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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


lächelnd an den ihn ganz und gar einhüllenden Schafpelz erinnerte, so gab es schon der giftigen Scheltworte genug, vergaß er aber den Vorrathssack zur Bergfahrt oder die Axt, wenn er Brennholz bringen sollte, dann galt es gewandt zu sein, sollte ihm nicht der Sack oder gar das Beil an den Kopf fliegen.

Es war auf der Heimkehr von einer jener Bergfahrten. Wir hatten ein tüchtiges Stück Arbeit hinter uns und badeten nun nach des Tages Hitze, behaglich abwärts schlendernd, Stirn und Brust in den kühlen Lüften, welche im Hochgebirge die sich neigende Sonne begleiten.

Paulu, mein treuer Gefährte und Führer, schritt schweigend neben mir her. Er war tagsüber heiter gewesen wie immer, jetzt aber zeigten auch die stumpfsinnigen, obschon hübschen Züge des Hirten einen Ausdruck von Schwermuth, der mein Interesse erweckte.

„Du scheinst Dich eben nicht nach dem Herde der Frau Dordona zu sehnen,“ fragte ich, seine trübe Stimmung deutend.

„Doch, Herr, es geht mir nur wie dem Hunde, den die volle Schüssel erwartet, aber auch die Peitsche.“

Sonderbar, das klang keineswegs einfältig, im Gegentheile deutete der Ton der Antwort auf einen tieferen Sinn der Worte.

„Höre, Junge,“ sagte ich, das Schweigen des Burschen zu brechen, „an Deiner Stelle litt’ mich’s nicht acht Tage in Frau Dordona’s Hütte; solch flinkem Hirten stehen wohl noch andere Thüren offen.“

„Richtig, Herr! Könnte auch frei leben, wie der Fisch im Wasser, aber – ja so ist’s: wenn die Forelle nach der Fliege schnappt, muß sie sich auch den Angelhaken gefallen lassen.“

„Und die Fliege ist?“

„Margita, Herr. Ihr habt’s wohl längst bemerkt.“

„Wahrlich, nein! Ihr thut eben nicht wie Verliebte.“

„Ja nun, Herr, Frau Dordona’s Feuerbrände sind nicht von Butter; man schickt sich; ich bin der Knecht und weiter nichts bis zum Hochzeitstage – so lautet die Abrede.“

„Und der Hochzeitstag?“

„Nach dem nächsten Wurfe.“

„Nach dem nächsten Wurfe?“ wiederholte ich verwundert.

„Ja so, Ihr versteht mich nicht,“ erwiderte Paulu, dem wohl die süße Abendfeierstunde der Natur das Herz auf die Zunge legen mochte; „seht, Herr, Margita war fast noch ein Kind, als ich zum ersten Male um sie warb, denn der alte Golo, Dordona’s Eheherr, war mir gut und hätte mich gerne zum Schwiegersohn gehabt. Der alte Narr hatte aber ein Weib gefreit – na, Ihr kennt sie ja, Herr – das um dreißig Jahre jünger war, als er, und ihn vom Hochzeitstage an so kurz an der Stange hielt, wie der Fuhrmann einen blinden Sattelgaul; als er mir also als Brautwerber einen Sitz am Tische anweisen und durch Margita Eier und Milch auftragen lassen wollte, da ergriff Dordona den glühenden Feuerhaken und jagte den Hausherrn sammt seinem Gaste zur Thür hinaus, mir höhnisch nachrufend, wenn ich einmal so viel Schafe mein nenne, wie Margita zur Mitgift bekomme, dann möge ich wieder anfragen. Es war ein schlimmer Tag, Herr, aber ich dachte: guter Käse braucht Zeit, und endlich findet sich zu jeder Hacke ein Stiel.“

Es dunkelte schon ein wenig, weshalb Paulu die Heiterkeit, welche seine drastischen Vergleiche und Sprüche in Erinnerung des guten Sancho Pansa bei mir hervorriefen, nicht bemerkte und nach kurzer Pause fortfuhr:

„Nun hört, Herr, was noch selben Herbst geschah! Der alte Golo zog, wie alljährlich, mit seinen Heerden hinab in’s Türkenland, wo es im stärksten Winter noch Weide giebt, im Frühjahr aber kam statt seiner die Nachricht heim, er sei dort von Räubern erschlagen worden. Viele beklagten den guten Alten, Andere aber meinten – und ich halte es mit ihnen – er sei nur seinem bösen Weibe durchgebrannt, bei welcher es für ihn mehr Scheltworte als Speck zur Malaia (eine Art Maisbrod) gab. Na, Gott der Herr allein weiß es! Dordona aber zerriß vor Schmerz ihr bestes Hemd, als jedoch auch die Knechte mit den Schafen ausblieben, da raufte sie sich gar den halben Scheitel so kahl, wie der des Dialu Pietru (Steinberg) ist. Fällt das Holz im Walde, so ist gut Hütten bauen, dachte ich, und klopfte abermals an Dordona’s Thür. Hei, Herr, da hättet Ihr das süß-saure Gesicht der Wittwe Golo’s sehen sollen! Wahrhaftig, es glich auf ein Haar dem des hungernden Geiers, welchem statt des entgangenen fetten Hasen eine magere Maus unter die Krallen läuft. Ich sei ihr ganz willkommen, meinte sie, doch als Schwiegersohn nicht eher, als bis die Nachkommen meiner und der wenigen Schafe, die Golo daheim gelassen, die Zahl der Tage im Jahre erreichten. Was konnte ich dagegen thun, Herr? Margita’s liebes Gesicht winkte mir so appetitlich roth und weiß wie – ach, Herr, ich meine, fast wie einst der Apfel im Paradiese unserm Herrn Stammvater, Gott habe ihn selig!“ „Amen, mein Junge!“ sagte ich, nun doch herzlich auflachend. „Hoffen wir jedoch, daß Dir Margita’s Gesichtchen besser bekomme, als Adam der Apfel.“

