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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


und der Vortheile, welche mit dieser Eigenschaft für die Künstler und ihre Werke verbunden sind. Für das Verständniß und die Würdigung der Werke von Brahms ist von seiner Gründung ab das „Musikalische Wochenblatt“ von E. W. Fritzsch in Leipzig unausgesetzt und energisch eingetreten.

Johannes Brahms wurde am 7. Mai 1833 zu Hamburg geboren. Im Hause des Vaters, welcher in verschiedenen Orchestern thätig war, frühzeitig zur Musik angehalten, hatte er, als er in den eigentlichen Unterricht kam, das große Glück, in Eduard Marxsen einen Lehrer zu finden, welcher schon aus den Schularbeiten des Knaben dessen eigenartiges, tiefes Talent erkannte und dasselbe zu wecken und zu fördern wußte. Vierzehn Jahre alt, zeigte sich Brahms zum ersten Male den Hamburgern in einem eigenen Concerte als Pianist und auch als Componist.

Von da ab nahm er an dem Musikleben seiner Vaterstadt hin und wieder Antheil, nicht mit dem Nimbus eines Wunderkindes, sondern bescheiden und gelegentlich.

In seinem zwanzigsten Jahre fand Brahms durch die Bekanntschaft mit dem ungarischen Violinspieler Remenyi Veranlassung zu einer Kunstreise, auf welcher verschiedene mittel- und norddeutsche Städte besucht wurden. Einzelne unbeabsichtigte Bravourstückchen, daß er z. B. ohne Noten spiele, ganze Sonaten und große Musikstücke ohne Weiteres transponirte, wurden ihm dabei hoch angerechnet. Das beste Erträgniß der Reise waren für Brahms aber wohl die Freundschaftsbande, welche er während derselben geknüpft hatte. In Hannover lernte er Joseph Joachim kennen, in Weimar Franz Liszt und in Düsseldorf Robert Schumann.

„Das muß Clara hören,“ rief dieser, als Brahms zu spielen angefangen.

Auf der Stelle wurde Frau Clara herbeigeholt, eine Musik zu hören, „wie sie noch keine gehört hatte“. Schumann's Enthusiasmus hielt auch nach und drückte ihm die Feder zu dem bereits erwähnten Aufsatze in die Hand, welcher der musikalischen Welt in dem jungen Brahms den Erwarteten vorstellte, der nicht wie die Andern „die Meisterschaft in stufenweiser Entfaltung bringt, sondern, der Minerva gleich, vollkommen gepanzert dem Haupte des Kronion entsprang“. – „Und er ist gekommen,“ schreibt Schumann, „an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms; kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, aber von einem trefflichen und begeistert zutragenden Lehrer gebildet ... in den schwierigsten Satzungen der Kunst; mir kurz vorher von einem verehrten bekannten Meister empfohlen. – Er trug auch im Aeußeren alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: das ist ein Berufener. Am Clavier sitzend, fing er an, wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kunst hineingezogen. Dazu kam ein ganz geniales Spiel, das aus dem Clavier ein Orchester von wehklagenden und laut jubelnden Stimmen machte. Es waren Sonaten – mehr verschleierte Symphonien – Lieder, deren Poesie man, ohne die Worte zu kennen, verstehen würde, obwohl eine tiefe Gesangsmelodie sich durch alle hindurchzieht; einzelne Clavierstücke, theilweise dämonischer Natur, von der anmuthigsten Form; dann Sonaten für Violine und Clavier, Quartette für Saiteninstrumente, und jedes so abweichend vom andern, daß sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen. Und dann schien es, als vereinigte er, als Strom dahinbrausend, alle wie zu einem Wasserfalle, über die hinunterstürzenden Wogen den friedlichen Regenbogen tragend und am Ufer von Schmetterlingen umspielt und von Nachtigallenstimmen begleitet. Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen im Chor und Orchester ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbare Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor. Möchte ihn der höchste Genius dazu stärken, wozu die Voraussicht da ist, da ihm auch ein anderer Genius, der der Bescheidenheit, innewohnt! Seine Mitgenossen begrüßen ihn bei seinem ersten Gange durch die Welt, wo seiner Wunder warten werden, aber auch Lorbeeren und Palmen; wir heißen ihn willkommen als starken Streiter.“

Vom Jahre 1854 ab lebte Brahms längere Zeit in Hannover, eine Weile auch in Detmold, wo er die Hofconcerte und den Gesangverein (unter dessen active Mitglieder der Fürst selbst gehörte) dirigirte. Im Uebrigen führte er in den schönen zwanziger Lebensjahren ein herrliches künstlerisches Wanderleben. Seit dem Jahre 1862 hat er Wien zu seiner Heimath gemacht und daselbst auch in einflußreichen Directionsstellungen sich um das Musikleben der österreichischen Hauptstadt große Verdienste erworben.

