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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

in den Behälter eintreten mag. Es findet also ein geradliniges Abschleudern der Molekeln von dem negativen Pole senkrecht zu dessen Oberfläche statt. Ja noch mehr, dieser gerade ausgehende Strom projicirt die gesammte Oberflächenbeschaffenheit der Kathode auf die gegenüberliegende Wand. Eugen Goldstein in Berlin hat dies in einem sehr schönen, durch Crookes nicht erwähnten Versuche dargethan, indem er als Kathode eine scharf geprägte Münze anwendete. Diese Münze erschien alsbald durch Phosphorescenzlicht leuchtend auf der gegenüberliegenden Glaswand und konnte daselbst photographirt werden, zum Beweise, daß die chemischen Strahlen eine große Rolle dabei spielen.

Ein diesem Strom entgegengestelltes, niederlegbares Kreuzchen erschien in dem an der gegenüberliegenden Glaswand auftretenden Lichtschein als Schatten, wie Hittorf und Goldstein beobachtet haben, und wenn man nun das Kreuzchen niederlegte, so erschien die Stelle des Schattenkreuzes heller leuchtend als die Umgebung und verhielt sich also ähnlich wie die menschliche Netzhaut im Auge, die uns ein helles Kreuz zeugt, wenn wir von dem dunklen Kreuze im Fenster nach längerem Anschauen das Auge in einen dunklen Winkel richten, welches Experiment einige fromme Patres im siebenzehnten Jahrhundert zu den christlichen Wundern gerechnet haben. Es findet also eine Art Ermüdung der Glasfläche, ähnlich derjenigen der thierischen Netzhaut, an den länger vom Lichte beschienenen Stellen statt, und die vorher beschatteten Stellen zeigen sich geneigter, vom Lichte erregt zu werden.

Wie Hittorf und andere deutsche Forscher lange vor Crookes beobachtet haben, zeigen verschiedene mineralische Substanzen, von dem Kathodenlichte bestrahlt, ein viel stärkeres Leuchten als das Glas, allein Crookes scheint zuerst beobachtet zu haben, daß manche Diamanten hierbei mit der Helligkeit einer brennenden Kerze strahlen („Gartenlaube“ 1880, Seite 12).

Sehr merkwürdig sind ferner die Beobachtungen, welche Hittorf über die hohen Temperaturen gemacht hat, welche durch die von der Kathode ausgehenden Strahlen erzeugt werden können. Indem Crookes dem negativen Pole die Gestalt eines kleinen Hohlspiegels gab, kreuzten sich die von allen Punkten desselben senkrecht ausgehenden Strahlen in einem Brennpunkte, in welchem ein daselbst befinnliches Stückchen Iridium, eines der am schwersten schmelzbaren Metalle, schmolz.

Wir müssen bei dieser Gelegenheit auf einen unliebsamen Nebenumstand die Aufmerksamkeit der deutschen Leser richten, aber wir wünschen, daß ihn auch die ausländischen beherzigen möchten. Crookes hat in seinem oben erwähnten, aus der vorjährigen Jahresversammlung der britischen Naturforschergesellschaft gehaltenen Vortrage alle diese Experimente so dargestellt, als ob dieses ganze Gebiet höchst merkwürdiger physikalischer Erscheinungen zuerst von ihm eröffnet und entdeckt worden wäre. Und was noch schlimmer ist, er hat auch in seinen den wissenschaftlichen Gesellschaften Englands vorgelegten Originalabhandlungen das gleiche Verfahren eingeschlagen. Nun gehören ihm aber von allen hier im Fluge skizzirten Experimenten höchstes die, bei denen es sich um die mechanische Wirkung in Bewegung gesetzter Molekeln handelt, als erstem Entdecker erb- und eigenthümlich zu; die erwähnten optischen, thermischen und magnetischen Erscheinungen sind lange vorher ausführlich von deutschen Forschern, nämlich von Hittorf (seit 1869), E. Goldstein, Reitlinger und Anderen in den Schriften der Berliner und Wiener Akademie der Wissenschaften, in Poggendorff’s Annalen der Physik etc. ausführlich beschrieben worden. Es ist möglich, daß Crookes diese in Deutschland längst bekannten Entdeckungen, ohne sie zu kennen, noch einmal gemacht hat, aber auch jetzt, nachdem er über diesen Sachverhalt genau unterrichtet worden ist, hält er es für unnöthig, die Priorität der deutschen Forschung auf diesem Gebiete zu erwähnen.

