Seite:Die Gartenlaube (1880) 254.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


an's Land zu bringen. Auch das gelang der Anstrengung der drei Männer, aber es war ein Glück, daß kein neuer Zwischenfall kam; denn alle Drei waren so ziemlich am Rande ihrer Kräfte, als sie endlich an's Ufer stießen.

Die Bauern und Fährleute waren in's seichte Wasser gesprungen und zogen jetzt das unbeholfene Fahrzeug vollends heran. Mit Balken und Brettern war alsbald auch eine Brücke eingerichtet, auf welcher man die vor Schreck schäumenden und zitternden Pferde und auch den Wagen an's Land bringen konnte. Jedermann griff eifrig zu; denn der Graf hatte allen ursprünglichen Zorn vergessen, freigebige Belohnungen ausgesetzt und statt der Verwünschungen, die er zuerst auf die „verlotterten, dickknochigen Bauernschädel“ hatte herabwettern lassen, nur noch ein aus erleichtertem Herzen kommendes „Charmant! charmant!“ auf den Lippen, während er Witold's nasse Hand zwischen der seinen preßte.

„Ach, das war interessant!“ trillerte der kleine Canarienvogel dazwischen. „Siehst Du, Papa, wie Recht ich hatte, auf die Wasserfahrt zu bestehen! Nun habe ich doch auch ein Mal ein Abenteuer erlebt. Wenn ich nur auch mit auf der Fähre gewesen wäre! Es muß sehr hübsch sein, seinem Lebensretter danken zu können.“

Sie versuchte dabei einen Blick, der einem solchen Gefühle entsprach, Steinweg jedoch, dem er zugedacht war, wendete sich ab, weniger vielleicht aus Bescheidenheit, als weil er noch zu thun hatte, mit seinem Athem einigermaßen in's Gleichgewicht zu kommen; der Schweiß rann ihm in ziemlich eben so dicken Tropfen von der Stirn, wie Witold das Wasser.

Dieser hatte seinem Lebensretter übrigens nicht einmal die Hand geboten, auch kein Wort geäußert, und erst als ihm von Steinweg der Antrag gemacht wurde, sofort den Arzt aus der Stadt zu schicken, warf er ablehnend hin, ohne den Rittmeister jedoch anzusehen: „Bah, eines Bades wegen!“

„Aber die Erkältung in dieser Jahreszeit!“ meinte der Graf.

„Das Zurückrudern wird mich schon warm erhalten,“ erklärte dagegen Witold und benutzte das auch als Entschuldigung, um sich zu entfernen, ehe noch Alles zur Abfahrt des Wagens gerüstet war.

Nachdem er sich die Zusendung eines Arztes noch einmal ernstlich verbeten hatte, bestieg Witold sein Boot. Dasselbe rauschte in die Wellen hinaus, unbekümmert um die Comtesse mit ihrer Versicherung, wie wunderbar Alles gewesen, wie es so gut zu dem Liede „Loreley“ gepaßt und wie sie es, sobald sie nach Hause gekommen, haarklein ihrer Freundin, Mimi Hartenstein, schreiben müsse etc.

Sie wedelte mit ihrem Taschentuche in der Richtung zu den Damen hinüber, vom jenseitigen Ufer antwortete jedoch nur ein einziges weißes Tuch, und vielleicht galt dieses Zeichen über den Fluß nicht einmal ihr.

Nur Lora hatte gewinkt. Ihre Schwester, die Tante und selbst das Kind hatten noch nicht die Beruhigung wiedergewonnen für solch halb tändelndes Thun. Noch lag Lisa, mehr einer Leiche als einer Lebenden gleich, auf den Knieen im Kiese. Sie hatte die Sinne schwinden gefühlt und war niedergeglitten, aber so lange sie die Augen noch brauchte, durften sie ihr nicht versagen; dafür schien es, als wäre mit dem wilden gellenden Aufschrei ihre Zunge für immer verstummt. Regungslos lehnte sie an dem Gitter, das sie umklammerte – sie mußte sich festhalten, um jetzt hinterher nicht umzusinken, und weder das kleine Gretchen, das sich an sie drängte, noch die Tante, die sich, nachdem der eigene Schreck überwunden war, mit freundlicher Aufmunterung an sie wendete, brachten sie zum Reden. Nicht eine Thräne erleichtert ihr das Herz.

Erst als das Boot, das unter Witold's und Peter's Ruderschlägen pfeilschnell über den Fluß daherschoß, sich schon dem Ufer näherte, raffte sie sich auf, um ihrem Gatten an die Landungsstelle entgegen zu gehen. Als er den Fuß auf die Treppe setzte, fiel der erste Schimmer der aufgehenden Mondscheibe auf sie und ließ ihr kreidebleiches Gesicht fast gespensterhaft erscheinen.

Lora und Gretchen stürmten auf ihn ein, und er hatte Mühe ihnen zu wehren.

„Kinder, Ihr werdet naß,“ warnte er sie.

Sie ließen sich jedoch nicht zurückhalten, und er nahm Lora's Kuß hin und hob Gretchen zu seinem Munde empor.

