ein Kinderspiel gälte. Eine Regung der Bitterkeit wallte in ihr auf. Halb geschlossenen Auges hatte sie sich wieder zurückgelehnt, und um ihren Mund grub sich ein schmerzlicher Zug.

Sie fühlte eine leise Berührung ihres Haares; Steinweg hatte sich auf sie herabgebeugt und ihren Scheitel geküßt. Sie wußte es, ohne es zu empfinden; der Hauch seines Mundes hatte sie durch das dichte Haargewelle getroffen. In jähem Schreck fuhr sie erglühend von ihrem Sitze empor.

„Auch das nur ein Traum, ein Rausch, ein Wirbel?“ sagte sie mit tiefer Verwirrung und trat wie im Entfliehen einen Schritt zur Seite, ohne jedoch ihre Hand, die er erhascht, seinem festen Griffe entziehen zu können.

Die eigenen Worte, von ihrem Munde wiederholt, beschämten und beirrten den Uebermüthigen nicht.

„Gieb diesem Rausche die Dauer des Lebens!“ rief er flammenden Auges.

Wie zu einem Marmorbilde erstarrt, stand sie, einer Ohnmacht nahe, vor dem Manne, der sie von den verhaßten Fesseln einer Ehe ohne Liebe erlösen wollte. War er werth, daß sie um seinetwillen das verhängnißvolle „Ja“ sprach? Würde ihr bebendes, stockendes Herz an seiner Seite das selige Genügen finden, das sie in der Oede ihres jetzigen Daseins ersehnte?

Sie rang angstvoll nach einer Antwort, während Frip, der bei dem plötzlichen Aufspringen seiner Herrin unsanft zu Boden geglitten war und, die Scene gänzlich mißverstehend, den vermeintlichen Feind seiner Herrin erst angeknurrt hatte, denselben jetzt mit leidenschaftlichem Gekläffe angriff. Eine Secunde später that sich die Thür auf, und mit fröhlichem Lachen sprang ein kleines Mädchen herein. In der weißen Winterumhüllung selbst einem Schneeball gleich, lief das etwa vierjährige Kind auf die Baronin zu.

„Mama, liebe Mama, da bin ich,“ rief es jubelnd, breitete die Aermchen aus, ließ sich emporheben und drückte das vor Kälte strahlende und frischgeröthete Gesichtchen an die sanfte, jählings wieder blutwarm gewordene Wange, die ihm entgegenkam.

Rittmeister Steinweg kaute an dem Schnurrbarte und gab sich dann den Anschein, als wolle er mit munterer Neckerei den drolligen Kampf annehmen, welchen ihm Frip, der Ritterliche, der sich nun hinter die Kleidfalten seiner Dame zurückzog, angeboten.

In der geöffnet gebliebenen Thür war auch die Kammerjungfer erschienen und suchte sich, auf der Schwelle stehen bleibend, zu entschuldigen:

„Verzeihen Frau Baronin, aber Gretchen ist mir entwischt und wollte sich durchaus nicht zurückhalten lassen. Ich kann wahrhaftig nichts dafür.“

Lisa erröthete so heftig, daß sie sich abwenden mußte. Klang nur ihr diese Rechtfertigung wie eine Dreistigkeit, oder hatte sie recht bemerkt, daß diese schlau und schadenfroh forschenden Augen die schüchterne Haltung und den demüthigen Ton der neugierigen, spionirenden Zofe Lügen strafte? War sie in ihrem eigenen Hause überwacht?

Hochfahrender, als es sonst in ihrer Weise lag, obwohl mit gedämpfter Stimme, gab sie der Zudringlichen den Bescheid, sie könne gehe, Gretchen bleibe hier.

„Ach, Mama, es war so schön. Die Bäume hatten alle Glaskleider an und glitzerten in der Sonne. Nicht wahr, es ist kein Eis, es ist Glas? Manon sagt, es ist nur Eis ...“ So plauderte die Kleine, während die Baronin, die sich wieder gesetzt hatte, sie von Hut und Schleier, Mantel und Gamaschen befreite. Sie ließ das Kind nicht mehr von ihrer Seite.

Steinweg, dem es nur einige scheue Blicke schenkte, fühlte die Absicht.

„Ein reizendes Kind!“ sagte er endlich mit einem kaum merkbaren Anflug von Gereiztheit. „Ich wollte, es übertrüge nur einen ganz kleinen Theil dieser Liebkosungen, die ihm werden und die es doch nicht zu würdigen weiß, auf einen, den sie glücklich machen würden.“

Die Baronin strafte seine Rede mit einem ernsten Blicke, den er sehr wohl verstand. Ohne sich auf eine weitere Bemerkung einzulassen, für die ihm der günstige Moment vorläufig vorüber zu sein schien, sah er auf die Uhr und griff nach seiner Mütze.

„Ich habe die übliche Besuchszeit weit überschritten, fürchte ich,“ sagte er.

Sie hielt ihn nicht zurück.

Auf seine Frage, wann er wiederkommen dürfe, entgegnete sie ausweichend: das hänge von ihm selber ab. Sich in die Lippen beißend, verbeugte er sich ohne ein Wort des Abschieds.

„Bah!“ murmelte er, während er den Salon durchschritt, in sich hinein. „Und nun erst recht!“

Drinnen aber hielt Gretchen die Arme um Mamas Hals geschlungen.

„Der Soldat gefällt mir gar nicht,“ bekannte sie aufrichtig. „Da ist mir Onkel Richard viel lieber. Rufe ihn nicht mehr. Mama!“

Lisa drückte das kleine Köpfchen an sich; Thränen entflossen ihren Augen.

„Mama, bist Du böse auf mich?“ fragte der kleine, sich schon zum Mitweinen verziehende Mund. „Ich habe ja Mama folgen wollen und auf mein Zimmer gehen, aber Manon hat mich hereingeschickt. Bitte, sei nicht böse! Ich habe mich so gefreut, zu Dir zu kommen, liebe Mama! Bitte, hab' mich lieb!“

„Engel!“ flüsterte Lisa und preßte das Kind schluchzend an's Herz.




4.

Auch diese Nacht war für Lisa eine unruhige und schlaflose gewesen; mit weit offenen, glanzlosen Augen starrte sie auf ihre Kammerjungfer, als dieselbe jetzt, am Morgen, mit der Meldung herantrat, daß der Herr Baron soeben angekommen sei und mit der gnädigen Frau gemeinsam das Frühstück einzunehmen wünsche, wenn es ihr genehm sei.

Nicht oft geschah es, daß man sich in diesem Hause schon so frühzeitig am Tage im Speisezimmer zusammenfand; denn Witold's Beschäftigung gestattete ihm in den seltensten Fällen, so lange zu warten, bis es seiner Frau gefiel, sich zu erheben. Es war daher begreiflich, daß sich in der Stimme der Kammerjungfer eine gewisse schnippische Verwunderung über den ihr gewordenen Auftrag verrieth. Ueberhaupt hatte die ganze Art ihres Betragens

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_154.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)