Seite:Die Gartenlaube (1880) 319.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


gesehen, die ich in Deinen Zimmern vorgenommen habe. Gefällt Dir die neue Einrichtung nicht?“

„Ja, aber –“

„Es ist nothwendig, daß Du jetzt eine eigene Wohnung erhältst,“ schnitt die Gräfin ihrem Sohne das Wort ab. „Wenn Du als Majoratsherr Deine Güter übernimmst, kannst Du nicht wie bisher die gleichen Zimmer mit Deinem Vetter theilen. Er wird das selbst einsehen.“

„Es war aber nicht nöthig, ihn deshalb in den alten Bau zu weisen, der nur in Ausnahmefällen benutzt wird,“ warf Edmund ein. „Es sind im Hauptgebäude Zimmer genug zur Verfügung. Deine Anordnung hat Oswald verletzt; ich sah es ganz deutlich. Nimm sie zurück – ich bitte Dich.“

„Das kann ich nicht, ohne mich vor der ganzen Dienerschaft lächerlich zu machen,“ sagte die Gräfin in sehr bestimmtem Tone. „Wenn Du es meinem ausdrücklich gegebenen Befehle gegenüber thun willst, so steht es Dir frei.“

„Mama!“ rief der junge Graf unwillig. „Du weißt ja, daß ich nie in Deine Beschlüsse eingreife. Aber die Aenderung hätte für jetzt wohl unterbleiben können; Oswald verläßt uns ja ohnehin in einigen Monaten.“

„Ja, im Herbste! Bis dahin wird mein Bruder die nöthigen Schritte thun, um ihm den Eintritt in den Staatsdienst zu öffnen.“

Edmund sah zu Boden.

„Ich glaube, Oswald hat andere Zukunftspläne,“ sagte er mit einem gewissen Zögern.

„Andere Zukunftspläne?“ wiederholte die Gräfin. „Ich will doch nicht hoffen, daß er uns zum zweiten Male Ungehorsam entgegensetzt. Damals, als es sich um seine Bestimmung für die Armee handelte, hast Du allein mir die Nachgiebigkeit abgezwungen. Du warst ja wie immer auf seiner Seite. Ich habe ihm den damaligen Trotz noch heute nicht vergeben.“

„Es war kein Trotz,“ vertheidigte Edmund. „Nur die Ueberzeugung Oswald's, daß er als Officier und Vertreter eines altadeligen Namens nicht in der Armee existiren konnte, ohne dauernd meine Beihülfe in Anspruch zu nehmen.“

„Die Du ihm doch wohl überreichlich gewährt hättest.“

„Die er aber um keinen Preis annehmen will. Er besitzt nun einmal einen unbeugsamen Stolz.“

„Sage lieber einen unbändigen Hochmuth,“ fiel die Gräfin ein. „Ich kenne das; ich habe damit zu kämpfen gehabt von dem Tage an, wo er in unser Haus kam. Wäre es nicht die ausdrückliche, testamentarische Bestimmung meines Gemahls gewesen, daß er Deine ganze Erziehung, all Deine Studien und Reisen theilen sollte, ich hätte Dich nie so ausschließlich in seiner Gesellschaft gelassen. Mir war er nie sympathisch. Ich ertrage nun einmal nicht diese kalten, spürenden Augen, die immer wachsam, immer auf der Lauer sind, denen nichts verborgen bleibt, und wäre es das Geheimste.“

Edmund lachte laut auf.

„Aber Mama, Du machst ja einen förmlichen Criminalisten aus Oswald. Er ist allerdings ein ungewöhnlich scharfer Beobachter, das hört man an seinen gelegentlichen Bemerkungen über Menschen und Verhältnisse, an denen Anderen nicht das Geringste auffällt. Hier in Ettersberg kann er das doch aber nicht geltend machen; wir haben ja Gott sei Dank keine Geheimnisse.“

Die Gräfin beugte sich über die auf dem Tische liegenden Papiere und schien irgend etwas darin zu suchen.

„Gleichviel! Ich habe Deine blinde Vorliebe nie begriffen. Du mit Deiner warmen, offenen Natur, die sich immer voll und ganz giebt, und Oswald's eisige Verschlossenheit! Ihr paßt zusammen wie Wasser und Feuer.“

„Vielleicht ziehen wir uns gerade deswegen gegenseitig an,“ scherzte Edmund. „Oswald ist nicht liebenswürdig – das gebe ich zu, und gegen mich ist er es nun vollends nicht. Trotzdem zieht es mich immer wieder zu ihm, und er hat mich gleichfalls lieb – das weiß ich.“

„Meinst Du?“ fragte die Gräfin kalt. „Da täuschest Du Dich entschieden. Oswald gehört zu den Naturen, welche diejenigen hassen, von denen sie Wohlthaten annehmen müssen. Er hat es mir nie vergeben, daß meine Vermählung seine und seines Vaters Aussichten vernichtete, und Dir verzeiht er es nicht, daß Du zwischen ihm und dem Majorate stehst. Ich kenne ihn besser als Du.“

Edmund schwieg; er wußte aus Erfahrung, daß seine Vertheidigung die Sache nur verschlimmerte; denn hier sprach die mütterliche Eifersucht mit, die sich jedesmal regte, so oft der Sohn seine Zuneigung zu dem Vetter und Jugendgefährten offen eingestand. Die Fortsetzung des Gespräches verbot sich überdies von selbst, da der Gegenstand desselben eintrat.

