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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

mit dem Lichte von sechs Argand’schen Lampen experimentirend gefunden, daß im Dunkeln getriebene weiße Pflanzen sich an dieser Lichtquelle grün färbten, also Chlorophyll bildeten, aber er konnte ebenso wenig wie spätere Untersucher finden, daß die Pflanzen bei diesem schwachen Lichte Kohlensäure zersetzen, was sich leicht an der dadurch herbeigeführten Ausscheidung von Sauerstoffgas, der Lebensluft der Thiere, erkennen lassen würde. Sie ergrünten, aber ohne merkliche Ernährungserscheinungen zu zeigen.

Man glaubte nun eine lange Zeit hindurch, daß der Mangel der gewöhnlichen künstlichen Lichtquellen an sogenannten chemischen Strahlen – der geneigte Leser wolle über dieselben „Gartenlaube“ 1880, Nr. 1 nachlesen – es sei, welcher sie unfähig mache, die Ernährungsprocesse in der Pflanzenzelle anzuregen. Allein genauere Untersuchungen der deutschen Botaniker Sachs, Kraus und Pfeffer (1866 bis 1872) zeigten, daß es nicht die dunklen chemischen Strahlen des Sonnenspectrums, welche sich bei der Photographie so wirksam erweisen, sondern im Gegentheil die leuchtendsten gelben Strahlen sind, welche die stärkste Kohlensäurezersetzung hervorrufen. Wenn sie eine Anzahl Wasserpflanzen derselben Art in ganz mit Wasser gefüllten Glocken in den rothen, gelben, grünen, blauen und violetten Raum des Sonnenspectrums brachten, so schieden stets die in den gelben Raum gestellten Pflanzen die größte Sauerstoffmenge ab.

Schon früher hatte man indessen bemerkt, daß beim Gedeihen der Pflanzen doch auch die chemischen Strahlen eine wichtige Rolle spielen, indem sie es sind, welche die Bewegungen der Pflanzen regeln und sie nach der Sonne richten. Pflanzen, die im Schatten wachsen, schießen bekanntlich sehr schnell in die Länge, wo aber der Stengel von den chemischen Strahlen des Lichtes getroffen wird, hindern dieselben dieses geile Wachsthum und es entsteht eine Gewebespannung, welche natürlich bewirken muß, daß sich der auf der dunklen Seite stärker verlängerte Stengel dem Lichte zuwendet. Unter den verschieden schnellschwingenden Strahlen des Sonnenlichtes besteht also dem Pflanzenleben gegenüber eine merkwürdige Arbeitstheilung. Die langsamsten (Wärmestrahlen) befördern die innere Weiterverarbeitung der aufgespeicherten Stoffe, das Wachsen, Treiben und Entfalten, die schneller schwingenden rothen, gelben und grünen Lichtwellen regen die Stoffaufnahme an, und die schnellsten blauen, violetten und ultravioletten Strahlen richten die Pflanze nach der Licht- und Wärmequelle hin. Man dürfte hiernach vermuthen, daß das elektrische Licht vermöge seines Reichthums an chemischen Strahlen eine stark richtende Wirkung auf die Pflanzen äußern müsse, und diese Wirkung wurde in der That bereits 1861 durch Versuche von Hervé-Mangon bestätigt. Diese Experimente fortsetzend, hat der französische Naturforscher Prillieux vor einigen Jahren zeigen können, daß das elektrische Licht, und ebenso das sogenannte Drummond-Licht, ja sogar intensives Gaslicht wirklich aus Wasserpflanzen Sauerstoff entwickelt, also die Aufnahme von Nährstoffen ebenso anregt wie das Sonnenlicht.

Man sieht, es handelt sich in den neueren Versuchen von Siemens um keine neue naturwissenschaftliche Entdeckung, sondern nur um die praktische Erprobung der wissenschaftlich längst festgestellten Wirkung des elektrischen Lichtes auf die Pflanzen in einem etwas größeren Maßstabe und mit dem Hintergedanken einer ökonomischen Ausbeutung dieser Wirkungen. Gleichwohl haben diese Versuche ein allgemeineres Interesse, weshalb wir etwas genauer darauf eingehen wollen. Herr Siemens wollte zunächst feststellen, welche Einwirkung starkes elektrisches Licht auf das Gedeihen der Pflanzen habe, und wendete eine durch einen Otto’schen Gasmotor getriebene dynamo-elektrische Maschine an, welche Licht von einer 1400 Kerzen gleichkommenden Stärke erzeugte. Die mit einem metallischen Hohlspiegel versehene Lampe wurde zunächst in freier Luft ungefähr zwei Meter hoch über dem Glasdache eines unterirdischen Melonenhauses angebracht, in welchem eine beträchtliche Anzahl von Blumentöpfen mit eingesäeten oder eingepflanzten schnellwachsenden Gartengewächsen, wie Senf, Möhren, Zuckerrüben, Bohnen, Gurken und Melonen aufgestellt waren. Die Pflanzen konnten dort, ohne vom Platze bewegt zu werden, abwechselnd dem Tageslicht und dem beinahe unter demselben Winkel einfallenden elektrischen Lichte ausgesetzt werden.