Wir würden eine solche betrübende Thatsache nicht vor ein so großes Publicum, wie das der „Gartenlaube“, bringen, wenn sie vereinzelt dastände, aber leider ist sie nur ein Glied in einer großen Reihe ähnlicher Erscheinungen, in welcher englische Forscher sich wissentlich und geflissentlich die Priorität von Entdeckungen zuschreiben, die Jahre lang vorher in Deutschland gemacht worden sind. Schreiber dieses könnte dafür persönliche Erfahrungen beibringen, wenn es ihm nicht widerstrebte, in eigener Sache zu plaidiren. Und oft mag eben eine mildere Auffassung dieser Vorkommnisse am Platze sein. Während der deutsche Gelehrte, so viel es ihm möglich ist, die wissenschaftlichen Journale seines Faches aus allen Culturstaaten verfolgt, kümmert sich der englische Gelehrte wenig um dieselben. Die Wissenschaft isolirt sich auf dem Insellande ebenso wie die Politik. Daher kommt es, daß der englische Gelehrte, unbekannt mit den Fortschritten der Wissenschaft auf dem Continente, oft auf mühevollen Wegen Entdeckungen macht, die hier seit Jahrzehnten bekannt sind. Im vollen Bewußtsein der selbstgemachten Entdeckung ignorirt er dann die von fremder Seite erhobenen Prioritätsansprüche völlig und scheint es nicht zu empfinden, daß er wider Willen den Eindruck eines Usurpators und Plagiators macht. Abgesehen von allen nationalen und persönlichen Empfindlichkeiten muß es aber auf jeden Freund des Fortschritts einen höchst betrübenden Eindruck machen, zu sehen, wie oft unzweifelhaft bedeutende Kräfte jenseits des Canals sich in einer für die Wissenschaft beinahe völlig unfruchtbaren Arbeit erschöpfen, indem sie längst entdeckte und bekannte Dinge noch einmal und immer wieder von Neuem entdecken, statt daß sich die Forscher der verschiedenen Nationen in dieser großen Culturarbeit gegenseitig stützen und ergänzen sollten zu einem schnelleren Fortschreiten vermittelst einer möglichst weitgetriebenen Arbeitstheilung.

Die „Gartenlaube“ hat ihre Stimme oft – zuletzt in dem Artikel über Gay-Lussac – in diesem Sinne erhoben, und man kann diese Mahnung nicht oft genug wiederholen. Denn noch immer ist die Summe unseres Wissens gering gegen die Masse dessen, was wir nicht wissen, und darum keine Arbeitskraft auf dem unendlichen Gebiete der Forschung entbehrlich.

Doch kehren wir von dieser Abschweifung zurück zu der strahlenden Materie! Welche Hoffnungen muß nicht ein Forschungsgebiet erwecken, in welchem wir jene kleinsten Theile, von denen schon die alten Philosophen träumten, daß sie die Welt aufbauen, von den Hemmnissen des Atmosphärendruckes befreit, alle ihre Kräfte entfalten sehen! „Wir haben thatsächlich,“ sagt Crookes, „das Grenzgebiet berührt, wo Materie und Kraft in einander überzugehen scheinen, das Schattenreich zwischen dem Bekannten und Unbekannten, welches für mich immer besondere Reize gehabt hat. Ich denke, daß die größten wissenschaftlichen Probleme der Zukunft in diesem Grenzlande ihre Lösung finden werden und selbst noch darüber hinaus; hier, so scheint mir’s, liegen letzte Realitäten.“

In der That dürfte dies nicht zu viel gesagt sein; denn an den Grenzen des geballten Stoffes der Weltkörper, jenseits ihrer Atmosphären, muß ja eine große Wirksamkeit der strahlenden Materie beginnen, und wir können noch nicht einmal ahnen, welche Rolle ihr spätere Forscher in der Weltentstehung und in der Wechselwirkung der Himmelskörper zuerkennen werden.

Carus Sterne.



Das Frühlingsblümchen.
Erzählung von A. Godin.
Fortsetzung.

Isen hielt inne und blickte träumerisch in’s Weite.

„Verzeihen Sie,“ sagte er nach einer Weile, „verklungene Jahre zogen an mir vorüber, wie eine Wolke um Sonnenuntergang – erst farblos, dann von Purpur und Gold umsäumt, endlich zerfließend. „Es war doch eine schöne Zeit!“ Er strich sich das dunkle Haar zurück. „Sie kennen den Ort nicht? Nur ungenügend läßt er sich beschreiben, und doch gehört die Scenerie zu Allem, was Sie hören sollen. Wie ein Kindlein in der Wiege liegt das grüne Kleinod dem schwimmenden Wasser im Schooße, von Binsen umsäumt, in leiser Hebung aufsteigend – nichts als ein rings von Wellen umspülter Garten, in dessen Mitte ein lichtes Haus steht, gleich Dornröschens Schloß von Rosenhecken bewacht. Farbige Beete blicken aus grünem Rasen und unter prächtigen Baumgruppen hervor, verstohlene, schattige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_226.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)