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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Pathos, dennoch ließ der bedeutungsvolle Nachdruck auf dem Wörtchen ihr Herz erzittern. In seinem Munde war es keine bloße Floskel – das wußte sie; ihm wog es schwerer als das Leben.

Den Muth, noch weiter zu scherzen, hatte sie verloren. Stumm hing sie an seinen Lippen. Er erhob sich indeß, bevor er weiter sprach, und öffnete beide Thüren, um sich zu überzeugen, daß sie unbelauscht waren. Seine Besorgniß war grundlos.

„Es ist ein Unglück, daß es so weit gekommen ist,“ sagte er, auf seinen Platz zurückkehrend, mit gedämpfter Stimme, „aber es könnte ein noch größeres Unglück daraus werden. Bis jetzt ist nur erst das Geld verloren.“

„Doch nicht alles?“ rief Lisa bestürzt.

„Und darüber.“

„Aber wie ist das nur möglich?“ Unwillkürlich hatte auch sie ihre Stimme zum Flüstern gemäßigt.

„Wie es gekommen, Dir einzeln aus einander zu setzen, fehlt mir selbst die genauere Einsicht, und Dir würde dadurch die Thatsache um nichts begreiflicher werden. Du mußt mir vorderhand auf’s Wort glauben.“

„Diese blühenden Unternehmungen! Dieses große Vermögen!“

„Wir haben unsere Zeit weit größere Opfer fordern sehen.“

Sie dachte an Richard. Hatte der leichtsinnige junge Mensch ihr nicht Aehnliches, wenn auch mit anderen Worten, gesagt? Und doch war es ihr beinahe unmöglich, an diese Kunde zu glauben. In Reichthum aufgewachsen, hatte sie sich das Bewußtsein unwandelbaren, festgegründeten Besitzes so tief eingeprägt, daß Niemand als Lomeda es zu erschüttern vermocht hätte. Sie war so fassungslos, daß sie nur immer die eine Frage zu wiederholen wußte, wie es denn möglich sei.

„Wie es möglich ist?“ versetzte Witold weniger ungeduldig als in schmerzlicher Bitterkeit. „Als ob es so schwierig wäre, sich zu Grunde zu richten!“

„Bei Hilma’s an Geiz grenzender Sparsamkeit!“

„Geiz gegen Andere,“ ergänzte Witold. „Wo es ihre eigenen Launen und die Repräsentirung ihres Hauses gilt, kennt sie keine Schranken; man braucht nur in Anschlag zu bringen, was, ganz abgesehen von ihren Reisen, in den letzten Jahren für Neubauten in Sternberg – nicht etwa am Etablissement, sondern am Schlosse – verausgabt wurde. Doch ich will keine Vorwürfe auf sie häufen. Sie ist geschlagen genug, und der Quell alles Uebels liegt doch anderswo: in Heinrich’s Indolenz. Und auch ihm mache ich keinen Vorwurf, denn der Fehler beruht in seiner Natur, die er nicht zu ändern vermag. Dein Vater hätte ihn darum nicht zu seinem Nachfolger machen sollen. Er hat die Gefahr solcher Nachfolgerschaft übrigens sehr wohl erkannt und sie durch die Beigabe eines Berathers und Helfers, auf den er große Stücke hielt, abzuwenden gesucht; nur ist er in der Wahl dieses Berathers unglücklich gewesen. Rainach war kein schlechter Mensch; wäre das der Fall gewesen, er hätte für sich selbst gesorgt und nicht schließlich sein eigenes Leben vernichtet; er war aber etwas, das ebenso gefährlich werden kann: ein Sanguiniker. Mißrathene Combinationen, die zum Theil noch in Deines Vaters Zeit zurückdatiren, schlechter Geschäftsgang, den man verheimlichte, unselige Speculationen, wildes Börsenspiel, um die Ausfälle zu decken, zuletzt gefälschte Bilanzen, Wechselreiterei und Creditmißbrauch, wozu er Heinrich zu bereden wußte – das sind so die Factoren, die in großen Umrissen den rapiden Niedergang erklären mögen. Als alle Hoffnungen, einen Ausweg aus dem Labyrinth zu finden, geschwunden waren, da zerriß der unglückselige Mensch in der Verzweiflung das Schuldbuch seines eigenen Daseins, wie Leute seines Schlages zu thun pflegen, weil ihnen vor den Folgen graut und sie dieselben lieber Anderen aufbürden. Es bleibt ihnen ja doch immer noch die billige Phrase von der Sühne, die sie bieten, und irgend eine rührende Bitte um Verzeihung für die tief bereuten Verirrungen. Mag der Zurückbleibende zusehen, wie er mit seiner zerstörten Existenz fertig wird!“

Der in scharfer Bitterkeit gesprochene Schluß dieser Worte sollte nach der Art, wie der Baron ihn betonte, noch eine besondere Spitze haben. Die Zuhörende empfand das und hatte einen Augenblick das Gefühl, als ob dieselbe gegen sie gerichtet sei; aber sie beruhigte sich sofort – Witold hatte die in ihm aufschießende Hitze rasch bemeistert, und in nahezu geschäftlichem Tone nahm er wieder das Wort.

