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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Unter der Regierung ihres Sohnes, Paul’s des Ersten, trat der Winterpalast in den Hintergrund des Interesses. Paul erbaute sich ein Schloß, das zugleich als Festung gelten konnte, das jetzt als Sitz der Militär-Ingenieur-Verwaltung dienende Michaelow’sche Palais, in welchem der unglückliche Monarch auch sein Ende fand. Erst unter Paul’s Sohn, Alexander dem Ersten, unter dem eine neue, bessere Zeit für Rußland heranbrach, wurde der Winterpalast wieder kaiserliche Residenz.

Eine schwere Katastrophe brach über das stolze Czarenheim zwölf Jahre nach der Thronbesteigung Nicolaus des Ersten herein. Es war am 29. December 1837, da schlugen plötzlich die Flammen aus seinen Fenstern, und so furchtbar wuchs die Gewalt des Elementes, daß man ihm die Zerstörung des Innern überlassen mußte. Aber den Ruinen gegenüber standen ein kaiserlicher Wille und kaiserliche Machtmittel; der Czar Nicolaus befahl, möglichst schnell das Andenken an die Katastrophe zu verwischen, und dank der fieberhaften Thätigkeit des Generals Kleinmichel, welchem der Plan Rastrelli’s in die Hand gegeben worden, stand fünfzehn Monate später das kaiserliche Schloß in weit größerer Pracht als vorher – so, wie wir es noch heute bewundern – fertig da.

L. D.




Bilder von der Mosel.
3. Eine Wanderung von Coblenz bis Trier.

Wer sich an unserer Mosel, dem größten und schönsten Nebenflusse des Rheins, und ihren bilderreichen Ufern erfreuen will, kann dies jetzt, wie bereits in einem frühern Artikel erwähnt, vom Fenster des Dampfwagens so gut wie vom Verdeck des Dampfschiffs aus thun, falls ihn die Eile plagt. Wer Zeit hat und wem es seine körperlichen Mittel erlauben, der nimmt doch besser Ränzel und Stab und geht zu Fuß, wie es der Verfasser dieser Zeilen in froher Gesellschaft gethan.

Als wir Coblenz mit seinem großartigen Bilde der Moseleinmündung in den Rhein verließen, hingen noch schwer und trübe die Wolken und brauten in gespenstigen Gestalten über dem Strom, dessen Rauschen wir wohl zu hören, den wir selbst aber durch den Nebel nicht zu erkennen vermochten. Nach und nach ward es lichter, bald tauchte das andere Moselufer in großen Zügen und Umrissen empor, und lustig wanderten wir vorüber an dem Oertchen Güls, dem weinbauenden Winningen und Dieblich. Die Gegend ward charakteristischer; die Berge wurden höher und zeigten kühne Linien und majestätische Abhänge. Zur Seite öffneten sich stille, einsame Thäler, auf den Höhen aber erschienen düstere Burgtrümmer, darunter manche mit gar stolz klingenden Namen, wie: Cobern, hinter welchem die „Alteburg“ auf unserer Illustration sichtbar, ist, Gondorf mit seinem renovirten Burghause, Bischofstein, Alken unter den Mauermassen des Schlosses und Turrun (Thurant), alles großartige Ruinen, von denen Geschichte und Sage viel zu erzählen haben. Die Herren von Cobern waren vor Alters ein großes Geschlecht, dessen letzter Sproß aber, Lutter von Covern, 1566 „zu Covelents auf dem Plan“ mit dem Schwerte gerichtet wurde. Auch der Glanz Derer von der Leyen; die auf Gondorf, der stattlichen Uferburg, ihren Wohnsitz hatten, ist längst erloschen.

Einer der schönsten Moselruinen begegnen wir aber in dem wildromantischen Thal der Ehre, die sich bei Brodenbach in die Mosel ergießt. Hier saßen die Herren von der Ehrenburg, ein tapferes, mannhaftes und fehdelustiges Geschlecht. Als Richard Löwenherz Ptolemais bestürmte, war es ein Ehrenburger, der mit zuerst die Mauern erstieg; ein Anderer des Geschlechts war unter den Eroberern von Constantinopel; ein Friedrich von Ehrenburg starb unter Ludwig dem Heiligen als Tempelherr den Heldentod in der Schlacht bei Damiette. Der letzte Sprosse aber, der neidischen Auges das stete Wachsen der Städte, die Abnahme des Ritterthums beobachtete, fiel 1397 mit seinen wilden Gesellen über die Stadt Coblenz her und ließ zweihundert Häuser daselbst in Flammen aufgehen. Dem Erzbischof von Trier trieb er dazu die fetten Heerden weg. Mit dem Erlöschen der Ehrenburger ging die allmählich zerfallende Veste durch verschiedene Hände, bis sie zu Ende des vorigen Jahrhunderts an die Herren von Stein zu Nassau fiel.