Die Töpfe wurden in vier Gruppen getheilt, von denen die erste gänzlich im Dunkeln gelassen die zweite einzig dem Einflusse des elektrischen Lichtes, die dritte allein dem Tageslichte und die vierte dem elektrischen und dem Tageslichte abwechselnd ausgesetzt wurden. Das elektrische Licht wirkte täglich von fünf bis elf Uhr Abends ein, und den Rest der Nacht blieben die Pflanzen im Dunkeln. In allen Fällen waren die Wirkungsunterschiede unverkennbar. Die im Dunkeln gelassenen Pflanzen waren blaßgelb, schmächtig im Wuchs und starben bald. Die allein dem elektrischen Licht ausgesetzten Pflanzen zeigten lichtgrüne Blätter und besaßen hinreichende Kraftfülle, um weiter zu leben. Die dem Tageslicht allein ausgesetzten Pflanzen waren von einem dunkleren Grün und größerer Kräftigkeit. Die den beiden Lichtquellen ausgesetzten Pflanzen zeigten eine entschiedene Ueberlegenheit in der Kraftfülle über alle andern und ihr Grün war von einer reichen dunklen Farbe. Hierbei muß bemerkt werden, daß das elektrische Licht nur halb so lange wie das Tageslicht und unter ungünstigen Verhältnissen wirkte, weil die Glasbedeckung des Hauses in den kühlen Nächten stark mit Feuchtigkeit beschlug und weniger Licht einließ.

Nach diesen gelungenen Vorversuchen brachte Siemens das elektrische Licht in’s Gewächshaus selbst, indem er die Versuchspflanzen diesmal in drei Gruppen theilte und sie entweder nur dem Tageslichte oder nur dem elektrischen Lichte (je elf Stunden) oder beiden Lichtpunkten abwechselnd je elf Stunden aussetzte. Diese Experimente wurden vier Tage und Nächte hindurch fortgesetzt und zeigten ganz entschieden den günstigen Einfluß des elektrischen Lichtes, obwohl die dem Tageslichte ausgesetzten Pflanzen im Allgemeinen die nur dem elektrischen Lichte ausgesetzten Pflanzen an Frische übertrafen. Sehr merklich war die gleichzeitig von dem elektrischen Bogen gespendete Hitze, welche erlaubte, die Heizung einzustellen. Die von ihm erzeugte Kohlensäure reichte hin, die Pflanzen ohne Ventilation zu ernähren, und von den gleichzeitig in geringer Menge gebildeten Stickstoffverbindungen wurde ein schädlicher Einfluß auf die Pflanzen nicht bemerkt.

Diese Experimente sind nicht blos dadurch lehrreich, daß sie das Vermögen des elektrischen Lichtes beweisen, die Pflanzen an Stelle der Sonne zu ernähren und am Leben zu erhalten, sondern noch besonders durch die Bestätigung der Erfahrung, daß den Pflanzen eine eigentliche Nachtruhe nicht nöthig ist. Pflanzen, die ihre Blätter und Blüthen während der Nacht zum sogenannten „Schlaf“ schließen, thun dies nicht aus Müdigkeit, sondern nur weil der Licht- und Wärmereiz der Sonnenstrahlen fehlt und weil sie sich im geschlossenen Zustande besser gegen Nachtkühle und Nachtthau schützen. Unter die elektrische Lampe gebracht, breitete eine schlafende Acacia lophanta ihre zusammengelegten Fiederblätter alsbald wieder aus. Freilich würde man aus diesen viertägigen Experimenten noch nicht auf die völlige Entbehrlichkeit der Nachtruhe für die Pflanzen schließen können, wenn man nicht wüßte, daß in den Polarregionen, im nördlichen Schweden, Norwegen und Finnland Getreide in den beiden Sommermonaten, während die Sonne beinahe ununterbrochen über dem Horizonte ist, ungewöhnlich schnell wächst und reift. Diese schnellen Ernten könnte man also durch Ersatz des Sonnenlichtes mittelst des elektrischen Lichtes während der Nacht auch in andern Breiten erzielen, wenn das sich verlohnte. Die Pflanzen verrichten weder Muskel- noch Kopfarbeit – wozu sollten sie also der Nachtruhe bedürfen?

Der nächste Versuch bestand darin, daß die elektrische Lampe derartig an der südlichen Seite der Decke eines gläsernen Palmenhauses angebracht wurde, daß ihre Strahlen unter einem ähnlichen Winkel, wie die der Mittagssonne, die Pflanzen trafen. Die elektrische Lampe war eine ganze Woche hindurch (vom 18. bis 24. Februar) täglich, mit Ausnahme der Sonntagnacht, von fünf Uhr Abends bis sechs Uhr Morgens in Thätigkeit, und alle Pflanzen zeigten dabei ein gesundes Aussehen. Von drei Alicante-Weinreben machte die dem elektrischen Lichte zunächst stehende die meisten Fortschritte, und dasselbe konnte an den Nektarpfirsichen und Rosen bemerkt werden. Auch die nächststehenden Pflanzen, z. B. ein Geranium, wurden von der Hitze nicht beeinträchtigt; die Blätter nahmen eine dunklere und kräftigere Farbe an, und die Blumenfarbe der blühenden Pflanzen schien lebhafter als gewöhnlich zu sein. Dieser Versuch, obwohl ebenfalls von zu kurzer Dauer, um alle Zweifel zu heben, scheint doch den Schluß zu erlauben, daß das elektrische Licht in Gewächshäusern verwendet werden kann, ohne daß die Pflanzen Schaden leiden.

Ein fernerer Versuch sollte die Wirkung des elektrischen Lichtes auf unter Glas und in freier Luft wachsende Pflanzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_267.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)