Auch Paulu[WS 1] lachte, fiel indeß bald wieder in sein früheres trübes Schweigen, bis ihn meine weitere Frage, wie lange seine Dienstzeit bei Golo’s Wittwe währe, auf’s Neue anregte.

„Hundert Jahre, Herr,“ rief er seufzend, „denke ich an die Mutter; kaum eine Stunde, gedenke ich der Tochter, es mögen aber ihrer sieben Jahre sein, und weiß Gott, Herr, ich hätte darüber graue Haare bekommen, wäre Margita nicht; denn seht, Herr,“ fuhr er eifrig fort, „es giebt viele hübsche Mädchen hier in den Bergen, doch der Margita kommt keine gleich, und blicke ich in ihre großen schwarzen Pechaugen – dann vergesse ich Alles.“

„Auch den Pelz am Leibe, den Vorrathssack und die Axt obendrein,“ schloß ich heiter, erschrak aber im nächsten Moment über die seltsame Wirkung meiner Worte, denn Paulu war plötzlich stehen geblieben und starrte lautlos vor sich hin, während seine Hand krampfhaft in dem langen Haare wühlte.

„Herr des Himmels,“ stammelte er, „meine Tabakspfeife!“

„Nun, was ist’s mit ihr?“ fragte ich erleichtert aufathmend.

„Sie liegt auf der Spitze des Dialu Pietru.“

„Sonst nichts?“

„Doch, Herr, auch das lange hohle Ding, das ich hinauftrug und mit dem Ihr die Berge und Häuser heranzaubert,“ gestand Paulu kleinlaut.

Das war freilich schlimm, denn das Diopter-Perspectiv war ein kostspieliges Instrument, und bis zur Höhe des Pietru war ein beschwerlicher, vierstündiger Marsch zurückzulegen. Paulu jedoch wandte sich schon zum Rückwege.

„Gute Nacht, Herr!“ sagte er; „meines Vaters Pfeife soll nicht zum Spiele der Winde werden, und auch Ihr sollt bis morgen Euere Zauberröhre wieder haben.“

„Unsinn, Paulu, bedenke die Wölfe und daß Du heute schon acht Stunden marschirtest!“

„Fürchtet nichts, Herr! Das müßten dumme Wölfe sein, die nach Menschenfleisch jagten, so lange auf jeder Alpe fette Hammel weiden, was aber das Marschiren anbelangt, so sollt Ihr sehen, daß Paulu’s Füße mehr taugen als sein Kopf.“

Damit ging der Bursche leichten hurtigen Schrittes von dannen, als gäbe es für seine Muskeln weder Müdigkeit noch Abspannung, während ich, dem häuslichen Herde der Frau Dordona zuwandernd, Gedanken nachhing, welche der unerwartete Einblick in das Geistes- und Gemüthsleben eines anscheinend so stumpfen Menschen hervorgerufen.

Die natürliche Folge von Paulu’s Mittheilungen aber war meine erhöhte Theilnahme für ihn und eine Art von Protectorat, welches damit begann, daß ich denselben Abend des verliebten Burschen Vergeßlichkeit auf mich nahm und damit den Grimm seiner künftigen Schwiegermama beschwichtigte, wofür mich ein dankbarer Blick aus Margita’s großen, schwarzen „Pechaugen“ lohnte. Schon im Laufe der nächsten Tage aber erweiterte sich der Wirkungskreis dieser Protectorstelle derart, daß ich Frau Dordona’s Aufmerksamkeit während eines ganzen Abends durch die kühn erfundene Beschreibung einer mörderischen Schlacht von dem kosenden Paare abzulenken suchte; ja, so viele Todte und Verwundete gab es in jener Schlacht, daß Dordona mehr als einmal die Hände über dem Kopf zusammenschlug, während Margita die ihrigen um den Hals des glücklichen Paulu schlang und – nun, Gott Amor möge das Opfer vergelten!

Allein Tage und Wochen schwanden, und so mußte es endlich – trotz meiner wachsenden Theilnahme und Spannung auf das Resultat des von Paulu als entscheidend bezeichneten „Wurfes“ – geschieden sein.

Eines heiteren Augustmorgens verließ ich Frau Dordona’s Hütte, nachdem mich deren trübe Abschiedsmiene bei Empfang meines gemünzten Dankes lebhaft an Paulu’s Gleichniß vom

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Paula
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_167.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)