Haben wir den Flecken Hatzenport mit dem Spitzthurm passirt, so steht vor uns auf unwirthlichem dunklem Felsen der hellschimmernde Thurm der Ruine Bischofstein, deren Geschichte bis an’s graue Mittelalter hinaufreicht. Erzbischof Nicetius ließ um 550 Künstler aus Italien kommen, um die von den Germanen zerstörten Tempel wieder herzurichten, besonders aber, um sein Schloß Bischofstein zu erbauen. Gar wundersam ist die Beschreibung, die uns ein berühmter Besucher, Venantius Fortunatus, der Bischof von Poitou, von diesem Schlosse hinterlassen. In drei Abtheilungen erhob sich dazumal amphitheatralisch das ganze Bauwerk; gewaltige Mauern umgürteten den Berg bis zur Mosel hinab; von dreißig Thürmen wehten die bischöflichen Zeichen; auf höchster Spitze des Felsens aber lagen die Wohngebäude und bildeten für sich wieder eine Burg, und weithin schweifte von der auf marmornen Säulen ruhenden Gallerie der Blick in die herrlichen Mosellande. Diese Pracht ist längst verschollen; ein weißes Kirchlein erhebt sich einsam inmitten der Ruinen.

Bei Moselkern kommt wildrauschend die Elz aus den Bergen, in deren Kessel auf steiler Koppe das noch erhaltene Schloß Elz uns lebhaft in die Zeiten des sturmbewegten Ritterthums versetzt. (Vergl. „Gartenlaube“, Jahrg. 1873, S. 85.) Bis in’s zehnte Jahrhundert verfolgen die Elzer ihren Stammbaum. Einer noch älteren Geschichte rühmt sich Carden, wo in alten Römerzeiten zu Ehren des Kaiserhauses ein Tempel gestanden. Im vierten Jahrhundert errichtete hier der Heilige Castor seine Zelle, über deren Stätte sich heute hie prächtige Stiftskirche erhebt.

Gedrängter reihen sich jetzt die Ortschaften; links, bei Treis, stehen in einer wilden Thalschlucht, die ein Bach ausgewühlt, zwei Burgen auf isolirten Kegeln, Treis und die Wildenburg; weiter folgen Clotten mit der Altenburg und die beiden romantisch gelegenen Städtchen Cochem und Beilstein, welch beide Orte in Nr. 21, 1879 und Nr. 7, 1880 schon eingehender besprochen und abgebildet wurden.

Immer schroffer und malerischer wird der Charakter der Gegend. Furchtbare Felsmassen dunkeln über dem Strom, in ihrer Gestalt manchmal an die Lurleifelsen erinnernd. Jedes nur irgend zugängliche Fleckchen, jede Ecke, jeder Vorsprung dieser Felsen ist zum Weinbau benutzt; terrassenförmig, durch kleine Mauern gestützt, schieben sich die einzelnen Weinberglagen die Felsen hinan; oft hat ein einzelner Weinstock seine kleine Terrasse. Inmitten dieser tiefen Einsamkeit, zwischen himmelhohen Felswänden spiegeln sich die öden Mauerreste des Klosters Stuba in der Fluth. Durch die Fensterhöhlen weben hohe Wallnußbäume ihre Schatten. Vor Zeiten war Stuba von Augustinerinnen bewohnt und weithin berühmt durch seine seltenen Kirchenschätze, die aber gleich denen des benachbarten Klosters Marienburg längst in alle Winde verstoben sind. Auch die Marienburg liegt in Trümmern, ist aber dank ihrem wunderbaren Ausblick ein vielbesuchter Ort. Von Alf, welches sich breit und stattlich am Fuße des Berges lagert, stiegen auch wir hinauf.

Bis vor wenig Jahren hauste hier oben einer der besten Kenner des Jägerlateins, der alte Förster Gassen. Der wußte ganze Bände zu erzählen von ergötzlichen Abenteuern und Jagdstücken auf Berg und Strom, und mit ihm und seinem Töchterlein ist ein gutes Stück Poesie für immerdar entschwunden. Heute erhebt sich an Stelle seiner einfachen Klause ein Hôtel, und frackbezipfelte Kellner hantieren in den Räumen, die vor Alters von Nonnen bewohnt gewesen. Die Aussicht hier oben ist unendlich wild; die Berge weisen sichere und charakteristische Schönheitslinien auf, und zur Rechten wie zur Linken sehen wir unter uns das silberne Band des Stromes, der nach fünf Stunden langer Krümmung, an dem alten Städtchen Zell vorüber, fast auf die alte Stelle zurückkehrt.

Unter Donner und Blitz, während eines heftigen Regengusses, langten wir, Enkirch links liegen lassend, in Litzich, einem Dörfchen vor Trarbach, an. Der Ort besteht zumeist aus stattlichen Fischerhütten, und die Männer in ihren braunen Jacken standen in der Thür und sahen dem Regen zu. Eine seltsame Einsamkeit lag über den Bergen; grau und schwer hingen die Wolkenzüge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_194.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)