„Der Mann hätte wenigstens vor seiner That genau Rechenschaft ablegen, eine Orientirung möglich machen und die Verschuldung in bestimmter Umgrenzung auf seine eigenen Schultern nehmen sollen, um so Heinrich zum Theile wenigstens zu entlasten. Er hat dies zu schwerer Schädigung der Sache unterlassen; denn die unbeglaubigten Aussagen Heinrich’s werden, wenn auch nicht von mir, so doch von dem Gerichte nur als leichtbegreifliche Versuche, dem Todten Alles in die Schuhe zu schieben, aufgenommen werden. Außer dem Briefe, in welchem er sich nur in ganz allgemeinen Ausdrücken anklagt, ist nichts vorgefunden worden, als leere Cassen, drängende Verbindlichkeiten und – ein großes Deficit.“

(Fortsetzung folgt.)




Thier-Charaktere.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
Der Luchs.

Noch im vorigen Jahrhundert trat der Luchs, dieser starke, mordsüchtige und zugleich durch Schönheit ausgezeichnete Großräuber aus dem Katzengeschlechte, in den baierischen Alpen, in Thüringen, im Harz, in den westfälischen Gebirgswaldungen als eine nicht seltene Erscheinung auf. Der Cultur des neunzehnten Jahrhunderts mußte er aber nach und nach in Deutschland fast ganz weichen, sodaß er heute nur noch vereinzelt in den deutschösterreichischen Ländern und in den an Rußland grenzenden preußischen Provinzen vorkommt – ohne Zweifel eine Folge der immer weiter greifenden Waldcultur, welche dem Luchs mehr und mehr die Lebensbedingungen entzieht. Sein eigensinniger Hang zur urwaldlichen Umgebung, der so ganz mit seinem in sich gekehrten, der Geselligkeit abgeneigten Wesen übereinstimmt, läßt ihn zurücktreten vor der lichtschaffenden Axt und der berechnenden Ordnung der eingreifenden Waldwirthschaft, daher gegenwärtig als seine eigentliche Heimath nur die Karpathen und Rußland nördlich und östlich derselben, sowie Ostsibirien und Scandinavien anzusehen sind.

Im Allgemeinen dürfen wir unsere Wildkatze als den Luchs im Kleinen bezeichnen, obwohl in der äußern Erscheinung, wie in Wandel und Wesen unterscheidende Merkmale auftreten.

Die Gestalt des Luchses ist gedrungener und derber als diejenige der Wildkatze, der langbehaarte Schwanz oder die Ruthe viel kürzer und breiter, nur zwanzig bis fünfundzwanzig Centimeter lang; seine Läufe sind dagegen länger. Die großen Augen des dicken Kopfes leuchten in wilder Gluth, und die Ohren sind mit fünf Centimeter langen, schwarzen, steifen Haarbüscheln, die Wangen mit langem, zugespitztem Barte geschmückt. Der Sommerpelz des Oberkörpers trägt fuchsartiges Gelbbraun, welcher individuell veränderlichen Grundfarbe im Winter ein weiß und grauer Ueberhauch beigemischt ist. Die braunen und schwarzen Flecken und die ringförmigen undeutlichen Zeichen sind öfters von verschiedenem, in’s Hellere oder Dunklere ziehendem Tone. Das weiche Pelzhaar ist im Winter am dichtesten und längsten; seine Spitzen sind abwechselnd weiß und schwarz gefärbt. Auffällig hebt sich die gelblich-weiße Färbung der Kehle wie des Bauches und der Innenseiten der Läufe ab. Die undeutlich geringelte Ruthe endigt in schwarzer Spitze, der sogenannten Blume. Unstreitig rührt die häufig vorkommende Abwandlung der Färbung von den Einflüssen der Jahreszeit nicht blos, sondern auch vom Alter und Geschlecht des Thieres, sowie von der Oertlichkeit her. Entsprechend dem Wildkater im Verhältniß zur weiblichen Katze, zeichnet sich der Luchskater vor seinem Weibchen durch Größe, Stärke und Wildheit aus. Sein Gewicht beträgt fünfundzwanzig bis dreißig, in außerordentlichen Fällen sogar bis fünfundvierzig Kilogramm; seine Höhe erreicht ein bis ein und drei Zehntel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)