„Glaubst Du, wir ließen uns dadurch abschrecken?“ rief Lora begeistert aus. „Du Retter in der Noth, was haben wir um Dich für Angst ausgestanden! Aber auch der Retter fand seinen Retter. Ach, es war schön von ihm, und wir wollen ihn dankbar in unseren Herzen aufnehmen. Sag selbst, hat er es nicht wohlverdient um Dich, um uns Alle? Aber eigentlich sah es beinahe komisch aus – ein Husar als Walfischfänger. Wie wenn er Dich harpunirte, war es anzusehen. Seien Sie stolz auf Ihren Fischzug, Herr Capitain!“

Die letzten Worte rief sie lachend über den Fluß, obwohl der Ton nicht hinüberreichen konnte. Aus dem schattenhaft gewordenen Gewühl drüben setzte sich die endlich flott gemachte Kutsche in Gang, das schwerfällige Fährboot aber bewegte sich an der Zugleine langsam aufwärts seinem Anlegeplatze zu.

Witold sah nicht mehr zurück; er stand jetzt vor seiner Frau, welche die Hand erhoben hatte und sie ihm zitternd darreichte. Sie hatte gesehen, wie ihre Schwester ihn umhalst hatte, wenn auch immerhin mit einiger Vorsicht; o wie gern hätte sie nun den Triefenden umfangen – aber sie hatte kein Recht, an dieser Brust einen Platz zu suchen, von dem sie nicht Besitz ergriffen, als er ihr geboten wurde, und von dem sie nun eine Andere verdrängte.

Aber doch die Hand, die Hand brauchte er ihr nicht zu verweigern, mit der auch hier wiederholten Ausflucht, sie sei naß! Und wie herb hatten seine Worte gelautet, als sie mit stockender Stimme die ersten abgebrochenen Laute hervorbrachte!

„Ich freue mich,“ hatte sie kaum hörbar gestammelt.

Wohl war es ein gewöhnlicher, kühlklingender, einfältiger Anfang, aber was hätte sie in dieser Minute sagen sollen, um damit auszudrücken, was sie bewegte! Am Ende war es ja doch zunächst die Freude, daß er da lebend und unversehrt vor ihr stand, was sie fühlte, und sie hätte es nicht verdient, daß ihr ein so höhnischer Zweifel in seiner Erwiderung begegnete:

„Du freust Dich? Es wäre vielleicht einfacher und bequemer gewesen, wenn –“

Was er wohl gemeint und nun am Ende doch auszusprechen unterlassen hatte? Der böse Blick, mit dem er sie durchbohrte, verstattete kaum eine harmlose Erklärung; bitter lächelnd ging an ihr vorüber dem Hause zu.

Selbst der Tante wollte diese unfreundliche Begegnung nicht gefallen. Als sie später, nachdem Witold sich umgekleidet hatte, mit dem Thee zu ihm auf's Zimmer trat – denn etwas mußte er nach ihrer Meinung, trotz aller Abweisung, doch zu sich nehmen, damit er sich innerlich erwärme – da konnte sie sich nicht enthalten, ihm in's Gewissen zu reden. Aber er unterbrach sie schon bei den ersten Worten voll Ungeduld.

„Sieht man so aus, wenn man sich freut?“ wendete er unmuthig die Achseln zuckend ein. „Wie ganz anders zeigte Lora ihr Empfinden!“

„Sei nicht ungerecht wie Lear! Es ist doch noch gar nicht lange, daß Du uns das Stück vorgelesen. Denke an Cordelia! Es giebt Naturen, bei denen die Gefühle nicht so leichtflüssig sind und als lustiger Bach von der Zunge gehen.“

„Es ist nicht Jede eine Cordelia, die schweigt.“

„Lisa aber scheint mir zu dieser Rasse zu gehören.“

„Du willst mich doch nicht glauben machen, daß bei ihr wirkliche Empfindung unausgesprochen blieb?“

„Wenn Du gesehen hättest, wie sie mit einem verzweifelten Angstschrei zusammenbrach, als Du in's Wasser stürztest, so müßtest Du bei dem Anblicke dieses Entsetzens auch Mitleid gefühlt haben, noch neben dem eigenen Schreck.“

„Vielleicht ein Entsetzen vor der Erfüllung des eben erst im Stillen gehegten Wunsches.“

„Witold!“ rief die alte Dame, indem sie die Hände faltete und betroffen auf seine hohnvoll verzerrte Miene blickte. „Was hast Du? Bedenke, welche furchtbare Anklage gegen Deine eigene Frau! Ich weiß es wohl, daß Ihr nicht glücklich lebt; ein Blinder müßt' es sehen; die Beschuldigung aber, die Du erhebst, ist sinnlos. Was hielte sie bei Dir fest, wenn nicht ihr Wille?“

„Vielleicht noch heute; im höchsten Falle bis morgen.“

„Du irrst, Du irrst. Und Du thust ihr Unrecht.“

„Ich?! Du scheinst ja plötzlich ihr warmer Anwalt geworden zu sein.“

„Weil ich sie anders beurtheilen gelernt habe. Geh Du erst Wochen und Wochen neben einem Menschen her, von früh bis Abends, und Du wirst bald sehen, weß Charakters und Gemüths

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_254.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)