Oswald's Begrüßung war ebenso förmlich und die Antwort der Gräfin ebenso kühl, wie gestern Abend; welcher Art ihre Empfindungen dem Neffen gegenüber auch sein mochten, die Förmlichkeit dieses Morgengrußes und der Erkundigung nach dem Befinden der Tante wurde ihm nie erlassen. Für diesmal gab die eben vollendete Reise Anlaß zu einem längeren Gespräche. Edmund schilderte einige Erlebnisse derselben; Oswald ergänzte und vervollständigte und so kam es, daß der Besuch, der sich sonst immer nur auf wenige Minuten beschränkte, über eine Viertelstunde dauerte.

„Ihr habt Euch Beide verändert während der sechs Monate,“ sagte die Gräfin endlich. „Du besonders, Edmund, siehst mit Deinem jetzt so dunklen Teint vollständig wie ein Südländer aus.“

„Ich bin auch oft genug dafür gehalten worden,“ entgegnete Edmund. „In dieser Hinsicht habe ich leider gar nichts geerbt von meiner schönen blonden Mama.“

Die Mutter lächelte.

„Nun, ich dächte, Du könntest zufrieden sein mit dem, was Dir die Natur gegeben hat. Mir gleichst Du allerdings nicht, eher Deinem Vater.“

„Dem Onkel? Schwerlich!“ warf Oswald ein.

„Wie willst Du das beurtheilen?“ fragte die Gräfin etwas gereizt. „Du und Edmund, Ihr waret ja noch Knaben, als mein Gemahl starb.“

„Nein, Mama, gieb Dir keine Mühe, irgend eine Aehnlichkeit zu entdecken,“ fiel Edmund ein. „Ich erinnere mich des Papa freilich nur noch dunkel, aber wir haben ja sein lebensgroßes Bild, das ihn im kräftigsten Alter darstellt. Ich habe auch nicht einen einzigen Zug von ihm, und das ist eigentlich wunderbar; denn gerade in unserem Geschlechte pflegen die Familienzüge besonders stark ausgeprägt zu sein. Sieh Dir Oswald an! Das ist ein Ettersberg vom Scheitel bis zur Sohle. Der gleicht Zug um Zug den alten Familienportraits drüben im Saale, bei denen sich von Generation zu Generation immer dieselben Linien wiederholen. Der Himmel weiß es, weshalb ich allein dieser historischen Aehnlichkeit nicht gewürdigt worden bin. – Was siehst Du mich so an, Oswald?“

Das Auge des jungen Mannes lag allerdings scharf und prüfend auf dem Gesichte seines Vetters.

„Ich finde, daß Du Recht hast,“ entgegnete er. „Du hast auch nicht einen einzigen Ettersberg'schen Zug.“

„Das ist nun wieder eine von Deinen gewagten Behauptungen,“ sagte die Gräfin in scharf zurechtweisendem Tone. „Solche Familienzüge fehlen in der Jugend oft ganz und treten im späteren Alter um so deutlicher hervor. Das wird auch bei Edmund der Fall sein.“

Der junge Graf schüttelte lachend den Kopf. „Ich glaube kaum. Ich bin nun einmal gänzlich aus der Art geschlagen und frage mich oft, wie ich mit meinem brausenden, leicht beweglichen Blute, diesem Leichtsinne und Uebermuthe, um deren willen mir fortwährend der Text gelesen wird, in dieses Geschlecht gerathen bin, das von jeher so verzweifelt ernsthaft und verständig und nebenbei ein wenig langweilig und schwerfällig gewesen ist. Oswald würde sich weit besser zum Chef desselben eignen, als ich.“

„Edmund!“ rief die Gräfin zürnend. Man wußte nicht, galt der Ausruf der letzten Behauptung oder dem leichtsinnigen Ausfalle auf die Vorfahren.

„Ja so,“ sagte Edmund etwas beschämt. „Ich bitte die Schatten meiner Ahnen um Verzeihung. Du siehst es ja, Mama, ich habe leider nichts von ihren hundertjährigen Vortrefflichkeiten geerbt, nicht einmal die Verständigkeit.“

„Ich glaube, die Tante meinte etwas Anderes,“ sagte Oswald ruhig.

Die Gräfin preßte die Lippen zusammen. Ihr Gesicht zeigte, daß sie wieder einmal den vollsten Widerwillen gegen die „kalten, spürenden Augen“ empfand, die jetzt auf ihr ruhten.

„Laßt doch endlich den Streit über die Familienähnlichkeiten!“ sagte sie abbrechend. „Die Tradition weist da mindestens

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_319.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)