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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Kopf ein wenig in den Nacken, und das Auge, das befangen gesenkt gewesen, hob sich wieder frei.

„Für mich, meinen Sie, daß Witold das Pferd kaufen will?“ nahm sie in lebhaftem Tone das Wort. „Nun, da könnten wir ja gleich eine Probe machen, ob es taugt.“

„Gewiß, sobald ein Damensattel aufgelegt ist.“

„Ach – geht es denn nicht auch so?“

Sie fragte, bat und besiegte jeden Einwand, Steinweg, der sich zu glücklich fühlte, ihr einen Wunsch erfüllen zu können, noch dazu einen, der so gut mit seinen eigenen Wünschen stimmte, hielt gern sein Pferd, das er bisher an dem lose um den Arm geschlungenen Zügel geführt hatte, an und richtete es, so gut es ging, für die geänderte Bestimmung ein. Zur Noth genügte es ja, daß der linke Bügel kürzer geschnallt und der rechte über den Sattelknopf herüber geschlagen wurde. Er selbst stellte sich bereit und hielt die Hand hin, damit der Recrut das Füßchen darauf setze.

Lora aber schüttelte lachend den Kopf.

„Auf Bedingungen, Herr Rittmeister,“ sagte sie abwehrend. „In Ermangelung eines Reitkleides bin ich hoch zu Pferd nur auf der rechten Seite präsentabel. Ich bitte, sich dort hinüber zu verfügen und drüben zu bleiben. Hier der Prellstein wird so gefällig sein, mir den Stallmeister zu ersetzen.“

Unterwürfig fügte sich Steinweg der Vorschrift. Es ging wirklich ganz vortrefflich. Mit graziöser Gewandtheit schwang sich Lora in den Sattel, und so unbehülflich ihr auch die Führung anstand, wollte sie, nachdem Steinweg erst die Zügel in ihrer Hand geordnet, doch nichts davon wissen, daß er dieselben halte; ja sie forderte sogar die Gerte von ihm.

Bewundernd sah er zu der hübschen schlanken Reiterin auf, während er neben dem ruhig ausschreitenden Pferde einherging. Er gab ihr dabei Rathschläge über Haltung und Gebrauch der Hülfen. Sie schien rasch zu begreifen, aber doch ein wenig ängstlich. Sie hielt, ritt wieder an. Es ging wunderbar.

„Sind Sie mit Ihrem Recruten zufrieden?“ fragte sie. „Ach, hätten wir lauter solche! Ich behielte mir diese Abtheilung ganz allein vor.“

„Welcher Diensteifer! Haben Sie denn an einem nicht genug? Nein, kommen Sie nicht so nahe, als wenn Sie dem Pferde jeden Augenblick in die Zügel fallen wollten! Wenn ich traben soll, muß ich Raum haben.“

„Traben?“ rief er erschrocken aus. „Nein, das geht doch nicht. Da müßte ich das Pferd an der Longe oder in einer Reitschule haben. Sie müßten einen Kreis um mich beschreiben.“

„Aber ich will traben.“

„Ich beschwöre Sie, Lora – es könnte einen Unfall geben.“

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als in dem Moment, wo seine Hand schon nach den Zügeln faßte, das Pferd als ob es von der Bewegung erschreckt wäre, einen Ruck that und sich in schärfere Gangart setzte. Nur war es kein Trab, sondern Galopp. Lora griff in die Mähnen.

„Mein Gott, ich falle,“ hörte er sie angstvoll rufen.

„Um Himmelswillen, ziehen Sie die Zügel an!“ rief Steinweg, der dem Pferde eilig nachgesprungen war.

Aber sei es, daß gerade dieser Lärm oder die Berührung der Reitgerte, die Lora ganz unvorsichtig, offenbar in dem Bemühen, sich am Sattel festzuhalten, an die Weichen des Pferdes führte, das Thier noch mehr aufregte – es griff immer mächtiger aus, Während Steinweg auf Leben und Tod hinterdrein rannte, ohne es doch erreichen zu können.

Da flog der Renner durch das Hofthor, mäßigte seine Sprünge und hielt mit einem Male nach einer prächtigen Wendung an, als hätte ihn der Escadroncommandant selbst mitten vor der Front auf’s Regelrechteste parirt.

Lora stieg gewandt ab und streichelte und klopfte den Hals des bravem Thieres, das ihr schnaubend den Kopf zuwandte. Unterdeß kam auch Steinweg heran, den sie mit spöttischem Lächeln und einer grüßenden Geberde empfing, indem sie die Gerte gegen die Brust hob und dann wieder senkte; der Schalk frohlockte aus ihren Augen.