Wer die innere Biographie des Künstlers kennen lernen will, der suche sie in seinen Werken! Sie erzählen die höchst erfreuliche Geschichte von einer großen Begabung und einem großen Charakter. Ich weiß nicht, wie weit der Sturm, welcher durch die ersten Werke von Brahms dahinbraust, einen Bezug auf des Componisten eigenes Leben hat. Aber gewaltig hat sein Herz in der Lenzeszeit zu pochen gehabt. Wie heftig geht es in jener Fis-moll Sonate zu, welche als Op. 2 Frau Clara Schumann gewidmet ist! Wie ist das riesig und furchtbar im Wüthen und Klagen, wie kindlich rührend, wie unwiderstehlich innig im Bitten und im Sehnen! Ein kühner, kraftvoller Recke, stellte sich der Brahms von zwanzig Jahren sogleich in die Nähe des alten Beethoven, bei dem die Sturm- und Drangperiode gegen das Ende des Lebens sich am stärksten äußerte. Es gehen in diesen Erstlingswerken Gestalten von wundersamer Originalität umher. Manches ist so titanisch, daß eine Zeit, welche noch vollständig von dem freundlichen und humanen Genius Mendelssohn's beherrscht wurde, davon befremdet sein mußte. Vieles ist darin nächtig und schaurig. Dann hat er aber auch wieder Weisen so freundlich ansprechend, als hätten wir sie von der Mutter gehört oder selbst als Kinder gesungen. Wie träumt er sich in seinen väterlichen Freund Schumann hinein, wenn er ein Thema desselben variirt! Man könnte glauben, dieser spräche selbst, wenn nicht da und dort ein schmerzlicher Ausruf erklänge, der dem elenden Schicksale des großen Meisters gilt. Es ist ganz die Weise, wie Schumann selbst Grabreden auf Vater Sebastian Bach in Orgelfugenform gehalten hat.

Dann scheint er wieder einmal musikalische Photographie zu treiben; denn diese absonderlichen Themen, dieses Kreuz und Quer, Hin und Her muß einer Figur gelten, die wirklich gelebt hat; für die reine Erfindung ist es zu regellos. Wie aber seine Phantasie mit allen diesen Gebilden der Leidenschaft, des Humors, der Grazie und der weichsten Empfindung spielt – so frei, so sicher und so groß: das haben, so lange es eine Kunst giebt, gewiß nur wenige Jünglinge gekonnt, und Schumann war ganz in seinem Rechte, wenn er in einem Componisten solcher Jugendarbeiten ein Meistergenie allererster Art ersah. Diese Compositionen taugen freilich nicht als Vorbereitung zum Schlafengehen, überhaupt nicht in den Salon, eigentlich auch nicht in den Concertsaal. Aber gekannt zu werden verdienen sie, und nicht blos von denen, die sich für Brahms speciell interessiren. Ihm ist es jedenfalls nicht leicht geworden, sich aus der Sphäre dieser Werke zu befreien. Denn der Zug zum Maßlosen, welcher in ihnen hervortritt, war nicht blos in der überreichen Natur des Künstlers begründet, sondern er war und ist noch heute das Zeichen der Zeit. Darauf aber beruht zum großen Theil die Größe der wahren Meister, daß sie die Gefahren ihrer Zeit erkennen und überwinden.

Wie Brahms diesen Künstlerkampf geführt hat, das ist für Jünger der Kunst sehr lehrreich zu studiren. Ob das äußere Schicksal ihm hierbei hülfreiche Hand geboten? Es kann sein. Wenn die Serenade in D-dur, welche als Op. 11 nach jahrelangem Zwischenraum den Clavierballaden folgte, mehr ist als eine frei poetische Schöpfung, so deutet sie auf äußerst glückliche Tage. Sie schildert Jugend und Liebe, schöne Abendstunden in mondbeleuchtetem Garten, und auch die drolligen Musikantenstreiche fehlen nicht. Wie die Form an eine Sitte jener guten alten Zeit anlehnt, in welcher noch der manierliche Liebhaber vor das Haus der Angebeteten eine musikalische Ovation zu bestellen für gut fand, so schlägt Brahms in dem Werke auch den Ton jener Periode sehr ergötzlich an. Die G-dur-Menuett, in der Fagotte und Clarinetten eine Hauptrolle haben, klingt in ihrer Gutmüthigkeit und Schwärmerei doch auch ein wenig spießbürgerlicher, als wir dies heute gewöhnt sind, und hat in dieser Mischung von Treuherzigkeit und Spaßhaftigkeit in der neueren Instrumentalliteratur kaum ein anderes Seitenstück, als die Scene der Pifferari in der Harold-Symphonie von Hector Berlioz. Als Op. 16 folgte später noch eine zweite Serenade (A-dur), welche, ähnlich wie Méhul's Oper „Uthal“, die Bratsche zur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_222.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)