„Recht brav gelaufen,“ sagte sie dabei mit ironischem Lobe. „Ich habe kaum auf sechs Pferdelängen gewonnen.“

„Wie?“ stammelte er, athemlos vor ihr stehen bleibend. „Das war doch kein – Wettlauf?“

„Ein wenig dergleichen,“ bestätigte sie, und das mühsam zurückgehaltene Lachen brach nun los, ohne ihn zum Miteinstimmen zu bringen. „Sie haben nur nicht daran gedacht, daß es mir schon vor Jahren zuweilen gestattet war, Lisa’s Pony zu besteigen, und wenn es Niemand sah, habe ich ihn nach Lust getummelt.“

„Ein Spiel also? Das war nicht schön.“

„Weil Sie verloren?“

Statt eine Antwort zu geben, sagte er mit tiefem Athemzuge, der verrieth, wie sehr die Angst ihm noch die Brust bedrückte:

„Mein Gott, wie haben Sie mich erschreckt!“

Sie führte das Pferd ein paar Schritte dem Stalle zu, und auf ihren Ruf erschien auch sofort ein Junge, welcher ihr dasselbe abnahm, während sie es noch einmal mit zärtlicher Hand liebkoste.

„Streicheln Sie Molly doch nicht immer!“ bat Steinweg mit komischem Unmuthe. „Man könnte den Gaul beneiden.“

Es war ein ganz leises liebevolles Lächeln, das ihre feuchten Lippen kräuselte, und das sie ihm verbergen wollte; denn sie wandte den Kopf zur Seite – doch nur für einen Augenblick; langsam die Richtung gegen den Park einschlagend, richtete sie doch wieder ihre Augen freundlich auf ihn.

„Nun, da haben Sie auch etwas für die Reitlection,“ sagte sie, ihm die Maiglöckchen hinreichend.

Das Sträußchen nahm er an, doch hielt er auch dabei die Hand fest und hob dieselbe auf seinen Arm.

„Blumen?“ meinte er geringschätzig.

„Sie ungenügsam unpoetisches Gemüth! Ist das nicht ein ausreichendes Honorar für die Stunde?“

„Und für den Schreck?“

Es war, als ob ihr Blick diesmal ernstlich in seinem Herzen lesen wollte.

„Sind Sie denn wirklich so sehr erschrocken?“ fragte sie leise.

„Wie in meinem ganzen Leben noch nicht! Weiß Gott, ich glaube, ein Schuß in die Brust müßte ein Spaß sein neben dem Gefühl, das mir in dieselbe fuhr, als ich Sie so davonjagen sah. Mir fiel es wie Lähmung in die Beine.“

„Und darum geriethen dieselben in’s Laufen? Nun ist’s erklärt,“ rief Lora lachend. Mit anmuthigem Erröthen schelmisch nickend, setzte sie hinzu: „Ich erlaube Ihnen, den kleinen Finger zu nehmen und ihn nach Belieben zu mißhandeln.“

„Nur den kleinen Finger? Nein!“ versetzte er resolut. „Ich habe mich bloßgestellt, ich habe mich lächerlich gemacht, ganz abgesehen davon, daß ich gelitten – ja wohl, ich habe gelitten. Wenn Sie das Geschichtchen ausplaudern, bin ich das Gespött des ganzen Regiments. Ich muß eine größere Bürgschaft für Ihre Verschwiegenheit haben. Meine Ehre verlangt es.“

„Ei, Herr Rittmeister,“ entgegnete sie kopfschüttelnd, „Sie sind ein wenig – zu anspruchsvoll.“

„Und Sie, Lora – sind eine große Kokette.“

Sie blieb wie eingewurzelt stehen, wandte sich, auf den Hacken sich umdrehend, zu ihm und sah überrascht in sein bewegtes Gesicht, um ihm sofort mit der Miene tiefster Beleidigung einen Knix zu machen.

„Adieu, Herr Rittmeister!“ sagte sie kurz und eilte in den Park.

Aber so eilig sie floh, so rasch folgte ihr, treu gleich ihrem Schatten, Steinweg. Nun hatte er ja doch das Laufen schon gelernt; da kam es auch auf einmal mehr oder weniger nicht an. Und im Schatten blühender Buschpartien mit ihren verschwiegenen Laubwänden und traulichen Sitzen war das Haschen ein so reizvolles Spiel.

Kein süßeres konnte es geben zu holder Frühlingszeit.

Die Tante hatte Wilhelm schon zweimal ausgeschickt, die Frühstücksglocke zu läuten, aber Niemand war erschienen als Lisa. Der Herr sei fortgeritten und noch nicht zurückgekehrt, hieß es, und Fräulein Lora nirgends zu finden, sodaß sich die Tante endlich selbst ungeduldig aufmachte, sie im Garten zu suchen.

Lisa blieb indeß allein im Salon zurück.

Sie saß da wie traumverloren. Ihre Antworten auf die Frage nach ihrem Befinden und auf andere Bemerkungen hatten alle keinen Sinn gehabt, aber doch nicht eigentlich Anlaß zu Besorgniß gegeben; denn es ging, so blaß ihr Antlitz war, ein so eigenthümliches Leuchten von demselben aus, wie von einem tiefverborgenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_271.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)